Jedes Caféhaus und jedes Start-up zahlen mehr Steuern als Amazon oder Google. Warum multinationale Konzerne genau jetzt faire Gewinnsteuern zahlen sollten.
Facebook, Amazon und Co. zahlen zu wenig Steuern, 30 Prozent weniger als lokale Unternehmen. Während wir ArbeitnehmerInnen Lohnsteuern abführen und auf alles, was wir konsumieren Umsatzsteuer zahlen, schaffen es große Konzerne, ihre Gewinne in Steueroasen zu verschieben, wo sie nur skandalös niedrig bis gar nicht besteuert werden. Mit dem Ergebnis, dass die breite Bevölkerung den Großteil der Steuern trägt. In Österreich kommen 80 Prozent aller Steuern von den Beschäftigten und den KonsumentInnen.
Durch COVID-19 wird diese Schieflage noch zusätzlich dramatisch verschärft, denn die Steuereinnahmen brechen durch die Wirtschaftskrise weltweit ein. Die milliardenschweren Hilfspakete, die die Regierungen schnüren, um die Krise abzufedern, müssen jedoch mit zusätzlichen Mitteln finanziert werden. Und es steht zu befürchten, dass hier wieder die ArbeitnehmerInnen und die kleinen und mittleren Unternehmen die Rechnung präsentiert bekommen.
Viele der Multis verdienen gut an der Krise: vom Onlinehandel bis zu den Streaming-Plattformen machen sie ausgezeichnete Geschäfte. Amazon-Chef Jeff Bezos beispielsweise, der schon vor der Krise der reichste Mann der Welt war, konnte sein Vermögen von 113 Milliarden US-Dollar Anfang März auf 182,6 Milliarden US-Dollar Anfang Juli steigern.
Multinationale Konzerne konnten außerdem aufgrund ihrer Größe oft überproportional von den staatlichen Hilfsprogrammen profitieren. „Gerade jene Unternehmen, die während der Krise mit Steuergeldern unterstützt werden, sollen in Zukunft auch einen Beitrag leisten müssen,“ fordert Sophia Reisecker, Internationale Sekretärin in der GPA-djp. „Während die ArbeitnehmerInnen den größten Teil des Wohlstandes finanzieren, stehlen sich die Reichsten, zum Teil ganz legal, aus ihrer Verantwortung. Genau das wollen wir ändern!“
Gesetzeslücken und Steueroasen
Das derzeitige Steuersystem ermöglicht es globalen Konzernen wie Apple, Google, Facebook, Amazon, Starbucks oder McDonalds, ebenso wie den Superreichen, über Gesetzeslücken, undurchsichtige Finanzströme, unfaire Rabatte, Briefkastenfirmen, usw. ihr Geld am Fiskus vorbei zu lotsen. Sie verschieben ihre Gewinne im großen Stil in Steuerparadiese, wo sie keine Körperschaftssteuer zahlen müssen.
Manches geschieht abseits der Legalität: So wurden kürzlich zwei Hintermänner aus den Panama-Papers in Deutschland angeklagt, weil sie Konzernen und Superreichen halfen, Geld vor dem Fiskus zu verstecken. Doch oft ist es nicht notwendig, gegen die Gesetze zu handeln, da es genügend legale Möglichkeiten gibt, große Summen global dorthin zu verschieben, wo keine Steuern anfallen.
Für solche Machenschaften gibt es auch in Europa ausgeklügelte Konstruktionen. Google z.B. hat durch eine Steuerlücke im irischen Steuergesetz, die Unternehmen mit ausländischem Management von der Besteuerung ausnimmt, eine irische Google-Tochter gegründet. Die US-Gewinne konnten so nach Irland verschoben werden und anschließend in eine karibische Steueroase. Ganz legal.
Ein anderes bekanntes Beispiel: Der Technologiekonzern Apple hatte – ebenfalls in Irland – die extrem niedrige Gewinnsteuer von nur 0,005 Prozent abgeführt. Das sind für 1 Million Euro Gewinn nur 50 Euro an Steuern. Durch einen Whistleblower gelangte diese Vereinbarung an die Öffentlichkeit. Legal war sie trotzdem – eine Klage der EU gegen Apple scheiterte im vergangenem Sommer. Ein unangemessener Vorteil konnte innerhalb der aktuellen Rechtslage vor dem EU-Gericht in Luxemburg nicht nachgewiesen werden.
Spezialangebote für Steuervermeider
Wie ist das möglich? Die Körperschaftssteuer ist eine Steuer auf die Gewinne von Unternehmen – und übrigens nicht, wie die Gegner dieser Steuer uns weismachen wollen, auf Kapital. Sie schmälert daher weder Investitionen noch Wachstum. Staaten versuchen nun, mit sehr niedrigen Steuersätzen Unternehmen anzulocken oder überhaupt einen eigenen „Wirtschaftszweig“ durch Spezialangebote für Steuervermeider zu gründen. So gehen die berüchtigten Steueroasen vor, zu denen die Schweiz ebenso gehört wie die Kanalinseln, die Bahamas, Singapur oder Hongkong.
„Dadurch entsteht schließlich ein Wettbewerb zwischen den Ländern, denn wer die günstigsten Steuersätze anbietet, lukriert die meisten und vor allem die reichsten Kunden aus aller Welt. Daher reicht es nicht, wenn wir in Österreich allein Maßnahmen ergreifen, wir müssen weltweit dagegen agieren,“ erklärt Reisecker.
Das Kapital ist mobil und kann sich der Besteuerung entziehen, indem es sich in Steueroasen versteckt. Die Faktoren Arbeit und Konsum sind weniger mobil und werden folglich noch stärker besteuert. „Die Mitgliedstaaten müssen ihre Haushaltsprobleme lösen. Gerade jetzt in der Krise ist es daher unbedingt notwendig, die Steuersümpfe endlich trocken zu legen. Andernfalls werden wieder die Beschäftigten zur Kasse gebeten“, befürchtet Reisecker.
Steuersparen in Europa
Doch bleiben wir zunächst noch in Europa: Der Binnenmarkt mit seinen 27 Steuersystemen führt auch auf europäischer Ebene zu einem internen Steuerwettbewerb. Der Steuerbereich ist jedoch zugleich ein Politikfeld in der EU, bei der Einstimmigkeit erforderlich ist, um Gesetzesänderungen durchbringen zu können. „Die Mitgliedsländer wollen nicht auf ihre nationale Steuersouveränität verzichten. Das haben Multis leider zu ihrem Vorteil zu nutzen gewusst“, sagt EU-Abgeordnete und Gewerkschafterin Evelyn Regner. Sie arbeitet in Brüssel seit Jahren in den Ausschüssen des EU-Parlaments zur Aufdeckung von Steuerbetrug und -vermeidung. Regner ist überzeugt, „dass wir den Kampf für Steuergerechtigkeit nur auf europäischer und internationaler Ebene gewinnen können.“
Obwohl die Mitgliedsländer der EU sich sträuben, Teile ihrer Steuersouveränität aufzugeben, ist es in Wahrheit trotzdem so, dass den Nationalstaaten nur wenig Spielraum zur Gestaltung bleibt. Regner: „Der globale Wettbewerb bei den Gewinnsteuern übt einen enormen Druck aus und führt zu einer Abwärtsspirale, wo sich die einzelnen Länder weltweit unterbieten.“ Seit Mitte der 90er-Jahre, also während nur 25 Jahren, sind die Körperschaftssteuern um von durchschnittlich über 35 Prozent auf knapp 20 Prozent abgesunken.
„Laut einer Studie, die wir als Europäische SozialdemokratInnen in Auftrag gegeben haben, kann man von jährlichen Steuerausfällen in Europa in der Höhe von bis zu 825 Milliarden Euro ausgehen“, erklärt Regner. „Von diesen Geldern könnten wir alle profitieren, besonders jetzt in der Krise fehlen uns die Mittel in der Gesundheitsversorgung und in der Pflege.“
Steuerskandale wie z.B. LuxLeaks, Panama Papers oder Paradise Papers dokumentieren den eklatanten Steuerbetrug. Vorschläge der Europäischen Kommission, wie dem beizukommen wäre, wurden jahrelang von Mitgliedstaaten blockiert.
Dazu kommt: Auch Mehrwertsteuern sind in der EU nicht harmonisiert und sehr betrugsanfällig, ebenso ist die Einigung auf eine europaweite Besteuerung der digitalen Wirtschaft noch ausständig. Derzeit führt das zu enormen Steuerausfällen: Man schätzt die entgangenen Steuern beim Mehrwertsteuersystem auf 147 Milliarden Euro, dazu kommen noch 50 Milliarden Euro durch Mehrwertsteuerbetrug. Bei der Finanzertragssteuer entgeht den Mitgliedstaaten wegen einer fehlenden Vereinbarung 57 Milliarden Euro, bei der Digitalsteuer – ebenfalls aufgrund einer nicht erreichten Einigung – 5 Milliarden Euro. „Genau diese riesigen Summen wären aber jetzt dringend notwendig um den Sozialstaat abzusichern“, betont Regner. Neben der Gewinnsteuer müssen folglich auch die anderen Steuern endlich EU-weit reformiert werden.
Globale Steuerreform
Auf globaler Ebene forciert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Reform des globalen Steuersystems. Ursprünglich war geplant, dass sich die 134 beteiligten Staaten bis Ende 2020 auf neue Regeln zur Besteuerung multinationaler Konzerne einigen. Die Corona-Pandemie und politische Divergenzen hatten die Verhandlungen zuletzt gebremst, bei einem Treffen im Oktober wurde nun Mitte 2021 als neuer Termin für eine Einigung angepeilt.
Die OECD strebt einen Paradigmenwechsel an: „Die OECD will eine Abkehr vom Grundsatz, dass Unternehmen an dem Ort besteuert werden, an dem sie ansässig sind“, erläutert Sophia Reisecker, „denn dieses Prinzip ermöglicht es den Konzernen bisher, ihre Gewinne in Steueroasen zu verschieben, indem sie dort Hauptniederlassungen gründen – etwa in Irland, Luxemburg oder der Schweiz.“
Dies soll sich ändern, indem in Zukunft ein Teil der Steuern in den Staaten erhoben werden soll, in denen die Firmen ihre Produkte vertreiben und ihre Gewinne erwirtschaften. Diese grundlegende Reform, von der OECD konzipiert als erste Säule, soll als zweite Säule einen globalen Mindeststeuersatz mit sich bringen. Dadurch könnten die Länder noch bestehenden Problemen der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung durch multinationale Konzerne begegnen.
„Wofür wir als Gewerkschaften kämpfen, nicht nur auf nationaler, sondern eben auch auf globaler Ebene, ist mehr Gerechtigkeit. Gewinne sollten nicht wenige Einzelne bereichern, sondern dorthin zurückfließen, wo sie erwirtschaftet wurden, zu den Menschen, die sie erarbeitet haben“, fordert Reisecker, „Wir benötigen diese Mittel dringend für Investitionen in die Zukunft, ganz besonders für unser Gesundheitswesen, für Bildung und für die Absicherung des Sozialstaats.“