Physiker Werner Gruber engagiert sich für leistbare Wohnungen und erzählt von seinen Erfahrungen als Obdachloser.
KOMPETENZ: Herr Gruber, war es für Sie immer leicht eine Wohnung zu finden?
Werner Gruber: Als ich mit dem Studium fertig war, musste ich aus dem Studentenheim ausziehen. Mit meiner vollen Lehrverpflichtung an der Uni Wien habe ich genau 5012 Schilling verdient– das war auch 1997 am freien Wohnungsmarkt nicht viel. Die Tochter eines Freundes zog aus ihrer Gemeindewohnung aus, ich sollte in die Wohnung einziehen und die Miete bezahlen bevor die Wohnung zurückgegeben würde.
KOMPETENZ: Sie wohnten sozusagen als U-Boot…
Werner Gruber: Ja, denn eine Gemeindewohnung darf man nicht untervermieten – vier Monate später kam der Hausinspektor und ich hatte ein Problem.
KOMPETENZ: Ihr „Problem“ führte gar zur kurzfristigen Obdachlosigkeit…
Werner Gruber: Auf der Sozialhilfestelle für Obdachlose sah ich, welch großen Aufwand die Stadt Wien betreibt. Ich erzählte, was passiert ist und bekam einen Obdachlosen-Ausweis und einen Meldezettel für den Arbeitgeber. Sie sagten mir, ich könne weiterhin in der Gemeindewohnung schlafen bis eine Ersatzwohnung gefunden ist.
KOMPETENZ: Wie ging es weiter?
Werner Gruber: Nach ein paar Wochen wurde ich angerufen, dass eine Wohnung frei wird. Die erste Wohnung, die ich mir angesehen habe, und auch die Infrastruktur haben mir gleich sehr gefallen. Mit meiner Obdachlosen-Karte bin ich dann bei Wiener Wohnen vorstellig geworden – das Ansuchen stellte ich zu Faschingsbeginn am 11.11. die Wohnung wurde am Aschermittwoch bewilligt und in der Karwoche bin ich eingezogen. Diese Erfahrung war toll unbürokratisch und ein Procedere auf Augenhöhe.
KOMPETENZ: Wie war das Leben im Gemeindebau?
Werner Gruber: Ich habe jahrelang und gerne im Gemeindebau gewohnt. Unter mir wohnte jemand, der vorher acht Monate im Gefängnis einsaß. Wir haben uns ein paar Mal recht nett unterhalten. Im gleichen Stock wohnte auch der Bäcker von meinem Stamm-Caféhaus, es haben sich nette Gespräche ergeben, die sonst nicht stattgefunden hätten.
„Wer die Idee für den Gemeindebau gehabt hat, war genial.“
Werner Gruber, Physiker und Unterstützer der Europäischen Bürgerinitiative für leistbares Wohnen
KOMPETENZ: Sie meinen, mit den Leuten reden zahlt sich aus?
Werner Gruber: In meinem Gemeindebau lebte auf derselben Stiege auch ein Wirt, den ich gut gekannt habe. War ich abends länger im Labor, habe ich ihn angerufen und gesagt, dass ich ein Cordon Bleu mit Pommes bräuchte. Am Abend, wenn das Wirtshaus zugesperrt hat, hängte er mir die Speise an die Türschnalle. Ich kam heim und hatte etwas Gutes zu essen. Am nächsten Tag bin ins Wirtshaus gegangen und habe gefragt, was ich schuldig bin. Das ist schon ein tolles Service.
KOMPETENZ: Fühlten Sie sich wohl im Gemeindebau?
Werner Gruber: Ja, aber für mich wurde die Wohnung mit ihren 38 m² mit der Zeit zu klein, ich arbeite relativ viel von daheim aus und brauche dafür ein Arbeits-Zimmer.
KOMPETENZ: Sie sind aber ein Verfechter des Gemeindebaus?
Werner Gruber: Wer die Idee für den Gemeindebau gehabt hat, war genial. Man sieht es in anderen Städten, wo so etwas nicht funktioniert. Köln hatte einen hohen Anteil an Gemeindebauten und Köln hatte auch eine Verschuldung. Die war nicht dramatisch, doch ein Bürgermeister bestand auf einem Null-Defizit und ließ die Gemeindebauten verkaufen.
Bereits drei Jahre später waren die Mieten doppelt so hoch. Heute kann sich im Zentrum von Köln keiner mehr eine Wohnung leisten – mittlerweile will die Stadt die Wohnungen zurückkaufen.
KOMPETENZ: Wo wohnen Sie heute?
Werner Gruber: Gleich nach der Matura bin ich beim Bundesheer in Wien eingerückt – in die damalige Wilhelmskaserne (Erzherzog-Wilhelm-Kaserne in der Vorgartenstraße) in Wien Leopoldstadt. Inzwischen wurde sie verkauft und geschliffen – nun lebe ich in einem der neu erbauten Wohnblöcke und habe nun die selbe Adresse wie beim Bundesheer.
KOMPETENZ: Wie hat sich das Viertel seit Ihrem Präsenzdienst verändert?
Werner Gruber: Mit dem Bau der U2 hat sich viel verändert, bis zum Planetarium fahre ich nur eine U-Bahn-Station. Wo vorher Prostitution war, sind jetzt die Wirtschaftsuni und die Sigmund Freud Uni. Die Gegend entwickelt sich gutbürgerlich.
KOMPETENZ: Bei Ihnen ging die Geschichte gut aus, andere landen tatsächlich auf der Straße. Engagieren Sie sich deshalb für die Europäische Bürger Initiative (EBI) mit ihrer Petition „Housing for all“?
Werner Gruber: Ja, weil es ein Grundrecht aufs Wohnen gibt. Ich habe aber auch Glück, dass ich in Wien lebe, die Menschen ohne Obdach werden hier gut betreut. Nur für Leute, die tatsächlich auf der Straße leben, sollte mehr getan werden. Ich wünsche mir, dass die Stadt Wien etwas Ähnliches wie die Gruft betreibt. Ein Ort wo sie sagt: Komm rein, da gibt es eine Jause eine Dusche und ein Bett. Das kostet wenig, erhält aber die Würde des Menschen.
Zur Person:
Werner Gruber, aufgewachsen im oberösterreichischen Ansfelden, absolvierte ein Physikstudium an der Universität Wien, arbeitete dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Experimentalphysik und lehrt heute die Einführung in die Physik an der medizinischen Fakultät der Sigmund Freud Privatuniversität Wien (SFU am Campus Prater). Breite Bekanntheit erlangte Gruber durch seine Auftritte in der Bühnen- und TV-Show „Science Busters“. Im Februar 2013 hat der Physiker auch die Leitung der astronomischen Einrichtungen der Volkshochschulen Wien übernommen – das Planetarium Wien im Prater, die Kuffner- und die Urania- Sternwarte.
Europäische Bürgerinitiative für leistbares Wohnen
„Housing for all“ (Europeans for Affordable Housing – Für bezahlbares Wohnen in Europa) ist eine Europäische Bürger Initiative (EBI) – unter housingforall.eu sind die Anliegen der Bürgerinitiative zu finden. In Kurzform: Immer mehr Europäer können sich das Wohnen nicht mehr leisten, rund 82 Millionen sind durch ihre Wohnkosten überbelastet – das ist unzumutbar! Die Wartelisten für geförderte, soziale Wohnungen werden immer länger, viele müssen die Stadt verlassen und in fast allen EU-Mitgliedsstaaten steigt die Zahl der Obdachlosen.
Die EBI stellt fünf Forderungen an die EU-Kommission:
- Der Zugang zu leistbarem und sozialem Wohnbau muss für alle erleichtert werden
- Keine Anwendung der Maastricht-Kriterien bei öffentlichen Investitionen in leistbaren Wohnbau
- EU-Finanzmitteln für gemeinnützige und nachhaltige Wohnbauträger müssen einfach zugänglich sein
- Soziale und wettbewerbsgerechte Regeln bei Kurzzeitvermietungen über Online-Plattformen
- Kleinräumige, statistische Erfassung des Wohnbedarfs in Europa
Bis 18. März 2020 können diese Anliegen unter housingforall.eu online (in Österreich mit Reisepass- bzw. Personalausweis-Nr.) oder auf den bei Partnerorganisationen und bei UnterstützerInnen aufliegenden Unterschriftenlisten (mit Reisepass, Personalausweis) unterzeichnet werden.