„Ungleichheit macht uns unzufrieden“

Karin Heitzmann im Gespräch mit Andrea Rogy. (Foto: Nurith Wagner-Strauss)
Karin Heitzmann im Gespräch mit Andrea Rogy. (Foto: Nurith Wagner-Strauss)

Die Ungleichheitsforscherin Karin Heitzmann spricht im Kompetenz-Interview über die sozialen Folgen von Ungleichheit.

KOMPETENZ: Sie betreiben Ungleichheitsforschung – in welchen Bereichen geht es bei uns besonders ungerecht zu?

Heitzmann: Die größten Ungleichverteilungen bestehen in Österreich
– wie auch in vielen anderen Teilen Europas – im Bereich der Vermögen und Erbschaften. Die verfügbaren Einkommen sind hingegen,
auch dank vieler Sozialtransfers und unseres Steuersystems, gleicher
verteilt.

KOMPETENZ: Warum ist Ungleichheit so gefährlich?

Heitzmann: Wenn wesentliche Ressourcen unseres Lebens stark ungerecht verteilt sind, dann hat das weitgehende negative Konsequenzen für die Lebenschancen der Menschen. Ungleiche Gesellschaften sind unzufrieden und das hat Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Motivation der Bevölkerung. Diese Unzufriedenheit hat interessanterweise stark mit der Verteilung und weniger mit dem generellen Wohlstandsniveau einer Gesellschaft zu tun. Bei Befragungen zeigt sich, dass die Menschen in ärmeren Ländern, wo allgemein weniger besessen wird, oft zufriedener sind als jene in reichen Ländern, in denen die Unterschiede im Besitz sehr ausgeprägt sind.

KOMPETENZ: Welche Auswirkungen hat diese Unzufriedenheit?

Heitzmann: Sie schafft vor allem ökonomische, aber auch soziale
Nachteile. Wenn ich in einem System groß werde, das die Chancen auf ökonomischen Aufstieg sehr ungleich verteilt, dann sieht die/der
Einzelne kaum Anreize dafür, sich anzustrengen. Für die meisten Menschen ist es in Ordnung, nicht das Maximum zu erreichen, wenn sie
sehen, dass es auch an ihnen selbst liegt – etwa wenn bestehende Angebote ausgeschlagen wurden. Liegt es aber an der ungerechten Verteilung möglicher Aufstiegschancen, dann wird dies in höchstem Maße als ungerecht empfunden und schafft starke Frustrationen.

KOMPETENZ: Wäre Chancengleichheit der Schlüssel zu mehr Zufriedenheit?

Heitzmann: Ja, in der Theorie. Chancengleichheit wäre dann möglich, wenn alle Menschen – wie in einem Spiel – tatsächlich mit dem gleichen Kapital starten und die gleichen Möglichkeiten zur Verfügung hätten. In der Realität ist das unmöglich, denn wir alle haben unterschiedliche Anlagen und persönliche Merkmale.

KOMPETENZ: Dann ist Chancengleichheit nicht erreichbar?

Heitzmann: Chancengleichheit ist in Teilbereichen erreichbar. Ich halte es für wünschenswert, allen in Österreich lebenden Menschen die gleichen Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen. Das darf man aber nicht mit Bildungsergebnisgleichheit verwechseln.

KOMPETENZ: Was bedeutet das?

Heitzmann: Auch wenn zwei Menschen denselben Bildungsweg einschlagen, ist das Ergebnis nicht immer fair. Denn auch der Prozess der Ausbildung, Qualifi zierung und Weiterbildung ist nicht von Natur aus gleich verteilt. Untersuchungen zeigen, dass Menschen mit Matura ihre Kinder meist stärker darin unterstützen, ebenfalls einen höheren Schulabschluss zu machen, als ehemalige Pflichtschüler.

KOMPETENZ: Sollte hier nicht der Wohlfahrtsstaat unterstützend eingreifen?

Heitzmann: Ich denke, das sollte seine Aufgabe sein, das tut er nur nicht immer. Doch er könnte durch entsprechende Maßnahmen Menschen darin unterstützen, ihr sogenanntes „Humankapital“ möglichst optimal zu entwickeln. Ein sozialstaatlicher Reformansatz, der einen Fokus darauf legt, interpretiert den Sozialstaat als sozialen Investitionsstaat. Im Kern geht es darum, Menschen möglichst gut darin zu unterstützen, dass möglichst viele von ihnen möglichst lange in möglichst gut bezahlten Jobs verbleiben. Dadurch soll es ihnen gelingen, sich selbst und ihre abhängigen Familienmitglieder ökonomisch abzusichern. Kritisch anzumerken ist aber, dass es nach dem Konzept des Sozialinvestitionsstaates nicht darum geht, Menschen in derartige Jobs zu vermitteln oder solche Arbeitsplätze zu schaffen. Es geht darum, die Menschen auf hochqualifizierte Beschäftigungsmöglichkeiten möglichst gut vorzubereiten, sie also möglichst „beschäftigungsfähig“ zu machen.

KOMPETENZ: Und das kann den Sozialstaat entlasten?

Heitzmann: Wenn die erhöhte Beschäftigungsfähigkeit tatsächlich auch zur Beschäftigung führt, dann ja. Denn ökonomische Absicherung wird vor allem über ein langfristiges Erwerbseinkommen erzielt.

KOMPETENZ: Wie können MigrantInnen und anerkannte Flüchtlinge in dieses Modell integriert werden?

Heitzmann: Hier kann die soziale, politische und ökonomische Inklusion gelingen, wenn europaweit jene Fähigkeiten gefördert werden, welche diese Menschen mitbringen. Die größte Chance auf eine gleichwertige Teilhabe haben die ankommenden Kinder. Hier muss in den nächsten Jahren die stärkste Förderung stattfi nden. In diesem Sinne sollte man Sozialausgaben vor allem in diesem Bereich nicht als Kosten, sondern als Investitionen sehen, die Erträge bringen können und werden.

KOMPETENZ: Haben wir angesichts steigender Arbeitslosenzahlen Bedarf für diese zusätzlichen Arbeitskräfte?

Heitzmann: Ich bin überzeugt davon, dass uns die Arbeit auch in den nächsten Jahrzehnten nicht ausgehen wird. Die Frage ist allerdings, welche Arbeit bezahlt wird und welche nicht. Eine weitere Frage ist, welche Rationalisierungen und Verlagerungen die Zivilgesellschaft und die Politik noch billigen. So gibt es etwa im Bereich der Pfl ege aktuelle Tendenzen weiter zu rationalisieren. Aber ohne Zweifel wird die Integration derart vieler ausländischer Arbeitskräfte – nicht zuletzt aufgrund der mangelnden Deutschkenntnisse – eine große Herausforderung. Auch hier gilt: Eine möglichst rasche Qualifizierung durch das Lernen der Sprache schafft gute Möglichkeiten zur Selbsterhaltung.

Zur Person
Karin Heitzmann erforscht am 2015 gegründeten Institut für Ungleichheitsforschung an der Wiener Wirtschaftsuniversität die vielen Facetten gesellschaftlicher Ungleichheiten, ihre Ursachen und
Auswirkungen.
Infos unter: www.wu.ac.at/ineq/

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