Die Anliegen des Frauenvolksbegehrens sollten speziell angesichts der Corona-Krise weiter verfolgt werden, wie die MitorganisatorInnen in einem neuen Sammelband untermauern.
„Österreich eignet sich, politisch betrachtet, nicht gerade als Vorbild – mit einer Ausnahme: einer Initiative für mehr Frauenrechte“, schreibt die polnisch-deutsche Autorin Margarete Stokowski. Der Satz, der heute womöglich noch differenzierter ausfallen würde, bezieht sich auf Österreichs zweites Frauenvolksbegehren 2018. Für die Forderungen haben 481.959 Menschen unterschrieben. Die erste österreichische Initiative, die auf Gleichberechtigung abzielte, war 1997 von 644.665 Menschen unterzeichnet worden – initiiert kurz nachdem Österreichs erste Frauenministerin, Johanna Dohnal, 1995 gegen ihren Willen vom damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky aus der Regierung entlassen worden war.
Dass die SPÖ-Ministerin mit ihren Positionen in Sachen Gleichstellungspolitik in der eigenen Partei aneckte, ist kein Geheimnis. Mehr als zwei Jahrzehnte, zwei Frauenvolksbegehren, mehrere Regierungswechsel und globale Krisen später wäre denn auch noch eine Menge an Forderungen umzusetzen, um die größten Ungleichgewichte in der österreichischen Gesellschaft endlich auszubügeln.
Da trifft es sich gut, dass sich der jetzt erschienene Band „Über Forderungen“ zum Teil wie eine Nachlese des Frauenvolksbegehrens von vor zwei Jahren liest. Das Buch-Cover ist übrigens so designt, dass der Titel genauso als „Überforderungen“ gelesen werden kann, was wohl kein Zufall ist. Denn dass etliche Anliegen immer noch offen sind, mag in einem strukturkonservativen Land wie Österreich tatsächlich daran liegen, dass dominierende EntscheidungsträgerInnen aus sozialpsychologischer Sicht überfordert sind.
Für einzelne Punkte des Forderungskatalogs wurde erst kürzlich ein Gesetzesentwurf vorgelegt. Etwa was das Thema Upskirting betrifft. Das ist das ungefragte Fotografieren unter einen Rock, mit dem häufigen Ziel, eine so zustande gekommene Aufnahme im Internet auf Pornoseiten zu stellen. Wie uns die Corona-Krise momentan dramatisch vor Augen führt, müssen manche Wünsche offensichtlich so lange wiederholt werden, bis sie endlich in der Praxis ankommen. Insbesondere was die faire Aufteilung der unbezahlten Care-Arbeit (Erziehung, Haushalt, Pflege) und Erwerbsarbeit betrifft. Etwa durch den weiteren Ausbau von ganztägigen und ganzjährigen Kinderbetreuungsplätzen oder eine schrittweise Arbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden inklusive Lohn- und Personalausgleich.
Die Stärke von „Über Forderungen“ liegt darin, dass die Publikation, getragen von MitorganisatorInnen des letzten Frauenvolksbegehrens wie u.a. Christian Berger und Lena Jäger, Autoren und Autorinnen verschiedener Disziplinen, soziologischer wie rechtlicher, versammelt. Zudem blickt der Sammelband über den Tellerrand, etwa nach Polen – ein Land, das ganz aktuell im Fokus steht hinsichtlich Frauenrechten.
Bemerkenswert ist der „Zwischenruf“ der jungen Journalistin Alexandra Stanic „So hat mich mein Vater zur Feministin erzogen“. Denn Feminismus ist kein Frauenkram, sondern sollte im 21. Jahrhundert ein allgemein gültiger demokratiepolitischer Anspruch sein. Erst wenn Mütter wie Väter ihre Söhne gleichermaßen wie ihre Töchter zu FeministInnen erzogen haben werden, wird Gleichberechtigung sein.
Magdalena Baran-Szołtys/Christian Berger (Hg.)
Über Forderungen – Wie feministischer Aktivismus gelingt.
Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2020
283 Seiten, ISBN 978-3-218-01236-2, 22 Euro