Gleichstellung: Schweden, das gelobte Land?

Shadé Jalali, Unionen, Schweden (c) N. Wagner-Strauss
Shadé Jalali, Unionen, Schweden

Das skandinavische Vorzeigeland hat in der Gleichstellungspolitik bereits vieles umgesetzt. Frauen wie Männer kämpfen dennoch gegen traditionelle Rollenbilder.

Kochen, putzen, bügeln, Kinder versorgen und beaufsichtigten, das alles ist unbezahlte Arbeit. Meistens wird sie von den Frauen bzw. Müttern erledigt. Oder an – sehr oft illegal tätiges – Personal delegiert. Rasen mähen und das Auto zum Service bringen sind natürlich auch unbezahlte Arbeiten, die oft Männer übernehmen – „aber sie fallen seltener an“, könnte man einwenden.  Selbst im „gelobten Land“ Schweden müssen sich Männer und vor allem Frauen gleiche Chancen erkämpfen, entscheiden sie sich als Berufstätige für Familie mit Kindern, kritisiert Arbeitnehmervertreterin Shadé Jalali. „In Schweden ist die Gleichstellungspolitik ganz und gar nicht perfekt. Daher bin ich erstaunt, dass man hier in Österreich nach Schweden als Vorzeigeland aufblickt.“

Einkommensschere

Vergleicht man mehrere Größen aus Wirtschaft, Politik, Bildung und Gesundheit, liegt Schweden an erster Stelle, wenn es um die Gleichstellung der Geschlechter geht. Diese ist laut dem Weltwirtschaftsforum („Global Gender Gap Report 2011“) zu 80 Prozent erreicht.

Auch der Unterschied zwischen Schwedinnen und Schweden beim Monatsgehalt beträgt knapp 20 Prozent; in Österreich klafft diese Schere zu rund 40 Prozent auseinander. Zieht man davon ab, dass Schwedinnen etwa häufiger im öffentlichen Dienst arbeiten und auf Grund der Babypausen weniger Arbeitserfahrung haben, würden zehn Prozent des Geschlechterunterschiedes wegfallen. „Die restlichen zehn Prozent sind nur durch Diskriminierung erklärbar“, unterstreich Jalali, Gleichstellungsexpertin der schwedischen Gewerkschaft ‚Unionen’ bei ihrem Besuch in Wien. Unionen, eine Art Schwesterorganisation der GPA-djp, existiert in ihrer jetzigen Form seit vier Jahren und vertritt rund 500.000 Mitglieder im Privatsektor – Tendenz steigend, „vielleicht weil immer mehr privatisiert wird“, mutmaßt Shadé Jalali.

Organisationsgrad

71 Prozent der ArbeitnehmerInnen in Schweden sind gewerkschaftlich organisiert, wiewohl der Spitzenwert 1995 bei 86 Prozent lag. Unverändert starke Positionen vertreten die Gewerkschaften in der Gleichstellungspolitik. „Wir stehen keiner politischen Partei nahe, wir verhandeln mit allen Parteien außer mit der rassistischen Partei“, präzisiert die Unionen-Vertreterin im Gespräch.

Elternkarenz

Die Elternkarenz ist ihr ein besonderes Anliegen. Für Shadé Jalali hängen nämlich die Dinge zusammen, die „äußere“ Arbeitswelt mit der „inneren“ Familienwelt und umgekehrt. Zwar hat Schweden in Bezug auf die Kinderkarenz ein äußerst flexibles Modell: 480 Tage können sich Mutter und Vater nach den Bedürfnissen der Familie aufteilen und auch tage- oder stundenweise in Karenz gehen, inklusive Gehalt von bis zu 80 Prozent. Mindestens zwei Monate von diesen 480 Tagen müssen vom anderen Elternteil in Anspruch genommen werden (auch bei gleichgeschlechtlichen Paaren).

Wie reagieren die Arbeitgeber auf dieses Modell? „Sie sind unglücklich damit! Sie erwarten von den Frauen, dass sie in Karenz gehen. Und die Männer, die es tun, werden bestraft“, berichtet Jalali.

Immerhin 20 Prozent der schwedischen Väter nützen den rechtlichen Rahmen der Babykarenz – das Zehnfache ihrer österreichischen Kollegen. Unbefriedigend ist das für die Gleichstellungsexpertin trotzdem. Was bleibt, ist, dass auch in Schweden viel mehr Frauen die unbezahlte Familien- und Hausarbeiten erledigen und nach der Karenz oft nur in Teilzeit in ihren Job zurückkehren.

Verpflichtende Väterkarenz

Sollte es eine EU-weite Regelung zur verpflichtenden Väterkarenz geben? Die schwedische Gewerkschaftsvertreterin meint: „Die Väterkarenz sollte in jedem Land verpflichtend eingeführt werden. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass Männer oft auch von den Frauen, Müttern oder anderen Verwandten daran gehindert werden, in Karenz zu gehen.“

Einkommensberichte

Solange die unbezahlte Arbeit im Privatbereich nicht anders verteilt sei, werden sich bei der Gleichstellung am Arbeitsmarkt immer Probleme ergeben, so Shadé Jalali. Dagegen sind offensichtlich auch die verpflichtenden Einkommensberichte machtlos: Unternehmen ab 25 MitarbeiterInnen müssen alle drei Jahre die Gehälter offen legen (in Österreich: Betriebe ab 500 MitarbeiterInnen, Anm.); so soll gegen die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen angekämpft werden. Der Erfolg ist mäßig, nur 40 Prozent der schwedischen Betriebe kommen ihrer Verpflichtung nach – ohne dass es Sanktionen gibt.

Frauen in Aufsichtsräten

Nachbesserungsbedarf ortet die Gleichstellungsexpertin auch in den Führungsebenen der Unternehmen:  Wie die meisten anderen Länder hinkt Schweden hier ebenfalls hinterher, Frauen sind zu etwa einem Drittel deutlich in der Minderheit in den Vorständen und Aufsichtsräten. Während etwa Norwegen, die Niederlande oder Frankreich eine verpflichtende Frauenquote eingeführt haben, existiert diese in Schweden ebenso wenig wie in Österreich. Diskussionen darüber gebe es immer wieder, bestätigt auch Shadé Jalali. Sie nennt Zahlen, wonach unter – den Familienhaushalt führenden – Frauen jede fünfte von sich behaupte, keine „Managerin“ zu sein; bei den Männern ist es einer von zehn.

Auf Unternehmensebene könnte es EU-weit bald eine gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote geben, sollten sich die Unternehmen nicht freiwillig bewegen und mehr Frauen in Spitzenpositionen zulassen. Das hat EU-Kommissarin Viviane Reding, für Gleichstellungsfragen zuständig, bereits angekündigt. In der Praxis tut sich wenig bis dato: Im EU-Durchschnitt ist der Frauenanteil jüngst lediglich von 11,8 auf 13,7 Prozent gestiegen (von Oktober 2010 bis Jänner 2012), in Österreich von 8,7 auf 11,2 Prozent. Die höchste Frauenquote weist Finnland auf (27,1 Prozent), die niedrigste Malta (drei Prozent).

Noch vor dem Sommer soll ein EU-Gesetzesentwurf vorliegen. Denn: „Beim jetzigen Tempo brauchen wir noch 40 Jahre, um ein ausgewogenes Verhältnis von 40 Prozent Frauen zu erreichen“, meinte die EU-Kommissarin. Das sieht auch Shadé Jalali so und glaubt: „Das werde ich dann vielleicht noch erleben.“

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