Als die GPA-djp im Juni dieses Jahres mit der politischen Initiative „Mehr Urlaub für alle“ an die Öffentlichkeit trat, war der Aufschrei von Seiten der Wirtschaft groß:
Wir seien ohnehin Weltmeister bei Urlaubs- und Feiertagen, wir könnten uns eine Verteuerung der Arbeitskosten nicht leisten, dies sei kontraproduktiv und wettbewerbshemmend, so die Hauptargumente. Was dabei geflissentlich unter den Tisch gekehrt wird: Die österreichischen ArbeitnehmerInnen sind längst Weltmeister, wenn es um Überstunden, um tatsächlich geleistete Arbeitszeit, Flexibilität und folglich auch Produktivität geht. Die Zahl der ArbeitnehmerInnen, die regelmäßig Überstunden leisten, stieg in Österreich von 650.000 im Jahr 2004 auf 731.000 im Jahr 2010 an. Das ist eine Zunahme um zwölf Prozent. Rund ein Fünftel der ArbeitnehmerInnen leisten inzwischen regelmäßig Überstunden, im Schnitt 8,2 Stunden pro Woche.
Beschäftigte fallen um Geld um
Mit der Zunahme der Überstunden macht sich auch zunehmend eine Praxis breit, dass die Bedeutung von Zeitausgleich und Zeitkonten gegenüber den „traditionellen“ Geldvergütungen zunimmt und Geldansprüche bzw. Guthaben ganz einfach verloren gehen. Den ArbeitnehmerInnen, aber auch der Sozialversicherung entgehen dadurch Millionenbeträge. Laut Statistik Austria wurden im Jahr 2009 von 313,8 Millionen offiziellen Überstunden 77 Millionen Überstunden nicht bezahlt, das ist etwa ein Viertel. Im Handel ist davon auszugehen, dass sogar ein Drittel der geleisteten Überstunden nicht bezahlt wird. „Wir brauchen unbedingt eine Stärkung der Rechte beim Verbrauch und bei der Abgeltung von Zeitkonten für jene, denen diese Guthaben gehören. Generell muss alles getan werden, den Aufbau von Zeitkonten zu beschränken und dem ausufernden Ansammeln einen Riegel vorzuschieben. Das wird sicher auch ein Thema bei den kommenden Kollektivvertragsverhandlungen“, stellt der stv. Bundesgeschäftsführer der GPA-djp, Karl Proyer, fest.
Flexibilität muss etwas kosten
BetriebsrätInnen bestätigen die negativen Folgen einer entgleisten Arbeitszeitkultur auf die Beschäftigten. Der Betriebsratsvorsitzende des Unternehmens BRP-Powertrain, Klaus Topf, ist mit dem Phänomen konfrontiert, dass die Angestellten bereits bei Eintritt ins Unternehmen nur noch All-in-Verträge angeboten bekommen und in Hinblick auf Überstundenabgeltung nicht zu ihren Rechten kommen. „Generell sollten All-in-Verträge erst nach dem ersten Arbeitsjahr möglich sein, und es ist zentral, dass Gesetze und kollektivvertragliche Regeln eingehalten werden. Bei einem All-in-Vertrag muss die vereinbarte Überstundenzahl im Dienstvertrag ausgewiesen werden, nur so ist eine gerechte Entlohnung nachweisbar“, so Topf.
Der Betriebsratsvorsitzende von MAN, Markus Vogl, sieht in der Komplexität der Anforderungen mit vielen unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen das Hauptproblem. „Hier Regelungen zu finden, welche den unterschiedlichen Bedürfnissen aller Kolleginnen und Kollegen gerecht werden, ist sehr schwierig“, erklärt Vogl.
„Wir haben es mit einer sehr einseitigen Form von Flexibilität zu tun. Mehrleistungen in Form von Gleitzeitstunden sind kein Problem. Der Abbau von diesen oder die Anerkennung als Überstunden aber oft schon“, sagt Vogl. Er fordert daher klare und transparente Strukturen, eine vernünftige Ressourcenplanung und – so paradox das klingen mag – eine Einschränkung der Flexibilität: Eine Gleitzeit mit einem Rahmen von –10 bis +10 Stunden sollte aus Sicht der ArbeitnehmerInnen vollkommen ausreichend sein, da es kaum Betriebe mit größeren Plus-Salden gebe, über die der/die ArbeitnehmerIn wirklich auch frei entscheiden kann. „Die Utopie von 14 Tagen frei im Sommer als Ausgleich für den Stress im Frühjahr kenne ich im Bereich der Metallbranche nicht. Vielmehr Stundenabbau am Jahresende, damit keine Rückstellungen für diese Stunden gemacht werden müssen. Solange die Flexibilität im Angestelltenbereich nichts kostet, gibt es keinen Grund für die Unternehmer, sich über deren Arbeitssituation ernsthaft Gedanken zu machen“, resümiert Vogl.
Gesundheitliche Probleme
Diese Arbeitszeitrealität entlarvt auch das Gerede vom „Freizeit-Paradies“ Österreich als Mythos. Tatsächlich hat diese Entwicklung viele Schattenseiten. Wir sind mit einer alarmierenden Zunahme von stressbedingten Krankheiten konfrontiert. ArbeitnehmerInnen, die regelmäßig Überstunden leisten, leiden deutlich stärker an gesundheitlichen Problemen als Beschäftigte ohne Überstundenleistung. Die rapide Zunahme von Krankenständen aufgrund von Erschöpfungszuständen und vorzeitigem Ruhestand infolge von psychischen Belastungen sind die logische Konsequenz. Die Anzahl derer, die aufgrund psychischer Leiden in Frühpension gehen müssen, ist in Österreich in den letzten sechs Jahren um 37 Prozent angestiegen. Alle Bestrebungen, das tatsächliche Pensionsalter der Menschen im Land hinauf zu setzen, werden keinen Erfolg haben, wenn der Belastung durch ausufernde Arbeitszeiten nicht Einhalt geboten wird. Auch aus beschäftigungspolitischer Sicht sind ausufernde Arbeitszeiten kontraproduktiv: Laut Berechnungen des Sozialministeriums könnten bei einer Absenkung des Überstundeniveaus auf den Durchschnitt der EU-Staaten zumindest 42.000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden.