Wie kaum ein anderer Konzern konnte Amazon von der Coronakrise profitieren und die Marktmacht auf Kosten seiner Beschäftigten weiter ausbauen.
Der Lockdown im Zuge der COVID-19 Pandemie hat die Nachfrage an Produkten des online-Vertriebs (E-Commerce) sowie im Bereich der IT-Infrastruktur (Webservices) weltweit rasant ansteigen lassen. Vor allem der Internet-Gigant Amazon, mit seiner breit gefächerten Produktpalette, hat dadurch neben Rekordumsätzen auch seinen Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft enorm erweitern können.
Unternehmenschef Jeff Bezos, der schon vor der Krise der reichste Mann der Welt war, konnte sein Vermögen von 113 Mrd. US-Dollar Anfang März auf 182,6 Mrd. US-Dollar Anfang Juli steigern. Die Amazon-MitarbeiterInnen hingegen, die diesen Reichtum erwirtschaftet haben, müssen ihren Job insbesondere während der Corona-Krise vielfach unter untragbaren Arbeitsbedingungen verrichten. An zahlreichen Standorten erkämpften die Beschäftigten gemeinsam mit ihren Gewerkschaften durch Streiks oder die Einschaltung von Arbeitsaufsichtsbehörden notwendige innerbetriebliche Schutzmaßnahmen gegen die weitere Verbreitung des Coronavirus. Dabei haben einige MitarbeiterInnen auch ihren Arbeitsplatz verloren.
Großer Profiteur des Corona-Lockdown: Amazon kann seine Marktmacht noch rasanter ausbauen
Amazon expandierte bereits vor der COVID-19 Krise rasant und konnte seine Vormachtstellung im E-Commerce- sowie im Webservice-Bereich immer weiter ausbauen. Von 2013-2019 stieg der Umsatz des Unternehmens im Durchschnitt um 46% pro Jahr – verglichen mit 10,3% bei Microsoft oder 8,7% bei Apple.
Aufgrund des flächendeckenden Lockdown in zahlreichen Ländern während der Corona-Pandemie haben sich große Teile des stationären Einzelhandels in den online-Bereich verlagert. Amazon konnte daher seit Beginn der Gesundheitskrise noch höhere Umsatzzuwächse einfahren. Im E-Commerce-Bereich konnte das Unternehmen insgesamt eine Steigerung von 20% verzeichnen. Alleine im März stiegen die täglichen Zugriffe auf die Amazon-Homepage um über 9% an. Die Nachfrage nach Dienstleitungen wie Lebensmittellieferungen nahm indessen um 90% zu. Der Absatz von Lebensmitteln war in der Woche vom 16. März doppelt so hoch wie in der Woche vom 6. Jänner. Die Steigerungen beim Verkauf von Schönheits- und Pflegeprodukten lagen im gleichen Zeitraum bei 47%. Durch vermehrte Videokonferenzen, Homeschooling sowie Videostreaming konnte die Unternehmenssparte Amazon-Web-Services (AWS) im ersten Quartal 2020 ihren Umsatz um 33% steigern.
Das Unternehmen profitierte von einer steigenden Nachfrage in nahezu allen Geschäftsbereichen und hat im 2. Quartal 2020 einen geschätzten Betriebsgewinn von ca. 4 Mrd. US-Dollar eingefahren.
USA: Untragbare Arbeitsbedingungen lassen Corona-Fallzahlen in Amazon Verteilerzentren rapide ansteigen
Trotz der gesteigerten Gewinnmargen hat sich die Situation für die MitarbeiterInnen an vielen Standorten verschlechtert. Aufgrund steigender COVID-19-Fallzahlen in den US-amerikanischen Amazon-Lagern verließen zahlreiche Beschäftigten aus Protest ihre Arbeitsplätze an den Standorten in New York, Chicago und Detroit. Im Mittelpunkt der Kritik standen dabei die mangelhaften Gesundheits-, Hygiene- und Sicherheitsvorkehrungen. MitarbeiterInnen beklagten fehlende Schutzausrüstungen und Desinfektionsmittel. Notwendige Hygienemaßnahmen, wie das Händewaschen oder das Reinigen von Arbeitsmitteln, sind aufgrund der vom Management vorgegebenen Erfüllungsquoten pro Schicht kaum mehr möglich gewesen. Darüber hinaus berichteten Beschäftigte über verwirrende Regelungen bei Krankheitsfällen und der Weigerung des Unternehmens, Krankenstände, hervorgerufen durch das Corona-Virus, zu vergüten.
MitarbeiterInnen in den Lebensmittelgeschäften der Amazon-Tochter „Whole Foods Market“ unternahmen ebenfalls Arbeitsniederlegungen. Amazon hat dabei mindestens sechs Beschäftigte, die sich gegen die Firmenpolitik in den USA während der Corona-Pandemie ausgesprochen haben, entlassen. Zahlreiche weitere Beschäftigte berichteten von „disziplinarischen Maßnahmen“ durch Amazon gegen Teile der Belegschaft.
Im Mai reichte sogar Amazon-Vizepräsident Tim Bray aus Protest gegen den Umgang mit den Beschäftigten während der Corona-Pandemie seine Kündigung ein und verurteilte das Verhalten von Amazon in einem öffentlichen Brief scharf.
Am 14. April gab es in knapp 75 der 110 Verteilerzentren von Amazon in den USA mindestens eine positiv auf das Coronavirus getestete Person. Im Mai weigerte sich Amazon die Gesamtzahl der am Virus erkrankten Beschäftigten offenzulegen. Inoffizielle Zählungen gehen von über 900 Infizierten aus.
Frankreich: Gericht gab Klage von Gewerkschaften statt
Mehrere französische Gewerkschaften befanden sich aufgrund der mangelhaften Gesundheits-, Hygiene- und Sicherheitsvorkehrungen in den Verteilerzentren im Streit mit Amazon. Das Unternehmen ignorierte unter anderem gesetzliche Mindeststandards und wurde daraufhin von den Gewerkschaften verklagt.
Ein Gericht stellte daraufhin fest, dass Amazon seinen Verpflichtungen zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit seiner Beschäftigten während der Corona-Krise in den Verteilerzentren nicht ausreichend nachgekommen ist. Das Unternehmen musste dem Urteil zufolge seine Lieferungen auf wichtige Waren wie Lebensmittel oder medizinische Güter beschränken und die Sicherheitsmaßnahmen für die Beschäftigten verstärken. Wäre der Betrieb unter den damaligen Rahmenbedingungen fortgesetzt worden, hätte dem Konzern eine tägliche Geldstrafe in Höhe von einer Million Euro gedroht. Amazon legte erfolglos Berufung gegen dieses Urteil ein und schloss unterdessen alle Verteilerzentren in Frankreich vorerst gänzlich. Nach wochenlangen Verhandlungen einigte sich das Unternehmen mit den Gewerkschaften auf entsprechende Gesundheits-, Hygiene- und Sicherheitsvorkehrungen für die Beschäftigten.
Auch in Deutschland, Italien, Spanien und dem Vereinigten Königreich kam es im Zuge der Corona-Krise von Seiten des Unternehmens zu groben Verstößen was Gesundheit und Sicherheit der MitarbeiterInnen am Arbeitsplatz betrifft. Beschäftigte und Gewerkschaften reagierten darauf weitgehend erfolgreich mit Arbeitsniederlegungen sowie dem Einschalten nationaler Arbeitsaufsichtsbehörden.