Silvia Angelo, Leiterin der Abteilung Wirtschaftspolitik in der Arbeiterkammer Wien, kritisiert spekulationsgetriebe Preisanstiege bei Nahrungsmitteln und Energie. Und fordert ein Eingreifen der Politik.
KOMPETENZ: Die Menschen haben das Gefühl, dass alles immer teurer wird und sie sich immer weniger leisten können. Lässt sich dieses Gefühl auch mit Fakten belegen?
Silvia Angelo: Es stimmt, dass die Produkte des täglichen Bedarfs immer teurer werden. Und gerade die Preise für Nahrungsmittel, Wohnen und Energie sowie für den Individualverkehr steigen überdurchschnittlich. Das sind auch genau die Bereiche, wo sich der Großteil der Ausgaben konzentriert. Laut Konsumerhebung ist es so, dass der durchschnittliche Haushalt rund zwölf Prozent für Nahrungsmittel ausgibt, rund 24 Prozent für Wohnen und Energie und rund 15 Prozent für Verkehr. Nach unseren Berechnungen sind die Ausgaben in diesen drei Bereichen damit in absoluten Zahlen von 2010 auf 2011 im Schnitt um 65 Euro pro Haushalt gestiegen.
KOMPETENZ: Wie sieht die Situation für BezieherInnen von kleinen Einkommen aus?
Silvia Angelo: Wir haben hier leider nur Zahlen von 2004/05, da diese Erhebung nur alle fünf Jahre gemacht wird. Aber da sehen wir, dass die Haushalte, die monatliche Ausgaben von bis zu 1.600 Euro haben, 16 Prozent davon für Ernährung aufwenden. Das oberste Viertel, das sind Haushalte, die 3.700 Euro oder mehr ausgeben, gibt nur mehr 9,8 Prozent des Einkommens für Nahrungsmittel aus. Das heißt natürlich, dass die Betroffenheit bei den unteren Einkommen größer ist. Und wenn die Produkte in diesen zentralen Kategorien immer teurer werden, dann werden meine Spielräume, dass ich etwas anderes kaufe, noch geringer.
KOMPETENZ: In welchen Bereichen sind die Teuerungen für sie gerechtfertigt und in welchen nicht?
Silvia Angelo: Das ist insofern eine spannende Frage, weil wir davon ausgehen, dass die Inflation, so wie wir sie derzeit bei Nahrungsmitteln und Energie erleben, nicht österreich-spezifisch ist, sondern international vorgegeben – Beispiel Getreide. Aber nur, weil die Teuerungen von außen kommen, sind sie nicht gottgegeben. Und was wir schon seit rund zehn Jahren beobachten können, ist, dass Finanzinvestitionen immer mehr in Rohstoffe hineingelenkt werden, dass also Rohstoffe und Öl immer mehr zum Finanzspekulationsobjekt werden und ich enorme Preisausschläge habe, die nicht nur von Angebot und Nachfrage bestimmt werden, sondern von ganz anderen Faktoren beeinflusst sind.
KOMPETENZ: Wie kann man diese Entwicklung hintanhalten?
Silvia Angelo: Hier muss man regulativ eingreifen. Hier muss man schauen, dass nicht Geschäfte gemacht werden mit Produkten, die nichts mit der Finanzwelt zu tun haben, sondern Grundbedürfnisse befriedigen. Und der zweite Punkt auf der internationalen Ebene ist eine künstliche Verknappung, durch Biokraftstoff im Wesentlichen. Hier gibt es große Anbauflächen für Treibstoffe. Das treibt den Preis auch in die Höhe. Da sind wir sehr kritisch, weil wir sagen, Essen gehört nicht in den Tank, sondern auf den Teller.
KOMPETENZ: Das heißt, Sie halten alle Teuerungen für grundsätzlich nicht gerechtfertigt?
Silvia Angelo: Ich sehe nur, dass es auf der internationalen Ebene Entwicklungen gibt, die haben mit Angebot und Nachfrage alleine nichts mehr zu tun. Das sehe ich nicht, dass sich die Ölbestände so verknappen, dass der Ölpreis in die Höhe geht. Ich sehe aber sehr wohl spekulationsgetriebene Preisausschläge, wenn irgendjemand wo in der Welt sagt, ui, da könnte beispielsweise in Libyen eine Krise ausbrechen. Da gibt es dann sofort eine Reaktion und diese massive Reaktion ist immer ein Indikator, dass auch andere Akteure aktiv sind. Dass da eben jemand ein Auge darauf hat, der spekuliert.
KOMPETENZ: Die Finanzkrise von 2009 scheint halbwegs überwunden, für 2012 wird schon wieder die nächste Krise prognostiziert – oder ist das für Sie eine durchgehende Krise?
Silvia Angelo: Ich glaube, dass wir noch immer die Folgen der Finanzkrise von 2009 bewältigen, das hat angefangen mit einer Finanzmarktkrise und äußert sich jetzt darin, dass wir hohe Staatsschulden haben. Und diese Staatsschulden sind eine Folge der Finanzmarktkrise – nicht ihre Ursache, sondern ihre Folge.
Wir haben die Krise in Österreich realwirtschaftlich relativ gut durchgetaucht, relativ – jeder Arbeitslose ist zu viel. Gelungen ist dies mit massiven staatlichen Programmen, wie der Kurzarbeit, aber auch dadurch, dass wir 2008 eine extrem gute Lohnrunde gehabt haben. Die Lohnpolitik hat uns also auch geholfen, die Krise nicht so stark zu erleben wie in anderen Ländern, weil sie die Kaufkraft der Leute gestärkt hat. Wir haben jetzt Prognosen, die sagen, wir gehen in Richtung einer stagnierenden Wirtschaftsentwicklung. Also müssen wir schon extrem darauf schauen, dass wir 2012 die Binnennachfrage stärken.
KOMPETENZ: Durch die Teuerungen passiert aber genau das Gegenteil – die Kaufkraft wird immer geringer.
Silvia Angelo: Es braucht jetzt natürlich Lohnabschlüsse, die das absolut aufwiegen und mehr als aufwiegen.
KOMPETENZ: Welche Instrumente würden Sie noch einsetzen?
Silvia Angelo: Es ist eine Frage der Budgetkonsolidierung. Man darf die Staatsschulden nicht ganz aus dem Ruder laufen lassen, aber man muss sehen, wie man das macht. Ausgabenseitige Budgetkonsolidierung wirkt sich immer besonders negativ auf das Wachstum aus. Bei den Einnahmen weiß ich wiederum, wenn ich hier etwas erhöhe, hat das viel geringere Effekte auf das Wachstum. Aber wenn ich sehe, dass die Vermögensbesteuerung in Österreich sehr schwach ist, ist es konjunkturpolitisch und ökonomisch klug, wenn ich hier etwas mache, weil hier geht mir nichts ab. Diese Personen würden sparen statt konsumieren – und was ich brauche, ist Konsum.