Arbeitsrecht: Mogelpackung freier Dienstvertrag

Umgehungsverträge grassieren besonders seit den 1990er Jahren – den Schaden haben DienstnehmerInnen und Sozialversicherungsträger.

Egal, ob sie Telefonumfragen machen, täglich Nachrichten und Berichte verfassen oder erklären, wie der Mist zu trennen ist. Ob BerufsanfängerInnen, AlleinerzieherInnen oder JungakademikerInnen. Sie arbeiten wie fix angestellte MitarbeiterInnen – gelten aber nicht als ArbeitnehmerInnen und verlieren so Geld, da für sie der Kollektivvertrag nicht zur Anwendung kommt und haben u.a. auch keinen Urlaubsanspruch. Das ist kein Szenario aus dem Wilden Westen. In Österreich gibt es DienstnehmerInnen mit Verträgen, auf denen etwas Anderes draufsteht, als tatsächlich drinsteckt.

Ist es ein „Freier Dienstvertrag“ und der/die TelefoninterviewerIn oder DienstnehmerIn in der Redaktion ist zum Beispiel an bestimmte Arbeitszeiten und Weisungen gebunden, zählt nicht die Überschrift. Konkret: Wurde ein Freier Dienstnehmervertrag abgeschlossen, der nach dem tatsächlichen Berufsalltag aber rechtlich anders – nämlich eine Anstellung – wäre, spricht man von einem Umgehungsvertrag. Denn der Dienstgeber umgeht Sozialversicherungsbeiträge und erspart sich zum Beispiel Urlaubs- und Weihnachtsgeld für die betreffenden DienstnehmerInnen.

Ausbeutung

Rund 20.000 freie DienstnehmerInnen gibt es derzeit in Österreich. „Etwa 90 Prozent davon sind Umgehungsverträge“, schätzt Edgar Wolf, Regionalsekretär der GPA-djp, zuständig für Medien und Kommunikation in Wien. Durch die 2008 von der GPA-djp erreichte sozialrechtliche Absicherung fand ein deutlicher Rückgang freier Dienstverträge statt. Aber noch immer existieren zahlreiche Umgehungsverträge, vor allem in den Bereichen Information und Kommunikation, Erziehung und Unterricht oder Gesundheits- und Sozialwesen, so Edgar Wolf.

In vielen Fällen nehmen freie DienstnehmerInnen die Situation hin, dass sie wie normale ArbeitnehmerInnen arbeiten und in den Arbeitsalltag vollständig eingebunden sind. Zumindest am Anfang. Steigt das Gefühl, ausgenützt zu werden, steigt auch der Unmut. Oft haben Betroffene jedoch nicht den Mut, ihre Lage bei der zuständigen Krankenkasse und der GPA-djp aufzuzeigen und gegen den Dienstgeber rechtlich vorzugehen, berichtet Wolf. „Diesen Druck muss man erst aushalten.“ Um Geld verdienen zu können, akzeptieren viele einen ausbeuterischen Job, der arbeitsrechtlich nicht in Ordnung ist.

Schwarze Schafe

Hinzu kommt, dass viele eine Tätigkeit unter ihrem Ausbildungsniveau ausüben müssen. Beispielsweise gibt es bei Umfrageinstituten viele Uni-AbsolventInnen, die auf Basis eines Werkvertrages oder freien Dienstnehmervertrages arbeiten. Arbeitsrechtlich gelten sie damit als Selbstständige. Das stimmt mit der tatsächlichen Tätigkeit bei einem Meinungsforschungsinstitut hingegen nicht überein. Selbst wenn die DienstnehmerInnen von zu Hause arbeiten und ihnen der Dienstgeber einen Telefon- und Internetzugang legt, seien sie weisungsgebunden, präzisiert die Gewerkschaft. Nach Überprüfung der Krankenkasse mussten daher in der Vergangenheit mehrere Institute hunderte freie Dienstverhältnisse in Angestelltenverhältnisse umwandeln. Und in der Branche soll es noch immer schwarze Schafe geben.

Das gilt für österreichische Print- und Hörfunkmedien ebenso. Vor einigen Jahren haben wohl die Austria Presse Agentur (APA) etwa oder zum Teil der ORF viele Scheinselbstständige als Angestellte übernehmen müssen. Verbesserungen hat es übrigens auch bei den Telefon-Hotlines betreibenden Call Centers gegeben und bei den TrainerInnen in den Erwachsenenbildungsinstituten. Hier hat sich die GPA-djp jahrelang intensiv um diese Branchen gekümmert.

Freiwild beim ORF

Doch insbesondere die Umgehungsverträge im ORF lassen die Betroffenen immer wieder auf die Barrikaden steigen. Weil sie sich als „Freiwild“ neoliberalen Wirtschaftens fühlen, veröffentlichten die freien ORF-MitarbeiterInnen im Herbst einen offenen Brief. Darin hieß es, sie produzierten maßgeblich, was „den Bildungsauftrag rechtfertigt“, Kernstücke des Public-Value-Berichts, mit dem „der ORF seinen Gebührenzahlern beweist, dass ihr Geld gut angelegt ist“. Beispielsweise im Radiosender Ö1 bestreiten die freien MitarbeiterInnen mehr als die Hälfte der Sendezeit – entlohnt werden sie aber wie PraktikantInnen. „Die freien ORF-MitarbeiterInnen lassen sich diese Gesetzesumgehungen schon viel zu lange widerstandslos gefallen“, meinte dazu Karl Proyer, stv. Bundesgeschäftsführer der GPA-djp. „Es ist in Wahrheit längst an der Zeit, dass ein Parade-Unternehmen wie der ORF sich damit beschäftigt, inakzeptable Umgehungsverträge aus der Welt zu schaffen.“

Tipps, wie sie als Dienstgeber einer Bestrafung entgehen, bekommen Unternehmen auf der Homepage der Wirtschaftskammer: Sie müssen die Dienstnehmerbeiträge (und Dienstgeberbeiträge) zwar nachzahlen, wenn Betroffene ihren Fall aufzeigen. In der Regel meldet die Gewerkschaft das der Krankenkasse. Diese kann das Unternehmen bis zu fünf Jahre im Nachhinein auf Beitragszahlungen überprüfen. Nach drei Jahren verfallen jedoch allfällige Ansprüche der DienstnehmerInnen auf Nachzahlungen, erläutert Edgar Wolf: „Der Arbeitgeber hat sich auf jeden Fall etwas erspart.“

Enormer Schaden

Wie hoch der Schaden für die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), Österreichs größtem Krankenversicherungsträger (mit 1,1 Millionen Versicherten und rund 400.000 Angehörigen) ist, vermag man nicht zu beziffern. Aus der Pressestelle war auf Anfrage nur zu erfahren: „Wir wissen nicht, wer uns durch die Lappen geht.“

Die Gewerkschaft rät, dass man sich an sie wendet, sollte man glauben, von einem Umgehungsvertrag betroffen zu sein. „Und in neun von zehn Fällen, die an uns herangetragen und von uns überprüft werden, wird’s ein Umgehungsvertrag sein“, sagt Wolf. Viele Betroffene würden auch gar nicht genau den Unterschied zwischen einem freien Dienstnehmervertrag und einem Dienstvertrag als Angestellte kennen. Wünschenswert wären verschärfte Bestimmungen für den Freien Dienstvertrag – dazu bräuchte es freilich eine Änderung der Rechtslage. Mehr Information zu Beruf und Arbeitsrecht sollte es auch in Schulen und Universitäten geben.

Nicht zuletzt wäre der Begriff der ArbeitnehmerInnen neu zu definieren. Neben der persönlichen, an Arbeitszeit und -ort gebundenen ­Abhängigkeit müsste heute auch verstärkt die wirtschaftliche Abhängigkeit eine Rolle spielen. Denn die wissen Unternehmen durch „freie“ Ver­träge weidlich auszunutzen.

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