Der ORF gehört dem Publikum

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Den ORF zu beschädigen ist gefährlich und dumm. Was mit dem und im ORF passiert ist nicht zuletzt auch demokratiepolitisch gefährlich.

Ein schwacher ORF nützt niemandem. Am allerwenigsten der gesamten österreichischen Medienlandschaft. Was Parteien und von diesen entsandte Stiftungsräte sowie die ORF-Geschäftsführung seit Monaten aufführen ist eine permanente Beschädigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Unter Teilnahme auch noch von Zeitungsverlegern – nicht zuletzt bei der Werdung der ORF-Gesetz-Änderungen. U.a. mit dem Effekt, dass auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dem Leitmedium des Landes, sozial- und medienpolitisch inakzeptable Vorgangsweisen wie (auch rechtlich nicht haltbare) Kollektivvertragsflucht bzw Ausgliederungen und drastische Reduktionen journalistischer Substanz dramatisch angewachsen sind. Auf Kosten und zum Schaden des Publikums und der ORF-MitarbeiterInnen.

Das einzig Positive der aktuellen Entwicklungen ist, dass das erst seit 1. Oktober geltende ORF-Gesetz schon bald wieder geändert werden müssen wird. Nach Meinung aller ernsthaften Fachleute wird der Verfassungsgerichtshof nämlich den anhängigen Beschwerden gegen die unsinnige (Fax-)Wahl von Publikumsräten stattgeben. Und dass es dann bei der Änderung eines einzigen Paragraphen bleibt, ist in Anbetracht, was alles in der heimischen Innenpolitik mit was allem verknüpft zu werden pflegt, wohl kaum zu erwarten.

Medienpolitische Bankrotterklärung

Und es gibt wahrlich genug Änderungsbedarf. „Eine wirtschaftlich gesicherte Grundlage des ORF als starkes, unabhängiges Leitmedium“ des Landes, eine völlig neue Konstruktion der Aufsichtsgremien des ORF und bei einer neuen Medienbehörde auch auf mediale Fachkompetenz zu setzen, waren im Juni 2009 zentrale Forderungen einer von der GPA-djp eingebrachten und vom ÖGB-Bundeskongress beschlossenen Resolution. Ganz in diesem Sinn gab es dann u.a. in Stellungnahmen zum Gesetzesentwurf detaillierte Vorschläge von ÖGB, AK, ORF-Redakteurs- und Zentralbetriebsrat. All diese Forderungen sind weiter aufrecht, denn im nun geltenden „neuen“ ORF-Gesetz ist von alldem nichts zu finden. Stattdessen wurde der ORF ökonomisch sogar noch weiter geschwächt und sein Online-Angebot auf Wunsch der Zeitungsherausgeber amputiert. Der ORF-Redakteursrat bezeichnete das als „Bankrotterklärung sogenannter Medienpolitik“. Der ORF-Zentralbetriebsrat befürchtet „Folgeschäden für das Unternehmen und seine Belegschaft“, der Redakteursrat „unvermeidlichen Konsequenzen für den Umfang und die Qualität der Berichterstattung, dem Kerngeschäft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“.

Imageschaden

Der ORF gehört aber jedenfalls weder der ORF-Geschäftsführung noch Politikern. Auch wenn diese das nicht glauben wollen. Er ist ausschließlich seinem Publikum, der demokratischen Öffentlichkeit verpflichtet. Die überwältigende Mehrzahl der ORF-JournalistInnen agiert dementsprechend. Auch wenn es ihnen noch so schwer gemacht wird. Das Image des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird seit Monaten arg beschädigt. Der ORF ist unübersehbar in einer schlimmen Krise. „Verursacher sind der Gesetzgeber, der Stiftungsrat und die Geschäftsführung“ heißt es dazu in einer im November beschlossenen Resolution des ORF-Redakteursausschusses (das sind die RedakteurssprecherInnen aus allen Bereichen des Unternehmens). Und weiter steht in dieser Resolution:  „Aber auch in dieser Situation schaffen es die ORF-MitarbeiterInnen – nicht zuletzt im öffentlich-rechtlichen Kernbereich, bei den journalistischen Programmen – Qualität und Quoten (noch) auf internationalem Höchstniveau zu halten. Engagement und Möglichkeiten der ProgrammmacherInnen sind allerdings längst an den Grenzen der Zumutbarkeit angelangt. In den letzten beiden Jahren wurde die Belegschaft um rund 500 MitarbeiterInnen reduziert und in den nächsten beiden Jahren soll der Personalstand sogar noch um weitere 150 MitarbeiterInnen verringert werden. Ausschließlich Geschäftsführung und Stiftungsräte glauben, dass diese Art von ‚Sparkurs‘ ohne Auswirkungen auf die Programmqualität funktionieren kann.“

„Sparkonzept“ ist Zerstörungskonzept

Was der ORF braucht, sind klare, strukturelle Entscheidungen, die die Konzentration aufs Wesentliche garantieren. Ein absurder, nach Zufallskriterien und nach Rasenmähermethode durchgezogener Personalabbau ist drauf und dran eine nachhaltige, kaum mehr wieder gut zu machende Beschädigung der Substanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu verursachen. Ein ORF, der aber nicht mehr im Stande wäre die öffentlich-rechtlichen Kernaufgaben tadellos zu erfüllen – und es ist fast so weit – hätte seine (Gebühren-)Legitimation verloren. Ein „Sparkonzept“, das das zwangsläufig mit sich bringt, ist kein Reform- sondern ein Zerstörungskonzept. Das müssen endlich auch die ORF-Geschäftsführung, der ORF-Stiftungsrat und der Gesetzgeber akzeptieren und entsprechend handeln.

Im Vorfeld bevorstehender Änderungen des ORF-Gesetzes (und der Geschäftsführungsneuwahl) erinnerte der ORF-Redakteursrat deshalb die Klubobleute aller Parlamentsparteien an die wesentlichsten, seit Langem immer wieder erhobenen Forderungen der ORF-JournalistInnen.

Notwendige Gesetzesänderungen

Das ist vor allem die völlige Neukonstruktion des ORF-Aufsichtsgremiums. Dieses wäre  analog zu Aufsichtsräten anderer Großunternehmen zu gestalten. Also maximal 12 – 15 Mitglieder, ein Drittel davon BelegschaftsvertreterInnen, entsandt vom Konzernbetriebsrat (was bei den Ausgliederungs-Entwicklungen des Unternehmens längst selbstverständlich sein müsste) und vom Redakteursausschuss (auch um der Bedeutung des Informationsangebots Rechnung zu tragen). Wer warum als „Eigentümervertreter“ ins Aufsichtsgremium entsandt wird, muss öffentlich kontrollierbar und nachvollziehbar gemacht werden. Für jede/n KandidatIn ist ein Qualifikationsnachweis zu veröffentlichen. Jedenfalls müssen beim Auswahlmodus Voraussetzungen geschaffen werden, dass dem ORF-Aufsichtsgremium Mitglieder angehören, die persönliche Reputation zu verlieren haben und nicht (meist einhellig und vorbehaltlos) bloß Fraktionsvorgaben erfüllen. Auch dürfen sie nicht in Geschäftsbeziehungen zum ORF stehen, was im Gesetz zu definieren ist, da sich seit Jahren zeigt, dass StiftungsrätInnen/KuratorInnen nicht in der Lage bzw. nicht Willens zu einer Selbstkontrolle von Unvereinbarkeiten sind.

Und es müssten auch die Hauptfehler der letzten Gesetzesänderung korrigiert werden: Das heißt, die  – auch verfassungsrechtlich bedenkliche – Koppelung der teilweisen, befristeten Gebührenbefreiungsrefundierung an eine weitere „strukturelle Reduktion der Personalkosten“ und eine „Reduktion der Pro-Kopf-Kosten“ ist aus dem Gesetz zu streichen. Ebenso wie die – ebenfalls verfassungsrechtlich bedenklichen – Amputationen des ORF-online-Angebots, nach denen die „Berichterstattung nicht vertiefend“ sein darf und die Berichterstattung auf den ORF-Landesstudio-Seiten grotesken quantitativen Einschränkungen unterworfen ist.

Und die ORF-JournalistInnen verlangen auch abermals – als Stärkung der ORF-Unabhängigkeit – die im ORF-Redakteursstatut fixierten Anhörungsrechte der ORF-JournalistInnen zu echten Mitwirkungsrechten zu machen. So wie es eigentlich im Gesetz steht: „MITWIRKUNG an personellen und sachlichen Entscheidungen, welche die journalistischen Mitarbeiter betreffen.“ Dazu würde z.B. gehören, leitende JournalistInnen mit einer deutlichen Redakteursversammlungsmehrheit abberufen zu können.

Demokratiepolitische Notwendigkeit

Abschließend steht im Schreiben des ORF-Redakteursrats an die Klubobleute: „Ohne neue, vernünftige gesetzliche Rahmenbedingungen wäre auch eine neue Geschäftsführung in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt, weil weiterhin schwer abhängig von Stiftungsräten, die vor allem die Wünsche der sie entsendenden Parteien exekutieren. Die ORF-JournalistInnen appellieren an Sie, gesetzliche Weichenstellungen nicht ausschließlich aus – den ORF zwangsläufig schädigenden  – parteipolitischen Interessen vorzunehmen, sondern endlich einen wirklich unabhängigen, starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu ermöglichen. Dieser ist demokratiepolitisch unverzichtbar, müsste also eigentlich auch jedem/jeder Abgeordneten ein ganz besonderes Anliegen sein.“

Natürlich hieße das u.a., dass endlich auch Parteisekretariate erkennen müssten, dass sie keinesfalls davon ausgehen dürfen, es stünde ihnen zu über die Besetzung wesentlicher (und auch weniger wichtiger) ORF-Posten zu entscheiden. Das wird etlichen PolitikerInnen kaum gefallen. Aber – und das sehen in persönliche Gesprächen immer häufiger auch wesentlichen Parlamentarier so – ein starker, wirklich unabhängiger ORF ist das beste, demokratiepolitisch unverzichtbare, Gegengewicht zu einer Medienkonzentration, die den öffentlichen Diskurs lähmt und einer „Medienpolitik“, die vorwiegend aus der Vergabe öffentlicher Inserate (und damit von viel Steuergeld) an Medien, die Ausländer- und EU-Feindlichkeit und Politikverdrossenheit fördern besteht.

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