Kommentar: Was hat Österreich von der neuen Regierung zu erwarten?

Stephan Schulmeister, Foto: Nurith Wagner-Strauss
Stephan Schulmeister, Foto: Nurith Wagner-Strauss

Zur Beantwortung dieser Frage hilft ein Blick auf die Gemeinsamkeiten der Wahlprogramme von ÖVP und FPÖ.

Parteien wollen Steuern und Staatsausgaben senken und damit die Staatsquote auf 40 Prozent reduzieren, beide wollen Familien mit Kindern steuerlich wesentlich stärker begünstigen als bisher, beide wollen die Mindestsicherung reduzieren, beide wollen die Lohnnebenkosten verringern und beide wollen den Einfluss der Sozialpartner beschränken.Das scheint attraktiv für die meisten (außer den Ärmsten), ist es aber nicht. Denn der Gesamteffekt wird in einer markanten Umverteilung zu den Bestgestellten führen, das unterste Drittel wird von den Steuersenkungen nicht profitieren, die große Mehrheit aber durch die – unvermeidliche – Senkung der Sozialausgaben belastet, und zwar umso mehr, je geringer das Einkommen ist. Das lässt sich leicht belegen.

Lohn- und Einkommenssteuer

Die ÖVP möchte die Steuersätze in den ersten drei Stufen auf 20 Prozent, 30 Prozent und 40 Prozent senken, nicht aber in den beiden obersten Stufen (das ist „politische Kosmetik“, denn die höheren Einkommen profitieren auch von der Senkung in den unteren Stufen). Die 34 Prozent Einkommensschwächsten profitieren hingegen gar nicht, weil sie zu wenig verdienen, um Steuern zu zahlen (Pensionisten: 40 Prozent, Frauen: 45 Prozent, Landwirte: 70 Prozent). Bis zum Median-Einkommen von etwa 1.700 Euro (brutto 14-mal) sind die Entlastungen gering. Die „ärmere“ Hälfte der ÖsterreicherInnen würde also wenig bis nichts bekommen. Danach steigt die Entlastung bis zu einem Monatseinkommen von 6.000 Euro auf 1.600 Euro pro Jahr. Die FPÖ möchte die Steuern in etwa gleichem Ausmaß senken wie die ÖVP, konkretisiert das aber nicht.

Körperschaftssteuer auf nicht entnommene Gewinne

Die ÖVP möchte diese streichen, die FPÖ halbieren. Das wird die Finanzinvestitionen der nicht-finanziellen Unternehmen beflügeln, seit mehr als 30 Jahren haben sie diese – in allen Industrieländern – zulasten der Real­investitionen ausgeweitet (der wichtigste Grund für die unzureichende Schaffung „normaler“ Arbeitsplätze). In Österreich haben sie bisher 250 Milliarden Euro an Wertpapieren akkumuliert. Diese Steuersenkung kommt den Reichsten zugute (nur vier Prozent aller Haushalte sind mit mehr als 100.000 Euro an Kapitalgesellschaften beteiligt).

Familienförderung

Für jedes Kind plant die ÖVP einen Steuerbonus von 1.500 Euro pro Jahr. Allerdings kommt eine Person mit zwei Kindern erst ab einem Monatseinkommen von 2.500 Euro (14-mal) in den vollen Genuss (25 Prozent der Erwerbstätigen), die Kinder der 50 Prozent „ärmeren“ Menschen bekommen fast nichts, insbesondere kinderreiche Familien werden den Bonus kaum nützen können. Die FPÖ möchte ein „Splittingsystem“ einführen: Das Familieneinkommen wird durch die Zahl der Mitglieder geteilt (abgestuft nach Partner und Alter der Kinder) und dieser Betrag ist Grundlage der Besteuerung. Eigenständige Erwerbstätigkeit der Frauen wird dadurch massiv benachteiligt.

Staatseinnahmen senken

Insgesamt wollen ÖVP und FPÖ so die Staatseinnahmen um 12 bis 14 Milliarden Euro pro Jahr senken. Dennoch soll das Defizit nicht steigen: Die Steuersenkungen würden laut ÖVP das Wirtschaftswachstum so stark erhöhen, dass vier bis fünf Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen entstünden. Zusätzlich sollen durch „eine vernünftige Ausgabenbremse“ bis zu fünf Milliarden Euro und durch „verbesserte Systemeffizienz“ vier Milliarden Euro eingespart werden. Die FPÖ rechnet mit einer ähnlich hohen Gegenfinanzierung und benennt explizit eine Kürzung der Sozialausgaben um fünf Milliarden Euro. Tatsächlich werden die Wachstumseffekte viel geringer sein, weil die Steuersenkungen den Besser- und Bestverdienern zugute kommen (sie geben davon nur einen relativ kleinen Teil wieder aus). Außerdem hat man auf die negativen Wachstumseffekte der Ausgabenkürzungen gänzlich vergessen. Da die ÖVP die Staatsausgaben real stagnieren lassen will (sie sollen nur im Ausmaß der Inflation steigen) und bei der Sicherheit nicht sparen wird, muss auch sie im Sozialbereich kürzen. Ausgesprochen wird das aber (bisher) nicht.

Sozialabbau

Nur bei der Mindestsicherung, insbesondere für Flüchtlinge, bestätigt auch die ÖVP den Sozialabbau. Denn der Abstand zu den „Leistungsbereiten“ müsse größer werden. Doch was hat ein Geringverdiener davon, wenn einer noch schwächeren Person – meist alleinerziehende Mütter – die Existenzgrundlage entzogen wird? Wenn Asylberechtigte fünf Jahre lang nur die Hälfte des Existenzminimums bekommen (560 Euro), fördert man Kleinkriminalität und das lässt sich dann politisch verwerten. Politisch wird die neue Regierung die Sozialpartnerschaft schwächen, insbesondere die ArbeitnehmerInnenvertretung. Sie wird dies aber nicht durch Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft in der Arbeiterkammer tun – gelte dies nicht auch für die Wirtschaftskammer, wäre die Optik zu schlecht. Doch mit dem Argument der Entlastung der ArbeitnehmerInnen und der Lohnnebenkosten, wird man die Arbeiterkammerbeiträge senken. Würden sie um 50 Prozent reduziert, könnte die AK die Beratung ihrer Mitglieder und ihre sonstigen ExpertInnen nicht mehr finanzieren. Das wäre ein politisch opportuner „Nebeneffekt“.

ZUR PERSON

Stephan Schulmeister ist unabhängiger Wirtschaftsforscher in Wien. Er war seit 1972 am WIFO tätig im Bereich „mittelfristige Prognose, längerfristige Wirtschaftsentwicklung, Finanzmärkte und internationaler Handel“.

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