Seit Jahren fordern ArbeitnehmerInnenvertretungen und Gewerkschaften eine bessere rechtliche Absicherung für die Beschäftigten von Online-Plattformen. Nun hat die Europäische Kommission den Entwurf einer Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für PlattformarbeiterInnen vorgelegt.
Dieser verfolgt insbesondere drei Ziele: die Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit durch die Festlegung einer (widerleglichen) gesetzlichen Vermutung eines Arbeitsverhältnisses, die Schaffung von größerer Transparenz und Fairness bei algorithmischem Management sowie die Einführung von umfassenden Informationspflichten den Beschäftigten und deren VertreterInnen gegenüber.
Der Hintergrund
Die Plattformarbeit bildet eine moderne Form der Arbeitsorganisation, bei der eine Online-Plattform zwischen AuftraggeberInnen bzw. KundInnen und die arbeitenden Personen tritt. Inhaltlich wird dabei ein breites Spektrum abgedeckt – von ortsgebundenen Tätigkeiten wie Personentransport oder Essenszustellung, bis hin zu digital und remote zu verrichtenden Aufgaben wie der Beschlagwortung von Bildern oder Grafikdesign. Die Online-Plattformen verstehen sich in den meisten Fällen als reine Vermittler und lehnen es ab, als ArbeitgeberInnen angesehen zu werden. So wird behauptet, die arbeitenden Personen seien selbstständig und nicht als ArbeitnehmerInnen tätig. Dadurch wird versucht, das Arbeitsrecht zu umgehen und die Beschäftigten erhalten keine kollektivvertraglichen Mindestentgelte und haben auch keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Zugleich bestimmen die Plattformen das Verhältnis zwischen KundInnen und PlattformarbeiterInnen typischerweise in sehr umfangreicher Weise, die Arbeitsleistung der Beschäftigten wird streng durch Algorithmen kontrolliert. Die Entlohnung fällt in der Regel sehr gering aus. Die PlattformarbeiterInnen tragen also das volle unternehmerische Risiko, während die Plattform Gewinne macht.
Zuletzt haben Gerichte unterschiedlicher EU-Mitgliedstaaten PlattformarbeiterInnen als ArbeitnehmerInnen qualifiziert und der Erzählung der Plattformen, es handle sich um Selbstständige, eine Absage erteilt.
Die wesentlichen Inhalte des Richtlinienentwurfes
Um die Arbeitsbedingungen für PlattformarbeiterInnen zu verbessern, hat die EU-Kommission nun einen mit Spannung erwarteten Richtlinienentwurf vorgelegt.
Der Entwurf sieht vor, dass die EU-Mitgliedstaaten eine rechtliche Vermutung verankern müssen, dass die Beziehung zwischen der digitalen Arbeitsplattform, und einer Person, die Plattformarbeit über diese Plattform erbringt, ein Arbeitsverhältnis ist. Zunächst muss der/die PlattformarbeiterIn jedoch nachweisen, dass die Plattform in einem gewissen Umfang die Leistungserbringung kontrolliert und innerhalb eines Katalogs von fünf Kriterien zumindest zwei erfüllt sind, damit die Vermutung der ArbeitnehmerInneneigenschaft überhaupt greift. Sofern zwei der festgelegten Kriterien zutreffen, ist von einem Arbeitsverhältnis auszugehen. Plattformen haben dann die Möglichkeit, diese Qualifikation zu widerlegen, wobei sie beweisen müssen, dass kein Arbeitsverhältnis vorliegt. Das soll es Plattformbeschäftigten erleichtern, arbeitsrechtlichen Schutz zu genießen und verschiebt die Beweislast zu den Plattformen.
Daneben adressiert der Richtlinienentwurf auch das Thema des algorithmischen Managements. Künftig müssen also Plattformen die Beschäftigten, über die Einführung oder den Einsatz von Überwachungs- und Kontrollsystemen sowie jenen zur algorithmischen Entscheidungsfindung informieren, sofern sie bedeutsam für die betroffenen PlattformarbeiterInnen sind. Auch den VertreterInnen der Beschäftigten, in Österreich also den Gewerkschaften und den Arbeiterkammern, sowie den Behörden sind diese Informationen zur Verfügung zu stellen. Außerdem sind die Plattformen zur regelmäßigen Risikoabschätzung und Evaluierung der eingesetzten Systeme verpflichtet und müssen den PlattformarbeiterInnen die Möglichkeit geben, automatisierte Entscheidungen von einem Menschen überprüfen zu lassen. Überdies verpflichtet der Entwurf Online-Plattformen, den zuständigen staatlichen Behörden die Plattformarbeit zu melden sowie den Behörden (und den VertreterInnen von PlattformarbeiterInnen) bestimmte Informationen zur Verfügung zu stellen. Dazu zählen die jeweils aktuelle Anzahl der Personen, die regelmäßig Plattformarbeit verrichten und deren vertragliche Qualifikation sowie die Allgemeinen Vertragsbedingungen. Zumindest bestimmte Daten stehen damit in Zukunft zur Verfügung und schaffen ein größeres Maß an Transparenz.
Wie ist der Entwurf der EU-Kommission einzuschätzen?
Insgesamt ist der Richtlinienentwurf positiv zu bewerten und ausdrücklich zu begrüßen. Tritt die Richtlinie in der vorliegenden Form in Kraft, würde das eine wesentliche Verbesserung für PlattformarbeiterInnen in der EU bedeuten. Nicht mehr die Beschäftigten müssten dann beweisen, dass sie ArbeitnehmerInnen sind, sondern die Plattformen müssten nachweisen, dass es sich um echte Selbstständige handelt. Das ist ein zentraler und wichtiger Aspekt im Kampf gegen Scheinselbstständigkeit. Dennoch hätte der Richtlinienentwurf in einigen Punkten weiter gehen und stärker auf die Interessen der PlattformarbeiterInnen Rücksicht nehmen müssen. Gerade die Voraussetzung, dass bestimmte Kriterien erfüllt sein müssen, damit die gesetzliche Vermutung der ArbeitnehmerInneneigenschaft zur Anwendung kommt, könnte PlattformarbeiterInnen von der arbeitsrechtlichen Absicherung ausschließen. Hier sollte noch nachgeschärft und die Schwelle entsprechend gesenkt werden. Nun bleibt abzuwarten, ob die Richtlinie auch in der vorgelegten Weise beschlossen werden wird. Von starken Lobbying-Aktivitäten der Konzerne hinter den Online-Plattformen ist jedenfalls auszugehen. Nach erfolgreichem Beschluss im Europäischen Parlament und im Rat muss die Richtlinie in der Folge noch national umgesetzt werden.