Übergriffe am Arbeitsplatz sind eher Alltag denn Ausnahme. Oft helfen schon bauliche Maßnahmen und Verringerung des Arbeitsdrucks, um verbaler und physischer Gewalt vorzubeugen.
Die Kollegin, die ständig vor Vorgesetzten über vermeintliche Fehler in der Arbeit in ihrem Team stichelt: Sie setzt andere damit so unter Druck, dass diese das Gefühl haben, gar nicht mehr zur Arbeit gehen zu können. Der Kunde, der die Verkäuferin für den Mangel bei einem Produkt zur Verantwortung zieht, sich dabei im Ton vergreift und ihr sogar Drohungen an den Kopf wirft. Der Patient, der dement im Bett liegt, sich aber mit viel Kraft wehrt, wenn eine Pflegerin ihn waschen möchte und sie dabei verletzt.
Gewalt am Arbeitsplatz hat viele Facetten, wie die Arbeiterkammer-Expertin Johanna Klösch Mittwoch Abend bei einer Informationsveranstaltung der GPA-djp zu diesem Thema betonte. Körperliche Übergriffe fallen hier ebenso darunter wie Belästigung, auch sexueller Natur, Stalking und Mobbing. Die International Labour Organization (ILO) hat Gewalt am Arbeitsplatz so definiert: „Eine Handlung, eine Begebenheit oder ein von angemessenem Benehmen abweichendes Verhalten, wodurch eine Person im Verlauf oder in direkter Folge ihrer Arbeit schwer beleidigt, bedroht, verletzt, verwundet wird.“
Keine Ausnahme
All das kommt öfter vor, als man denkt. 20 Prozent der Beschäftigten in Österreich waren laut Eurofund-Studie von 2015 bereits mit Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz konfrontiert. Eine IFES-Befragung im Auftrag des ÖGB Burgenland im vergangenen Jahr ergab, dass 22 Prozent der ArbeitnehmerInnen sich bereits verbaler Gewalt ausgesetzt sahen, 13 Prozent Beschimpfungen und/oder Beleidigungen. Ein Prozent der Beschäftigten wurde Opfer eines körperlichen Übergriffs. Insgesamt sind Frauen stärker von Gewalt betroffen als Männer – drei Prozent der befragten Mitarbeiterinnen im Burgenland berichteten 2018 zudem von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz.
BetriebsratsvertreterInnen aus mehreren Branchen schilderten am Mittwoch, womit Beschäftigte konkret konfrontiert sind. Nerijus Soukup, Betriebsratsvorsitzender der Firma Mentor Erwachsenenbildung, schilderte die zunehmend schwierige Arbeitssituation für TrainerInnen. Würden TeilnehmerInnen das Kursziel nicht erreichen und daher in der Folge das AMS-Geld nicht mehr bekommen, mache so mancher den Lehrenden dafür verantwortlich. Das könne dann auch zu Drohungen wie „Ich pass dich draußen ab“ führen. Statt sich hinter seinen Mitarbeiter zu stellen, sehe so mancher Kursanbieter dann aber nur das Geld, das das AMS nun auch für den Kursplatz nicht mehr zahle. „Der Arbeitgeber hat aber hier seiner Fürsorgepflicht für seine MitarbeiterInnen nachzukommen.“
Verantwortung des Arbeitgebers
Diese Fürsorgepflicht setzt übrigens schon präventiv an, wie Klösch hervorstrich. Und: Maßnahmen seien für das Kollektiv, also für alle MitarbeiterInnen zu setzen, und nicht etwa in Form von Mediation erst dann, wenn es bereits einen Konflikt gebe. An oberster Stelle stehen übrigens technische Maßnahmen: Gute Beleuchtung, die bauliche Trennung von ArbeitnehmerInnen und KundInnen, das Geringhalten von Bargeldbeständen, offene Räume statt kleine Zimmerchen – das alles trage zu einer grundsätzlich entspannteren Situation am Arbeitsplatz bei. Organisatorische Maßnahmen wie Zutrittsregeln, Team- statt Einzelarbeit, ausreichend Personal, Wartezeitenmanagement aber auch klare Vorgaben für den Ernstfall können Gewalt ebenfalls vorbeugen. Erst am Ende der Maßnahmenkette sollten personenorientierte Ansätze wie etwa Schulungen im Erkennen früher Anzeichen von Aggression oder dem Umgang mit so genannten schwierigen KundInnen stehen.
„Da gibt es dann verbale und physische Angriffe und wir hatten bis vor einigen Jahren gehäuft auch sehr schwere Vorfälle, bei denen MitarbeiterInnen massiv verletzt wurden und dann Monate lang im Krankenstand waren“
Vivian Fletzer, Betriebsratsvorsitzende der Psychozialen Dienste (PSD) in Wien
Vivian Fletzer, Betriebsratsvorsitzende der Psychozialen Dienste (PSD) in Wien, weiß, dass bauliche Maßnahmen bereits helfen können, die Auswirkungen von Gewalt für MitarbeiterInnen gering zu halten. Im PSD werden auch schwerstkranke Menschen betreut, die ihre Behandlung – also etwa die Einnahme von Psychopharmaka – verweigern. „Da gibt es dann verbale und physische Angriffe und wir hatten bis vor einigen Jahren gehäuft auch sehr schwere Vorfälle, bei denen MitarbeiterInnen massiv verletzt wurden und dann Monate lang im Krankenstand waren“. Immer wieder kam es zum Beispiel vor, „dass Bildschirme geflogen sind oder Sessel“. Solch ein Verhalten von zu Betreuenden sei auch bis heute nicht ausgeschlossen.
Vorbereitet sein
Inzwischen habe man aber zum Beispiel dafür gesorgt, dass die Ambulanzscheibe auch bei stärkerem Druck dagegen nicht aus ihrer Halterung fällt. Es habe Begehungen der Räumlichkeiten mit der AUVA gegeben, um sich genau anzuschauen, wo es weitere Verbesserungen geben könne. Zusätzlich seien die organisatorischen Abläufe im Fall von Übergriffen nun klar geregelt. „Wer ruft die Polizei? Wer kümmert sich um die anderen KlientInnen und PatientInnen? Wer informiert bei einem Vorfall in der Ambulanz auch die MitarbeiterInnen des Tageszentrums?“
Christoph Bures ist Zentralbehindertenvertrauensperson bei der Uni Credit Bank Austria AG. Er weiß nach einer Krebserkrankung selbst, wie schwer es danach ist, wieder ins Berufsleben zu finden. Die Vorgesetzten machten es einem dabei oft nicht leicht: Die Situation sei unangenehm, man wisse nicht, wie damit umgehen. Das führe in der Folge immer wieder zu Mobbing von Betroffenen. Von ähnlichen Schwierigkeiten berichtete bei der Veranstaltung Mittwoch Abend auch eine Teilnehmerin, die selbst an einer Erschöpfungsdepression erkrankt war. Es gebe viele Menschen, die trotz einer Erkrankung arbeitsfähig seien, sie hielten aber nicht zu viel Druck stand. Hier fehle aber von Arbeitgeberseite oft das Bewusstsein und der richtige Umgang.
Stichwort Druck: Bures betonte, dass die Personalverknappung im Bankenwesen natürlich auch zu mehr Arbeitsdruck geführt habe. Das führe notgedrungen in der Belegschaft zu Spannungen. Was Gewalt von außen angehe, sei man bis 2011/12 mit vielen Banküberfällen konfrontiert gewesen. In den vergangenen Jahren nehme wiederum die Gewalt von KundInnenseite zu, etwa wenn kein Kredit eingeräumt werden könne.
Unabhängig davon warum MitarbeiterInnen Gewalt am Arbeitsplatz ausgesetzt sind: Der Arbeitgeber hat hier die Pflicht, die Beschäftigten zu schützen, unterstrich Klösch. Sie argumentierte zudem, dass Maßnahmen zur Gewaltprävention am Ende auch dem Betrieb zu Gute kommen und für ein besseres Geschäftsergebnis sorgen. „Gewalt hat nämlich auch Konsequenzen für den Betrieb: Ein schlechteres Arbeitsklima und geringere Loyalität, vermehrte Krankenstände, geringere Produktivität und Arbeitsqualität, Kosten durch Erfahrungsverlust und Personalsuche und –Einschulung, aber auch Schadenersatzforderungen und Imageverlust.
Offenheit hilft
Insgesamt helfen würde bei dem Thema schon, es zu enttabuisieren. Worüber Bewusstsein da ist, das wird auch im Betrieb angegangen. Grundsätzlich gelte: Je offener ein Betriebsklima, je wertschätzender, desto weniger Gewalt ist zu verzeichnen. Diese ist übrigens immer ein Angriff auf die Würde eines Menschen.
„Gewalt wirkt auch sehr stark auf die Psyche ein“, gab GPA-djp-Bundesgeschäftsführer Karl Dürtscher zu bedenken. Er warnte vor allem davor, dass ein immer stärker erhöhter Arbeitsdruck auch die Emotionsspirale in die Höhe treibe. „Und dann rutscht einem schneller etwas heraus.“ Passiert das öfter, mache das etwas mit Menschen. Mögliche Folgen seien laut Klösch der Verlust des Selbstwertgefühls, Verunsicherung, körperliche Verletzungen, psychische Probleme wie Angst, Schlafstörungen, Sucht, Muskelzittern, Depression, Magenbeschwerden oder eine posttraumatische Belastungsstörung, aber auch Motivationsverlust, geringere Leistungsfähigkeit und die sogenannte innere Kündigung. Betriebe seien gut beraten, es gar nicht so weit kommen zu lassen. In Betriebsvereinbarungen können zum Beispiel vorbeugende Maßnahmen und konkrete Vorgangsweisen bei Gewalt und Belästigung festgelegt werden. Einerseits. MitarbeiterInnen wiederum sollen sich nicht scheuen, rasch das Gespräch zu suchen, wenn sie mit Gewalt konfrontiert sind. AnsprechpartnerInnen können hier sowohl der Betriebsrat als auch die Vorgesetzten sowie die Sicherheitsvertrauensperson sein. Kommt der Arbeitgeber seiner Fürsorgepflicht dennoch nicht nach, sind beispielsweise die Rechtsberatung der Arbeiterkammer, die Mobbing-Beratungsstelle des ÖGB oder örtliche Kriseninterventionszentren mögliche Anlaufstellen.