Im Zuge der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Infektionslage erleben wir in Österreich wie in vielen Staaten die massivsten Einschränkungen an Freiheitsrechten seit dem 2. Weltkrieg. Es wird in hohem Maß mit Notverordnungen und Sondergesetzen regiert.
Gewerkschaften sind hier nicht nur als Teil kritischer demokratischer Öffentlichkeit gefordert, sondern auch aus eigener Betroffenheit. Denn Einschränkungen in Grund- und Freiheitsrechte bedeuten auch Einschränkungen für gewerkschaftliches Handeln selbst.
Im Krisenmodus wird nicht erstmals per Notverordnung regiert. Wo liegen die Grenzen?
Historisch gesehen ist es nichts Neues, dass in gesellschaftlichen Krisenzeiten Regierungen mit erweiterter Ermächtigung ausgestattet werden. In den Verfassungen der meisten Staaten gibt es Bestimmungen, um im Krisenmodus handlungsfähig zu sein. In gewissem Maß auch ein Eingeständnis, dass in Notsituationen der Markt versagt und planwirtschaftliche Methoden Ressourcen weit besser auf ein Ziel zu fokussieren vermögen.
Nun ist es nachvollziehbar, dass außergewöhnliche Zeiten auch im Bereich der Rechtsetzung und Exekutive außerordentliches Vorgehen rechtfertigen mögen. Trotzdem müssen folgende Fragen oberste Priorität haben: Wo liegt hier die Grenze? Braucht es etwa Überwachungsstaaten, um Viren zu stoppen? Sind alle Verordnungen und Erlässe sachlich geboten, verhältnismäßig und demokratisch legitimiert? Ist die enge zeitliche Begrenzung auf den krisenbedingten Anlassfall garantiert? Entscheidende Fragen, lehrt doch nicht nur die Geschichte, dass Regierungsermächtigungen demokratische, aber auch autokratische Pfade einschlagen können.
Der Ausnahmezustand darf in keiner Sekunde zum Teil der ‚Normalität‘ werden
Warnungen sind jedenfalls berechtigt, dass nicht alle Regierenden nach Ende des Krisenmodus wieder vollständig zurückrudern und die erweiterte Machtfülle, die ihnen im Ausnahmezustand eingeräumt wurden, wieder abgeben. Auch dafür gibt es mahnende Belege in der Vergangenheit, auch in Österreich. Und ein wachsamer internationaler Blick zeigt, Corona-Maßnahmen haben in mehreren Staaten auch heute das gefährliche Zeug dazu, ein Brandbeschleuniger für vorhandene autoritäre Tendenzen zu werden, nicht nur in Ungarn.
Vieles spricht dafür, dass staatliches Handeln nach der Krise nachhaltig eine größere Rolle spielen wird. Zur Bewältigung einer existenziellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise kommt es nicht zum ersten Mal zu einer breit getragenen Neubewertung der Rolle der öffentlichen Hand bis zu wirtschaftlichem Staatsinterventionismus. Wird das auch beim so notwendigen Ausbau der Wohlfahrtsstaatlichkeit gelten? So sehr diese aktive Rolle der öffentlichen Hand aus Gewerkschaftssicht begrüßenswert ist, muss aufmerksam darauf geachtet werden, wie das bei den Grund- und Freiheitsrechten aussehen wird?
Gewerkschaften sind nicht nur als Teil kritischer demokratischer Öffentlichkeit gefordert
In diesem Sinn müssen wir aufpassen, dass beim Exit aus dem Ausnahmezustand kein demokratie- und sozialpolitischer Kollateralschaden zurückbleibt und Grundrechte ausgehebelt bleiben. Jede Regierung, die mit Notverordnung regiert, hat besonderen Rechtfertigungsbedarf. Es braucht immer rechtsstaatliche Grundlagen und – ‚nationaler Schulterschluss‘ hin oder her- stets demokratische Sicherheitsmechanismen. All das muss offensiv eingemahnt werden. Hier ist unabhängige Gerichtsbarkeit, kritische mediale Öffentlichkeit, laute oppositionelle Einmischung und helle zivilgesellschaftliche Wachsamkeit Gebot der Stunde.
Hier kommt auch Gewerkschaften besondere Verantwortung zu, nicht nur als Teil kritischer demokratischer Öffentlichkeit, sondern auch aus eigener Betroffenheit. Denn massive Einschränkungen in Grund- und Freiheitsrechte haben auch Wirkungen auf gewerkschaftliches Handeln selbst (bei Mitbestimmung im Betrieb, bei Betriebsratswahlen und Versammlungen, bei KV-Verhandlungen, aber auch hinsichtlich der Möglichkeiten zum Arbeitskampf). Notverordnung und Versammlungsverbot schränken gewerkschaftliche Handlungsmöglichkeiten ein. Auch hier dürfen Einengungen und Verbote nicht zur Normalität werden. Sie müssen auch in Österreich ein rasches Ende finden.
Ebenso wie auch inakzeptable Eingriffe in die Autonomie der Sozialpartner und Kollektivverträge, wie in mehreren EU-Ländern im Corona-Windschaffen bereits geschehen. Rasch traten dort jene auf den Plan, die im Windschatten der Krise alles das erledigen wollen, was in ‚normalen Zeiten‘ nicht geht, Eingriffe in Gewerkschaftsrechte inbegriffen. Auch in Österreich muss überall dort rasch die Stopptaste gedrückt werden, wo bereits Pläne gewälzt werden: wie etwa Sonderzahlungen oder Urlaubsgeld zu Gunsten des schnellen Wiederaufbaus auszusetzen, Arbeitnehmerschutzbestimmungen bzw. Ruhezeiten einzuschränken und Ladenöffnungszeiten auszuweiten sind.
Demgegenüber muss rasch es heißen: Raus aus dem Ausnahmezustand und hin zu einer respektvollen Zusammenarbeit – so viel wie möglich, aber auch Austragung von Interessenkonflikten – so viel wie notwendig. Jedenfalls aber ohne grundrechtlichen Einschränkungen. – Das hält und macht Demokratie aus – vor und nach Corona.