Vergangenes Jahr bliesen die Beschäftigten in der Erwachsenenbildung zum Streik – das erste Mal in ihrer Geschichte. Betriebsrat Christian Melzer profitiert davon noch heute. Porträt über einen Ruhepol mit Helfersyndrom.
Christian Melzer kam vorm warmen und stürzte ins kalte Wasser. Kurz vor seinem Griechenland-Urlaub hat er mit Kolleg:innen „philosophiert“. Wie es denn wäre. Wie es denn wäre, wenn zur Betriebsratswahl auch mal eine zweite Liste antritt. Während seiner zwei Wochen am Ägäischen Meer hatten seine Kolleg:innen weiterphilosophiert. Und beschlossen, Melzer solls machen.
Ein knappes Jahr war Melzer zu dieser Zeit, 2009, im Unternehmen, dem gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlasser Trendwerk. Das Thema Betriebsrat und Gewerkschaft hatte sich für ihn 30 Jahre zuvor „erledigt“. In den späten 1970ern war Melzer Jugendvertrauensrat bei einer großen österreichischen Bank und aktiver Gewerkschafter. Ehe er sich mit der Zeit, auch aus persönlichen Gründen, immer mehr aus der Lohnabhängigenvertretung zurückzog.
Bewährungsprobe Arbeitskampf
An diesem Donnerstagvormittag Ende Februar sitzt der 63-jährige Christian Melzer in einem schnörkellosen Besprechungszimmer in einem nicht weniger schnörkellosen Bürogebäude in Wien-Floridsdorf. Der Boden knarzt, es riecht nach Farbe, erst Mitte Jänner hat Trendwerk den neuen Standort in der Siemensstraße bezogen. Vieles ist noch im Umbruch. Melzer dagegen wirkt wie ein Ruhepol. Schwarzes Shirt, graues Sakko, vor sich eine Mappe mit Unterlagen. Melzer spricht mit sanfter Stimme, das Satzende betont er akkurat, das Gesagte untermauert er meist mit einem Dokument aus seiner Mappe.
Tags zuvor fand die 3. Verhandlungsrunde zum Kollektivvertrag der privaten Bildungseinrichtungen statt, Melzer sitzt wie schon 2011 und 2012 im kleinen Verhandlungsteam. Die erste Runde war „wertschätzend“, die Zweite „intensiver“, die Gestrige „schon interessant“. Ein Lohnplus von 9,3 Prozent fordern Melzer und Kolleg:innen für die rund 9.000 Beschäftigten in der Branche. Die Arbeitgeber:innen boten 7,4 Prozent, knapp über der rollierenden Inflation. Nach Rücksprache mit dem großen Verhandlungsteam habe man die Runde abgebrochen.
„Wir wussten anfangs nicht, wie viel Arbeit hinter so einem Streik steckt“
Christian Melzer
„In der Erwachsenenbildung rumort es“, schrieb Der Standard vergangenen Mai. Am 3. und 4. Mai kam es zu Warnstreiks – das erste Mal in der Geschichte der Branche. „Wir wussten anfangs nicht, wie viel Arbeit hinter so einem Streik steckt“, erinnert sich Melzer. 35 Betriebe und rund 1.300 Beschäftigte beteiligten sich an der Aktion, „fürs erste Mal eine gute Quote“. Die Arbeitgeber:innen hatten sie überrumpelt – und konnten ihnen so Zugeständnisse abringen. Im Schnitt stiegen die Durchschnittsgehälter vergangenes Jahr um zehn Prozent.
Politisierung
Und noch einen Vorteil bringen die Kampfmaßnahmen von vergangenem Jahr mit sich: Wissen, auf dem Melzer und seine Betriebsrats-Kolleg:innen aus der Branche aufbauen können. Von Jahr zu Jahr steige die Bereitschaft der Belegschaft, sich für ihre Belange einzusetzen, beobachtet Melzer. Derzeit planen sie Betriebsversammlungen, um Strategien für die kommenden Verhandlungsrunden zu entwerfen. Das Interesse an Betriebsräten und Gewerkschaften werde größer. „Die Kolleg:innen merken, dass das was bringt“. Eine ähnliche Dynamik lässt sich in Deutschland beobachten: Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di trat 2023 so aggressiv auf wie lange nicht – und verzeichnete 193.000 Neumitglieder.
Eine Politisierung der Belegschaft ist notwendig, bekräftigt Melzer. Ihn quält ein zentrales Problem: Ihr Auftraggeber ist der Arbeitsmarktservice (AMS). Dessen Budget wiederum das Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetz bestimmt. Soll heißen: Melzer richtet seine Anliegen an die Trendwerk-Geschäftsführung, die Entscheidungen aber trifft das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft. Wer zahlt, schafft an.
Im Arbeitsministerium werde „an den falschen Ecken gespart“, kritisiert Melzer. Wenn oben gespart wird, bekommen das in erster Linie die Beschäftigten in geförderten Bildungseinrichtungen wie dem BFI, den Volkshochschulen oder Trendwerk zu spüren. Einsparungen beim Personal bedeuten für sie, mehr Aufgaben in der gleichen Zeit erledigen zu müssen. „Hier geht es auch um die Gesundheit der Angestellten“, ärgert sich Melzer. Überarbeitete Mitarbeiter:innen, die von Jahr zu Jahr mit mehr Betreuungsaufgaben und administrativen Tätigkeiten überfrachtet werden, wirken sich negativ auf die Qualität der Betreuung der Klient:innen aus. Sie sind diejenigen, die von den Einsparungsmaßnahmen am härtesten getroffen werden.
Hast du schon einmal überlegt selbst einen Betriebsrat zu gründen?
Wenn es bei dir im Betrieb mindestens 5 Beschäftigte gibt, kann eine Betriebsratswahl stattfinden. Dein Chef/deine Chefin, darf die Wahl nicht behindern. Als Betriebsrätin/Betriebsrat hast du einen besonderen Kündigungsschutz und du kannst einen Teil deiner Arbeitszeit für die Betriebsratstätigkeit verwenden. Wir unterstützen und begleiten dich und deine KollegInnen bei der Durchführung der Betriebsratswahl.
Du möchtest mit uns darüber reden? Dann wende dich an unsere Beratung in deinem Bundesland. Alle Kontakte findest du hier: https://www.gpa.at/kontakt
Innerbetriebliche Auseinandersetzungen und KV-Verhandlungen sind bei Trendwerk das eine. Um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern, müssen sie Druck auf die öffentliche Meinung, auf das Wirtschaftsministerium ausüben.
„Viele freundliche Gesichter hier“
Als Melzer 2009 aus seinem Griechenland-Urlaub zurückkehrt, gewinnen er und seine Liste die Betriebsratswahlen „haushoch“. Der Neuankömmling wurde auf den Sitz des Betriebsratsvorsitzenden gehievt. Die Erfahrungen aus seiner Zeit als Jugendvertrauensrat waren hilfreich, zeitnah habe er die Basiskurse der Gewerkschaft zur Betriebsratsarbeit absolviert. So sei er schnell in seine neue Position hineingewachsen. Melzer ist der Meinung: „Wenn man etwas leidenschaftlich macht, entwickelt man ganz andere Energien“. Seither wurde er alle fünf Jahre wiedergewählt, zuletzt 2022. Die Arbeit als Betriebsrat sei für ihn auch ein Weg, sein selbstdiagnostiziertes „Helfersyndrom“ auszuleben. Als Betriebsrat kenne er keine Dienstzeiten, stehe seinen Kolleg:innen auch nach Feierabend und am Wochenende zur Verfügung.
„Wenn man etwas leidenschaftlich macht, entwickelt man ganz andere Energien“
Christian Melzer
Seine aktuelle Funktionsperiode als Betriebsratsvorsitzender läuft noch bis 2027. Was er noch erreichen wolle? „Das Arbeitsumfeld so weit verbessern, dass die Kolleginnen und Kollegen aufstehen in der Früh‘ und sich auf die Arbeit freuen“. Ein bescheidenes Ziel, denn er sehe ohnehin schon „viele freundliche Gesichter hier“.
Zur Person: Christian Melzer hat schon einige berufliche Stationen hinter sich. Er arbeitete u.a. anderem bei einer Bank, war als Finanzchef beim Traditionsverein Wiener Sportclub tätig, ehe er 2008 die Ausbildung zum Trainer machte. Melzer ist in Wien geboren, wo der 63-Jährige bis heute lebt.
Zum Unternehmen: Trendwerk beschäftigt im Auftrag des AMS ehemals arbeitslose Personen und überlässt sie mit dem Ziel der Fixübernahme an Unternehmen. Trendwerk kooperiert im Bereich der geförderten und betreuten Arbeitskräfteüberlassung mit rund 3.000 Klein-, Mittel- und Großbetrieben aus allen Branchen.