Die Beschäftigten im Handel, insbesondere im Lebensmittelhandel, haben nach einem Jahr Pandemie ihre Belastungsgrenze erreicht. Die GPA fordert einen Sicherheitsgipfel mit WKO und Bundesregierung sowie einen Zusatzkollektivvertrag, um die Angestellten zu entlasten und zu schützen.
Eine Mitgliederbefragung der Gewerkschaft GPA zeigt die angespannte Situation der Beschäftigten im Handel auf. Die Rückmeldungen sind alarmierend: Corona hat die Lage der Handelsangestellten, aber auch das Image der Branche schwer in Mitleidenschaft gezogen. Der Fleckerlteppich an Maßnahmen und Regelungen, die von den KundInnen oft nicht mehr mitgetragen werden, führt zu großer Verunsicherung. Zugleich ist die Arbeitsbelastung stark gestiegen, ohne dass sich dies positiv auf die Bezahlung auswirken würde.
„Aggressive Kunden, Überlastung, Personalmangel und mangelnde Wertschätzung, sowie fehlender Respekt der Kunden gegenüber unseren Kolleginnen und Kollegen sind die größten Probleme,“ fasst Anita Palkovich, Wirtschaftsbereichssekretärin im Handel in der GPA, die Ergebnisse der Befragung zusammen. „Es ist nicht übertrieben aufgrund der aktuellen Lage von einer Gefährdung der sicheren Versorgung zu sprechen,“ warnt Palkovich.
„Dem großen Zusammenhalt der Beschäftigten ist es vielerorts zu verdanken, dass der Betrieb weiter aufrechterhalten werden kann.“
Anita Palkovich
Von den über 3.000 TeilnehmerInnen der Befragung aus allen Bundesländern fühlen sich ein Drittel durch die aktuell gesetzten Maßnahmen nicht sicher und unzureichend geschützt. Sie sehen Versäumnisse und haben kein gutes Gefühl, im Handel zu arbeiten.
Als wirksame Schutzmaßnahmen hingegen werden die verpflichtende FFP2-Maske für alle KundInnen sowie sämtliche Maßnahmen, die für Hygiene und Abstand sorgen wahrgenommen. Auch die Beschränkung der Öffnungszeiten wurde von den Befragten positiv vermerkt. Was fehlt, sind verpflichtende wöchentliche Tests.
Hohe Flexibilität gefordert
Während ein Teil des stationären Handels während der Lockdowns in Kurzarbeit war bzw. ist, sind die Beschäftigten im Lebensmittelhandel SystemerhalterInnen. „Sie stellen seit einem Jahr die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln sicher“, betont Sabine Eiblmaier, Zentralbetriebsratsvorsitzende bei Interspar. Eiblmaier erinnert daran, dass vor einem Jahr noch für die Handelsangestellten öffentlich geklatscht wurde. Doch seither sind die zusätzlichen Belastungen durch die Pandemie leider nicht kleiner geworden. Wegen Personalmangel, Corona-Erkrankungen und Ausfällen durch Quarantäne ist die Personaldecke extrem dünn geworden. Die Arbeitgeber erwarten jedoch ein Höchstmaß an Flexibilität.
Teilzeitkräfte müssen daher Mehrarbeit leisten und bei Ausfällen einspringen, oft auch in anderen, weiter entfernt gelegenen Filialen. Die vielen zusätzlichen Arbeitsstunden bringen aber nur wenig auf dem Lohnzettel: Mehrarbeit wird, im Gegensatz zu Überstunden, nicht besser abgegolten, und die Möglichkeit zur Durchrechnung, die das Arbeitszeitgesetz vorsieht, bringt am Ende einer langen Arbeitswoche nicht mehr Geld am Konto.
Werner Hackl, Betriebsratsvorsitzender bei Billa, berichtet ebenfalls von gestiegenen Belastungen durch Ausfälle wegen Krankheit und Quarantäne, aber auch durch Arbeiten mit Maske und Zusatzarbeiten wie z.B. Hygienemaßnahmen im Betrieb. Dazu kommen private Belastungen durch Kinderbetreuung und Homeschooling. Der Umgang mit Kunden, erzählt Hackl, sei schwieriger geworden, da die MitarbeiterInnen oft genug die Corona-Maßnahmen wie Masken tragen oder Abstand halten in Erinnerung rufen müssten.
Aggressive KundInnen
Auch in der Umfrage der GPA kamen mehrfach die Probleme im Umgang mit KundInnen zur Sprache. Mehr als die Hälfte der Befragten klagten über Aggressionen. Viele fühlen sich noch dazu vom Arbeitgeber und den Behörden allein gelassen: Erinnert man einen Kunden z.B. an die Maskenpflicht, wird dieser ungehalten und beschwert sich dann bei der Firmenleitung „und wir kriegen noch eins drauf, wenn wir Kunden darauf aufmerksam machen, dass sie ihre Masken tragen“, wie eine Mitarbeiterin auf ihrem Befragungsbogen vermerkte. Viele MitarbeiterInnen haben den Eindruck, dass KonsumentInnen ihren Frust an ihnen abladen und haben täglich mit Pöbeleien zu tun, was zu einer großen psychischen Belastung führt. Viele wünschen sich hier auch mehr Unterstützung durch Behörden und Polizei. Betriebsrätin Eiblmaier appelliert aber auch an die KundInnen, den Beschäftigten mehr Verständnis und Wertschätzung entgegenzubringen.
Frustrierend findet Anita Palkovich auch, dass in den letzten Jahren die GPA stetig und erfolgreich gemeinsam mit den BetriebsrätInnen an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen gearbeitet hatte, und nun vieles davon aufgrund der Pandemie wieder zunichte gemacht wurde. Nur dem großen Zusammenhalt der Belegschaft untereinander ist es zu verdanken, dass die Situation mit einer gemeinsamen Anstrengung gestemmt werden kann, betonen sowohl Eiblmaier als auch Hackl.
Forderung nach Sicherheitsgipfel
Gewerkschaft und Betriebsräte verlangen daher einen Sicherheitsgipfel für die gesamte Branche: Die Wirtschaftskammer und auch die Bundesregierung sind aufgefordert, gemeinsam mit den GewerkschafterInnen an einen Tisch zu kommen, um dringend Maßnahmen zu setzen, die die Situation der Beschäftigten verbessern.
Das Ziel eines solchen Sicherheitsgipfels: „Ein zeitlich befristeter Zusatzkollektivvertrag, der für die Zeit der Pandemie die anstehenden Probleme regelt“, erklärt Palkovich.
Zunächst muss es um die Abgeltung der Flexibilität gehen. Diese wird derzeit ausgereizt, ohne dass es finanziell bei den Beschäftigten ankommt. Mehrarbeit muss, ebenso wie Überstunden, ausbezahlt werden: „Konkret wollen wir, dass die Durchrechnung der Mehrarbeit ausgesetzt wird und eine Erhöhung des Mehrarbeitszuschlages. Auch die Fahrtkosten und Bezahlung der Wegzeiten bei Aushilfe in anderen Filialen müssen abgegolten werden“, fordert Palkovich. Insbesondere außerhalb der Ballungszentren verursachen diese Fahrtkosten und -zeiten nämlich oft erhebliche Mehrkosten. Darüber hinaus braucht es eine Aufstockung der ausgedünnten Personaldecke.
Eine zweite dringende Forderung, die von der GPA schon mehrmals erhoben wurde, betrifft die schwangeren MitarbeiterInnen mit direktem Kundenkontakt: Sie müssen sofort freigestellt werden. „Es ist nicht einzusehen,“ kritisiert Palkovich, „warum bei den körpernahen Dienstleistungen Schwangere ab der 13. Woche freigestellt sind, ausgerechnet im Handel jedoch diese Regelung nicht angewandt wird.“ Schwangere im Handel sind ebenfalls in unmittelbarem Kontakt zu KundInnen, und entsprechend einem hohen Risiko ausgesetzt.
Schutz der Beschäftigten
Für den Bereich Sicherheit fordert die GPA, dass die Kontrollen der Corona-Maßnahmen mit eigenem Sicherheitspersonal durchgeführt werden, denn nur so können die Beschäftigten entlastet und vor übergriffigen KonsumentInnen geschützt werden.
Eine weitere wesentliche Sicherheitsmaßnahme wäre eine vorrangige Versorgung der Handelsangestellten mit Impfstoff. Die Impfbereitschaft der Beschäftigten ist überdurchschnittlich hoch. Nach einer anfänglichen Skepsis wären mittlerweile sowohl bei Rewe als auch bei Spar bis zu 80 Prozent der Beschäftigten bereit, sich impfen zu lassen. Eiblmaier und Hackl berichten beide von häufigen Nachfragen nach raschen Impfterminen.
Ein anderer Punkt für die Verhandlungen mit den Arbeitgebern betrifft die Tourismusregelungen in jenen Bundesländern, wo eine Sonntagsöffnung vorgesehen ist. Diese muss ausgesetzt werden, solange die Beherbergungsbetriebe geschlossen sind und keine Touristen kommen. „Es gibt derzeit keinen Grund, dass die Beschäftigten sonntags im Handel arbeiten müssen, obwohl es keinen Tourismus gibt. Das ist einfach überflüssig!“ kritisiert Palkovich.
„Die Handelsangestellten“, betont Eiblmaier, „haben die Menschen in Österreich während der ganzen Zeit der Pandemie mit den Produkten des täglichen Bedarfs versorgt und sind täglich fast 12 Stunden für uns alle da.“ Sie haben sich entsprechenden Respekt verdient, sowohl von ihren Arbeitgebern, als auch von den KundInnen, und ein Arbeitsumfeld in dem ihre Leistung geschätzt und korrekt bezahlt wird.
Die Gewerkschaft GPA hilft
GPA-Mitgliedern steht ein vielfältiges Beratungsangebot zu arbeitsrechtlichen Fragen zur Verfügung. Nicht-Mitglieder können unter 050301-301 eine kostenlose Erstberatung in Anspruch nehmen.