Wege aus der Jobmisere

Illustration: PM Hoffmann

Die Corona-Krise hat den Arbeitsmarkt auf den Kopf gestellt. Und der Höhepunkt steht zur Jahreswende noch bevor. Dennoch gibt es Möglichkeiten, gegenzusteuern. Voraussetzung dafür ist ein breiter Schulterschluss in der Gesellschaft – und das Nachdenken, wie Arbeit neu verteilt werden kann.

Es ist das Jahr der Negativ-Rekorde am österreichischen Arbeitsmarkt: Im April 2020 waren 571.477 Menschen ohne Job. Ein historischer Höchststand. Erstmals war die Frauenarbeitslosigkeit höher als die der Männer. Jugendliche und junge Erwachsene sind ebenso dramatisch betroffen. Nach Einschätzung des Arbeitsmarktservice (AMS) Österreich wird der Anstieg der Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe im Vergleich zum Vorjahr am stärksten ausfallen: Im Jahresschnitt werden rund 100.000 Personen im Alter von 15 bis 25 Jahre arbeitslos gemeldet oder in Schulungen sein. Umgelegt auf die Gesamtbevölkerung rechnet AMS-Vorstand Herbert Buchinger übers Jahr mit durchschnittlich 450.000 Betroffenen. Damit nicht genug: Während die Konjunkturprognosen für 2021 eine leichte Entspannung am Jobmarkt vorhersagen, erwartet der AMS-Chef kommenden Jänner noch einmal einen neuen – auch saisonal bedingten – Höchstwert.

„Wir sind in einer Situation, in der es keine einfachen Antworten mehr gibt“

Christine Mayrhuber

„Wir sind in einer Situation, in der es keine einfachen Antworten mehr gibt“, bringt Christine Mayrhuber, WIFO-Expertin für Arbeitsmarkt, Einkommen und soziale Sicherheit die Ausgangslage für die bevorstehende Herbst- und Wintersaison auf den Punkt. Dementsprechend rauchen allerorten die Köpfe. Klar ist: So unterschiedlich die Probleme und Bedürfnisse der einzelnen Gruppen sind – so breit müssen die arbeitsmarktpolitischen Akzente gesetzt werden. Und die Zeit läuft.

„Arbeit solidarisch verteilen“

David Mum, Leiter der Grundlagenabteilung in der GPA-djp, sieht einen vielversprechenden Ansatz in einer Arbeitszeitverkürzung gepaart mit der Neueinstellung von MitarbeiterInnen. Die GPA-djp hat unter dem Titel „90 für 80“ ein Konzept ausgearbeitet, mit dem das bisherige Solidaritätsprämienmodell weiterentwickelt wird. Die Eckpunkte: Auf freiwilliger Basis können MitarbeiterInnen ihre Arbeitszeit auf 80 Prozent reduzieren, wobei sie weiterhin 90 Prozent ihres Gehalts bekommen. Die Differenz würde das AMS für einen Zeitraum von vier Jahren übernehmen. Voraussetzung für die Förderung ist, dass eine arbeitslos gemeldete Person im Ausmaß der Arbeitszeitreduktion angestellt wird. Im Idealfall könnten vier Vollzeitbeschäftigte, die aktuell 40 Stunden pro Woche arbeiten, auf jeweils 32 Stunden reduzieren und im Gegenzug einer/einem Arbeitslosen auf diese Weise einen 32-Stunden-Job ermöglichen. Mum: „Damit können wir zusätzliche Beschäftigung bei gleichbleibendem Arbeitsvolumen schaffen.“ Geeignet wäre das Modell „vor allem für Großunternehmen und Branchen mit Schichtbetrieb“. Was es braucht ist der politische Rückenwind zur raschen Umsetzung – noch im laufenden Jahr.

„Wir wissen, dass 400.000 Beschäftigte in Österreich ihre Arbeitszeit gerne reduzieren würden. Wenn nur jeder zehnte davon mitmacht, dann schaffen wir damit 10.000 Jobs. Wenn sich ein Viertel für das Modell entscheidet, wären es sogar 25.000 neue Arbeitsplätze.“

Barbara Teiber

Barbara Teiber, Vorsitzende der GPA-djp, schlägt in die gleiche Kerbe: „Wir sind aktuell mit einer unfreiwilligen Arbeitszeitverkürzung konfrontiert, für jene, die sich in Kurzarbeit befinden und jene, deren Arbeitszeit auf Null gesetzt wurde. Da nicht absehbar ist, dass die ökonomische Krise schnell überwunden wird, müssen wir uns dringend gemeinsam kreative Gedanken machen, wie wir Arbeit neu und solidarisch verteilen können.“ Und weiter: „Wir wissen, dass 400.000 Beschäftigte in Österreich ihre Arbeitszeit gerne reduzieren würden. Wenn nur jeder zehnte davon mitmacht, dann schaffen wir damit 10.000 Jobs. Wenn sich ein Viertel für das Modell entscheidet, wären es sogar 25.000 neue Arbeitsplätze.“
AMS-Chef Buchinger hält Instrumente wie diese für „sehr gescheit“. Die Art der Förderung gewährleiste, dass „beim Arbeitnehmer nicht die volle Wucht des Gehaltverlustes und beim Arbeitgeber nicht die volle Wucht der Kostensteigerung schlagend wird.“

Großer Wunsch nach kürzerer Arbeitszeit

Illustration: PM Hoffmann

Das Modell „90 für 80“ trifft den Nerv der Debatte. Denn gerade auch in Zeiten der Krise hat sich ein Wunsch manifestiert: „Viele wollen ihre Arbeitszeit verkürzen und nicht mehr zum vollen Umfang zurückkehren. Das belegen inzwischen zahlreiche Studien“, fasst Mum zusammen.

So hat sich die Universität Wien in einem Forschungsprojekt umfassend mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesellschaft befasst. Über Monate hinweg wurden wiederholt Umfragen durchgeführt – mit einer für Österreich repräsentativen Stichprobe. Die Ergebnisse waren regelmäßig in einem Corona-Blog nachzulesen. Was das Thema Arbeitszeit angeht, ist dort folgendes festgehalten: „Eine neue Debatte um eine mögliche Arbeitszeitverkürzung ist angesichts der noch länger andauernden Corona-Krise jedenfalls eingeläutet.“ Denn: „Angesichts der angespannten Lage am Arbeitsmarkt werden Rufe nach einer Arbeitszeitverkürzung laut. Auch die Befragten stehen einer Reduktion der eigenen Arbeitszeit positiv gegenüber. Mehr als die Hälfte der Befragten möchte generell kürzer arbeiten. 3 von 10 Befragten wollen ihre Arbeitszeit sogar um mehr als einen Arbeitstag pro Woche reduzieren. Lediglich 28 Prozent der ÖsterreicherInnen möchten dieselbe wöchentliche Normalarbeitszeit wie im Februar 2020 vor dem coronabedingten Lockdown in Österreich.“

Kampf an vielen Fronten

Arbeitszeitverkürzung allein wird freilich nicht reichen, um dem Einbruch am Jobmarkt beizukommen. Denn der Kreis an Betroffenen, die es besonders schwer haben, ist extrem heterogen. Eine hartnäckige Forderung der Gewerkschaft ist es, dass zumindest 50 Prozent des AMS-Förderbudgets für Frauen reserviert ist. Mayrhuber und ihre Kollegin Ulrike Huemer, ebenfalls Arbeitsmarktspezialistin beim WIFO, betonen wiederum die Herausforderungen für ältere Menschen, gering Qualifizierte sowie Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Huemer: „Wir wissen, dass es mitunter sehr schwer ist, diese Leute wieder zu integrieren.“ Und sie gibt den politischen EntscheidungsträgerInnen eine Warnung mit: „Es ist enorm wichtig, jetzt gegenzusteuern. Damit sich die Arbeitslosigkeit, die im Zuge der Krise dazugekommen ist, nicht verfestigt.“ Gemeint ist damit die Gefahr, dass die Zahl der sogenannten Langzeitbeschäftigungslosen dauerhaft hoch bleibt. Also all jener Personen, die mindestens ein Jahr lang ohne Job sind – Schulungen oder kurzzeitige Beschäftigungen nicht berücksichtigt. Mitte des Jahres machte deren Anteil bereits knapp 30 Prozent in der Arbeitslosenstatistik aus.

Für Huemer führt daher kein Weg daran vorbei, dass „das AMS mehr personelle Ressourcen erhält. Eine intensivere Betreuung bringt mehr Erfolg.“ Weiters fordert sie eine Qualifizierungsoffensive. Davon würden die TeilnehmerInnen ebenso profitieren, wie Kurs- und Ausbildungsanbieter, die damit wieder ihrem Geschäft nachgehen können. Auch die öffentliche Hand könnte sich als Arbeitgeber einbringen – etwa durch Rekrutierung von passenden Arbeitslosen für Jobs in der Verwaltung.

Was die alarmierende Situation bei den Jugendlichen angeht, so rechnet Huemer damit, dass sich die Lehrstellenlücke wieder vergrößern wird. Der Ausbau überbetrieblicher Lehrwerkstätten wäre die logische Konsequenz. In jedem Fall müsse man den Jungen und jungen Erwachsenen besonderes Augenmerk schenken: „Ungünstige Erfahrungen zu Beginn des Arbeitslebens können sich wie Narben durch das gesamte Erwerbsleben ziehen.“

5 Fragen an AMS-Vorstand
Herbert Buchinger

KOMPETENZ: Worauf bereitet sich
das AMS für den Herbst/Winter vor?

Herbert Buchinger: Auf steigende
Arbeitslosigkeit.

KOMPETENZ: Haben wir den Höhenpunkt noch vor uns?

Herbert Buchinger: Ich rechne mit dem Höhepunkt im
Jänner 2021.

KOMPETENZ: Welche inhaltlichen Schwerpunkte plant das AMS?

Herbert Buchinger: Es wird eine Qualifizierungsoffensive geben. Die Schwerpunkte liegen bei Pflege, Sozial- und Betreuungsberufen, bei Metalltechnikberufen und im Bereich Elektronik/Digitale Technologie.

KOMPETENZ: Ist das Ziel der Offensive eher Weiterqualifizierung oder die
Ausbildung von Grund auf?

Herbert Buchinger: Es gibt alle Schienen. Wenn wir das Beispiel Pflege nehmen, ist die Ausbildung zum/zur PflegehelferIn genauso dabei wie jene zur diplomierten Pflegekraft. Es gibt also auch längere Ausbildungen bis ins Jahr 2022.
KOMPETENZ: In der Gruppe der 15- bis 25-Jährigen gibt es im Vergleich zum Vorjahr den stärksten Anstieg bei der Arbeitslosigkeit. Was kann man tun?

Herbert Buchinger: Momentan ist die Situation dramatisch. Mittelfristig ist die Perspektive für diese Gruppe aber intakt. Sie werden von einem Konjunkturaufschwung rasch profitieren, wir können ihnen gut helfen und auch die demografische Entwicklung kommt ihnen entgegen.

Kündigungswelle quer durch Österreich

  • Mitte des Jahres gab der Kristallkonzern Swarovski bekannt, dass an
    seinem Standort in Wattens 200 Arbeitsplätze abgebaut werden.
    Betroffen sind die Bereiche Marketing und Vertrieb. Die Mitarbeiter-
    Innen erhielten ihre Kündigung per E-Mail. Es wurde eine
    Arbeitsstiftung eingerichtet.
  • Mit Hinweis auf die Corona-Krise verkündete ATB in Spielberg im Juli
    das Aus für die Produktion: 360 von 400 MitarbeiterInnen des steirischen
    Antriebsherstellers verlieren trotz massiver Proteste den Job.
  • Ende August meldete der Strumpf- und Wäschehersteller Wolford mit
    Sitz in Bregenz 54 MitarbeiterInnen zur Kündigung an. Betroffen sind
    die Bereiche Zuschnitt und Vorsortierung – die Tätigkeiten werden nach
    Slowenien ausgelagert.
  • Mitte September kündigte MAN an, das Werk in Steyr schließen zu
    wollen. Innerhalb von 3 Jahren werden 2.300 Arbeitsplätze abgebaut.
  • Aufatmen konnten dagegen Beschäftigte der Textilfirma Huber.
    Nicht zuletzt die Nutzung von Kurzarbeit hat Arbeitsplätze und
    Filialnetz erhalten.
  • Von teils massiven Einschnitten ist coronabedingt die gesamte
    Reisebranche betroffen – von Veranstaltern bis zur Luftfahrt.
Scroll to top