Ungarn. Die neue Regierung von Viktor Orban will die Medien in den Dienst der „nationalen Einheit“ stellen. Wer sich widersetzt, dem drohen hohe, existenzbedrohende Strafen.
Nicht nur das freie Wort können Ungarns JournalistInnen in Bedrängnis bringen. Auch Stille wird bestraft. Diese Erfahrung machten der Redakteur des öffentlich-rechtlichen Radiosenders ‚Kossuth’, Zsolt Bogar, und sein Moderator Atilla Mong, als sie Ende Dezember 2010 in den Morgennachrichten eine Schweigeminute einschoben. An diesem Tag beschloss im Budapester Parlament die Regierungspartei ‚Fidesz’ mit ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit ein neues Medienrecht und die beiden Journalisten wollten ihre Zuhörer „aufmerksam machen, was mit dem neuen Medienrecht auf Journalisten und Medienunternehmen zukommt“, so Bogar. Noch am selben Tag wurden sie suspendiert, ein Disziplinarverfahren ist im Laufen. Im öffentlich-rechtlichen Bereich blieben die Bogar und Mong mit ihrem Protest alleine. Private Medien schlossen sich jedoch an: Mehrere Zeitungen erschienen mit leeren Titelseiten, die große Tageszeitung ‚Nepszabadsag’ druckte auf ihre Titelseite in zwölf Sprachen den Satz: „In Ungarn wurde die Pressefreiheit aufgehoben.“
Redaktionsgeheimnis abgeschafft
Ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union hebt die Pressefreiheit auf? Journalist Bogar hält diese Behauptung „für übertrieben“, gibt aber zu, dass das neue Medienrecht in diese Richtung gehen könnte. Zumindest wurde dafür die rechtliche Grundlage geschaffen: So werden Medien unter anderem verpflichtet, „den nationalen Zusammenhalt zu stärken, sowie die Institution der Ehe und die Werte der Familie zu respektieren“ (Artikel 83). Tun sie das nicht, drohen Strafen bis zu 700.000 Euro. Die Einhaltung überwacht eine Medienbehörde, deren Präsidentin Annamaria Szalai von Regierungschef Viktor Orban persönlich auf neun Jahre bestellt wurde. Sie kann die Durchsuchung von Redaktionsräumen und die Herausgabe von Recherchematerial anordnen. Das Redaktionsgeheimnis wurde damit in Ungarn abgeschafft.
Zwar sollen Strafen erst nach einer Übergangsfrist bis 1. Juli verhängt werden (am 30. Juni endet die EU-Präsidentschaft Ungarns), doch die Angst der JournalistInnen drückt sich bereits jetzt in Selbstzensur aus. So bracht etwa eine Radiojournalistin entsetzt ein Interview mit einem Menschenrechts-Experten ab, als dieser das neue Medienrecht ansprechen wollte. Das Interview wurde nie gesendet.
Umstrukturierung
Vor allem im Bereicht der öffentlich-rechtlichen Medien ist die Angst durchaus begründet. Regierungschef Orban hat die Führungsposten von Radio- und TV-Sendern mit Parteigängern besetzt und baut jetzt die Struktur um. Alle Sender werden einem neuen Fonds unterstellt, der von Orbans Parteisoldaten geführt wird. Nachrichten werden in Zukunft für alle Sender zentral von der Nachrichtenagentur MTI produziert. Etliche Nachrichtenredaktionen werden aufgelöst, die JournalistInnen verlieren ihren Job. MTI war bereits im realen Sozialismus das zentrale Nachrichtenorgan von Staat und Partei.
Umbau des Staates
Als internationale Medien, Regierungen anderer EU-Staaten und die EU-Kommission das Gesetz kritisierten, reagierte Orban erst mit beißendem Spott, wollte Korrekturen am Gesetz aber dann doch nicht ausschließen. Sie werden allerdings höchstens kosmetischer Natur sein, denn die Knebelung der Medien ist fester Bestandteil von Orbans Umbau des Staates zum „System der nationalen Einheit“ mit den Tragsäulen „Arbeit, Heim, Familie, Gesundheit und Ordnung“. So steht es in einer Proklamation der Regierungspartei, die in einer Mindestgröße von 50 X 70 Zentimetern in allen Ämtern hängen muss. Unter dem Titel: „Es sei Friede, Freiheit und Eintracht“.
Kritik unerwünscht
Fidesz hat keine Zeit verloren: Im ersten halben Jahr seiner Regierung beschloss das Parlament über hundert neue Gesetze und Verfassungsänderungen. Kein Stein bleibt auf dem anderen, denn es geht darum, „unsere Heimat stark und erfolgreich zu machen“. Wer nicht das hohe Lied der neuen Regierung singt, wer in Verdacht links-liberaler Gesinnung gerät oder Orbans Politik offen kritisiert, der muss mit Rufmord rechnen oder um seine berufliche Existenz fürchten.
Ungarische Medien schreiben von 12.500 Entlassungen in staatlichen oder staatsnahen Institutionen seit dem Regierungswechsel. Das Verfassungsgericht wurde entmachtet, der Rechnungshof mit Fidesz-Anhängern besetzt. Wo die Partei keinen direkten Zugriff hat, werden Finanzquellen trocken gelegt. Die vielen kleinen Off-Theater in Budapest und der Provinz erhalten keine Subventionen mehr. Das Kulturressort gehört jetzt zum Superministerium „für nationale Ressourcen“ und fördert nur mehr, „was der Nation dient“. Besonders eilig hat es Orban mit einer neuen Verfassung. Ursprünglich sollten alle Vorschläge bis Ende 2012 diskutiert werden, dann wurde die Frist auf Frühjahr 2011 verkürzt, das Parlament erfuhr davon aus den Medien. In der Präambel der neuen Verfassung werden der christliche Charakter des Landes und die „Lehre der heiligen Krone“ verankert – einem aus dem Mittelalter stammenden Regelwerk über die Einheit des Landes und die Pflichten des Königs.
Zaghafte Proteste
Bisher war in Ungarn der Widerstand gegen die systematische Schwächung der Demokratie schwach. Die sozialistische Opposition im Parlament ist durch zahlreiche Korruptionsfälle während ihrer Regierungszeit diskreditiert, die Gewerkschaften sind zerstritten, die NGOs unbedeutend. Der Versuch, die Medien zu knebeln und die Kritik aus Europa lässt die Ungarn nun langsam aktiv werden. Noch ist der Protest eher symbolisch. Auf der Straße demonstrieren Flashmobs mit 200 TeilnehmerInnen, auf Facebook entstehen Protestgruppen. Dennoch glaub der Journalist Zsolt Bogar, dass daraus echter Widerstand entstehen könne. Die Regierung werde das Mediengesetz ändern müssen, „nicht jetzt, aber spätestens in einem halben Jahr“.
Bernhard Odehnal ist Korrespondent des Schweizer „Tagesanzeiger“. Gemeinsam mit Gregor Mayer schrieb er das Buch „Aufmarsch – die rechte Gefahr aus dem Osten“ (Residenzverlag 2010), in dem unter anderem der Aufstieg der ungarischen Nationalisten beschrieben wird.