Der Presserat soll Missstände in der österreichischen Medienlandschaft aufzeigen und diesen entgegenwirken. Damit kommt ihm eine wesentliche demokratiepolitische Aufgabe zu.
Zahl der durch den Österreichischen Presserat behandelten Fälle ist seit dem ersten Jahr (2011) von 80 auf 307 (2016) gestiegen. Die nach oben zeigende Kurve ist auch dem gestiegenen Bekanntheitsgrad des Österreichischen Presserats geschuldet. Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu. Vor allem aber spiegelt sie die erhöhte Skepsis gegenüber den Medien wider, und dass sich so etwas wie eine Verschwörungskultur immer breiteren Raum verschafft.
Lügenpresse, „alternative Fakten“, Fake News. Wir kennen die Schlagworte. Meist sind sie nicht mehr als das. Und dennoch: Sie drücken die Verunsicherung vieler Menschen aus: Wem soll, wem kann man noch glauben? Wo doch (auch das klingt immer wieder durch) die Medien ohnehin alle „gleichgeschaltet“ sind. Gegen eine vermeintliche Gleichschaltung spricht schon allein der Umstand, dass sich Links wie Rechts beim Presserat beschwert. Trotz unterschiedlicher Wertehaltung, Stil, Wort- und Bildwahl, was sogenannter böser Boulevard und sogenannte Qualitätspresse veröffentlichen, ruft Leser und Leserinnen gleichsam auf den Plan.
Schwierige Wahrheitsfindung
Was nun wahr ist oder nicht, was da auf Papier oder am Bildschirm geschrieben steht, will nur eine Minderheit vom Presserat geklärt wissen. Manchmal bauen wir Journalisten wirklich Mist und berichten Falsches, weil beispielsweise die Grundregeln von Recherche und Gegenrecherche nicht eingehalten wurden. Da gibt’s nichts zu beschönigen. Viel öfter ist der Hintergrund einer Beschwerde, dass eine Person oder ein ganzer Personenkreis durch bestimmte Inhalte verletzt und verunglimpft werde oder gewisse Inhalte den MedienkonsumentInnen nicht zumutbar seien. Das sind zutiefst ethische Fragen, über die ein Senat des Presserats zu entscheiden hat.
Die Journalistengewerkschaft in der GPA-djp hat sich federführend dafür eingesetzt, dass der österreichische Presserat 2010 wieder als Selbstregulierungseinrichtung ins Leben gerufen wurde. Weil er der redaktionellen Qualitätssicherung sowie der Gewährleistung der Pressefreiheit dient und somit genuine Anliegen eines Berufsstandes berührt. Oder, um den Vorsitzenden der Journalistengewerkschaft Franz C. Bauer anlässlich der Neugründung zu zitieren: „Meinungsfreiheit kann nun wieder authentisch durch die in Medien Arbeitenden interpretiert werden, wie das in jedem zivilisierten Land üblich ist.“
Ehrenkodex für die Presse
Journalismus hat eine essenzielle demokratiepolitische Funktion. Das bedeutet aber auch Verantwortung im Umgang mit Informationen und deren Verbreitung. Der Presserat hat daher einen „Ehrenkodex für die österreichische Presse“ erstellt, der Regeln für gutes und verantwortungsvolles journalistisches Handeln enthält und eine ethische Richtschnur für Medienschaffende ist. Dieser Kodex bildet die Grundlage für die Entscheidungen der Senate des Presserates.
Die Journalistengewerkschaft ist eine der sechs Trägerorganisationen des Presserates. Die fünf anderen sind der Verband der Österreichischen Zeitungen, der Zeitschriften- und Fachmedienverband, der Verband der Regionalmedien, der Verein der Chefredakteure sowie der Presseclub Condordia. Die mittlerweile drei Senate sind paritätisch von Arbeitgeber- und ArbeitnehmerInnenseite beschickt. Den Vorsitz führen rechtskundige Personen, die Senatssprecher und alle weiteren Mitglieder sind JournalistInnen. Diese sind überwiegend Angestellte, aber auch freie JournalistInnen können ihre Praxiserfahrung einbringen.
Denn journalistisches Arbeiten verändert sich laufend – nicht nur durch den technologischen Wandel innerhalb und außerhalb der Redaktionen. Dazu zählt beispielsweise der wachsende Druck durch PR und Lobbying. Wenn, wie jüngst, Koalitionsverhandler nur den eigenen Fotografen zulassen und die Redaktionen dann mit genehmen Bildern „versorgen“, ist das eine beunruhigende Entwicklung. Erst recht, wenn die Medien hier auch noch mitspielen.
Laut seinen Statuten hat der Presserat die Aufgabe, Missstände im Pressewesen aufzuzeigen und diesen entgegenzuwirken. Und hier reden wir ausschließlich von der Zuständigkeit für Printprodukte bzw. deren Online-Ablegern. Weder Zeitungen und Zeitschriften und schon gar nicht ihre elektronischen Namenspendants können sich von den Entwicklungen der modernen Medienwelt abkoppeln. Wenn im „Reality“-TV Menschen ohne Genierer vorgeführt werden oder aus einem YouTube-Video eines Augenzeugen sprichwörtlich das Blut rinnt, müssen die, nennen wir sie: angestammten Medienhäuser bei allen Auswüchsen mitziehen? Wann ist eine Hemmschwelle in der Berichterstattung überschritten, und mit welcher Formulierung wird ein Kommentar, eine Beschreibung im Sinne des Ehrenkodex verletzend?
Das sind für mich die spannendsten Diskussionspunkte im Senat. Exemplarisch für besonders heikle Spannungsfelder, in denen die Kolleginnen und Kollegen in den Redaktionen und wir im Presserat stehen, nenne ich hier aufwühlende Fotos von Terroranschlägen oder die Bilder des getöteten Muammar al-Gaddafi. Für mich stellen sie zeitgeschichtliche Dokumente dar, und ich wäge hier eher zugunsten des Informationsauftrages der Medien ab. Dem muss entgegengehalten werden, ob das jeweilige Bild schon an sich oder „nur“ die Form der Aufmachung den Ehrenkodex verletzt. Darüber wird im Einzelfall abgestimmt. Hilfreich für uns ist, das soll nicht unerwähnt bleiben, dass die beiden hauptamtlichen Mitarbeiter des Österreichischen Presserats in den Senaten als Beisitzer fungieren. Sie behalten für uns den Überblick, wie die jeweils anderen Senate in vergleichbaren Fällen entschieden haben.
Schlussendlich hat sich auch der Presserat dem Urteil der Öffentlichkeit zu stellen. Führt die Entscheidung zur Diskussion über die Aufgabe und das Ansehen der Presse, ist das gut.
ZUR PERSON:
Arno Miller, Jahrgang 1959, arbeitet als freier Journalist in Bregenz. Er ist Mitglied im Präsidium der Journalistengewerkschaft in der GPA-djp und entsandt in den Presserat.