Europaweit verfolgen rechte Parteien Ziele, die jenen der Nationalsozialisten gleichen. Gewalt gegen Menschen anderer Herkunft nimmt zu. Das Massaker von Norwegen war ein beschämender Höhepunkt in einem geistigen Umfeld, das wir nicht sehen wollen.
Der Terrorakt von Oslo hat Europas Rechtspopulisten aus dem Tritt gebracht. Zwei Monate nach dem Massaker auf der Insel Utoya verlor Norwegens islamkritische Fortschrittspartei, in deren Jugendorganisation Anders Breivik eine Zeitlang tätig war, bei den Kommunal- und Regionalwahlen mehr als ein Drittel ihrer Wähler und kam mit 11,4 Prozent kaum auf die Hälfte dessen, was Demoskopen vor Beginn des Wahlkampfes vorhergesagt hatten. Der militant ausländerfeindlichen Dänischen Volkspartei ging es kaum besser. Sie verspielte nicht nur die Chance, sich neben Konservativen und Sozialdemokraten als dritte Großpartei zu etablieren, sondern verlor auch ihre Funktion als Mehrheitsbeschaffer für das Mitte-Rechts-Lager.
Dabei hätten die beiden Wahlgänge Auftakt einer gemeinsamen Großoffensive werden sollen, mit der sich die Rechtspopulisten europaweit als regierungsfähige politische Kräfte etablieren wollten. Die Weichen dafür schienen gestellt. Nachdem die 2007 gegründete Rechts-Fraktion „Identität, Tradition, Souveränität“ (ITS) nach wenigen Monaten wieder zerfallen war, haben sich im Europaparlament nun sogar zwei Fraktionen aus Parteien des rechten Randes formiert.
Gemeinsames und Trennendes
Mehrere Anläufe waren zuvor an Artikel 29 der Geschäftsordnung des Europaparlaments gescheitert, der die „politische Zusammengehörigkeit“ der beteiligten Parteien vorschreibt. Europas Rechte aber haben in ihren Parteiprogrammen sehr unterschiedliche Ziele formuliert. Was sie verbindet, ist weitgehend der Tradition des Nationalsozialismus entnommen:
– Stimmenmaximierung mit einer Politik der Feindbilder und Sündenböcke, denen die Schuld an allen Missständen zugeschrieben wird;
– Angriffe gegen das „System“ der etablierten Parteien, unabhängigen Gewerkschaften, freien Medien und unabhängigen Gerichten, die Ziel von Skandalisierung, Denunziation und Verleumdung werden und
– ein als „Patriotismus“ getarnter Nationalismus, der militant gegen den „Außenfeind“ – die EU – in Stellung gebracht wird.
Trotz solcher Gemeinsamkeiten aber sind Programme und Feindbilder von Land zu Land sehr verschieden: In Österreich hat die FPÖ ihren Wahlkampf 1999 mit Parolen geführt, die sich frontal gegen Ausländer richteten.
Nach den Anschlägen des 11. 9. 2001 bot sich das Feindbild Islam zur Stimmenmaximierung an. Bis zu diesem Datum fühlte sich Israel durch Haiders privilegierte Kontakte mit islamischen Despoten wie Saddam Hussein oder Gaddafi herausgefordert. Heute sucht Strache in Israel nach Verbündeten im Kampf gegen den Islam.
Den Wahlkämpfern der ungarischen Jobbik blieben solche Wendemanöver erspart. Weil es kaum Gastarbeiter gibt, müssen sie mit dem traditionellen Feindbild Juden und Roma Vorlieb nehmen. Daneben träumen die militanten Nationalisten von der Wiederherstellung Großungarns, das große Teile des Burgenlandes einschließen würde – was eine Zusammenarbeit mit der FPÖ zum Problem machen könnte.
Auch der Slowakischen Nationalpartei (SNS) fehlen die Ausländer. Ihre Agitation muss sich, wenn sie Stimmen bringen soll, gegen Roma und die ungarische Minderheit richten. Die Internetseite der Partei zeigte 2008 eine Europakarte, auf der Ungarn zwischen Österreich (westlich der Donau) und der Slowakei (östlich der Donau) aufgeteilt war – was die Nationalisten der Jobbik mit wüsten Drohungen beantworteten.
Italiens neofaschistischen Parteien tun sich traditionell schwer mit der FPÖ. Sie stehen in der Tradition Mussolinis und wollen mit keiner Partei zusammenarbeiten, die das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol fordert. Die Lega Nord aber stößt sich an den „neonazistischen Traditionen“ der FPÖ. Sie kämpft nicht nur gegen den Zuzug von Muslimen, sondern vor allem gegen den aus Süditalien und den Abfluss von Steuergeld aus dem „fleißigen Norden“ in den „faulen Süden“. Die britische United Kingdom Independence Party (UKIP), deren Funktionäre zum Teil aus dem Umfeld neonazistischer Gruppierungen kommen, hat, weil das mehr Stimmen verspricht, „Ausländer raus aus Großbritannien“ durch „Großbritannien raus aus der EU“ ersetzt.
In der braunen Schmuddelecke
Ein weiteres Problem bildet das gemeinsame Ziel der Rechten, sich aus der extremistischen, braunen Schmuddelecke zu befreien und als „EU-kritische Patrioten“ Regierungsfähigkeit zur Schau zu stellen. Was als „rechtsextrem“ verpönt bzw. als „patriotisch“ erwünscht ist, wird dabei recht unterschiedlich interpretiert.
Trotz ihrer Wahlerfolge wird die FPÖ von einigen ihrer logischen Verbündeten als Partner abgelehnt, weil sich freiheitliche Politiker zu wenig entschieden vom Nationalsozialismus distanzieren. Das gleiche gilt für den belgischen Vlaams Belang, der die Traditionen der pronazistischen flämischen Vorkriegsbewegung verteidigt und für die ungarische Jobbik, die Rhetorik, Symbolik und Selbstdarstellung jener nationalsozialistischen „Pfeilkreuzler“ übernommen hat, die in Ungarn während der Besetzung durch Nazi-Deutschland herrschten. Ein früherer Parteichef der „Schwedendemokraten“ hatte sich davor in der neonazistischen „Nordischen Reichspartei“ engagiert. Es ist kein Zufall, dass die vier Parteien in der Fraktion „Europa der Freiheit und Demokratie“ keine Aufnahme fanden, in der die Dänische Volkspartei und die italienische Lega Nord den Ton angeben.
Die FPÖ tut so, als merke sie die Ablehnung nicht. Seit vielen Jahren veranstaltet sie Treffen rechtsextremer Gruppierungen, bei denen Gemeinsamkeiten beschworen und nach einer Europa-Strategie gesucht wird. Anfängliche Hemmschwellen sind längst überwunden. Noch 2002 hatte sich der damalige FPÖ-Generalsekretär Karl Schweitzer in der „Presse“ darüber beschwert, mit rechtsextremen Parteien wie dem Vlaams Blok oder dem Front National „wider besseren Wissens“ in einen Topf geworfen zu werden. Es gebe mit diesen Parteien weder inhaltliche Berührungspunkte noch Kontakte – „und es wird auch keine geben!“ Heute gehören die Nachfolger der flämischen Nationalisten (die sich, um einem Parteienverbot zuvorzukommen, als Vlaams Blok auflösten, um sich danach als Vlaams Belang neu zu erfinden) ebenso wie der antisemitische und islamfeindliche Front National zu den von der Strache-FPÖ hochgelobten „europäischen Patrioten“. Ohne Berührungsängste hat sich die FPÖ mit jenen verbündet, die sich selbst als „regierungsfähig“ bezeichnen, von der Mehrheit der demokratischen Parteien in Europa jedoch als rechtsextreme, antisemitische, rassistische bzw. islamophobe Nationalisten wahrgenommen werden.
Wenn Worte zu Taten werden
Es war die Bluttat von Oslo, die das mediale Interesse für die Zusammenhänge zwischen verbaler Hetze und dem Ausbruch realer Gewalt weckte. Der Wiener Historiker Gerhard Botz hat am „Runden Tisch“ des ORF Klartext gesprochen: Das Massaker von Oslo sei „kein Einzelphänomen“, sondern Ergebnis eines „geistigen Umfelds“. Rechtsextremismus-Experten in ganz Europa teilen diese Meinung. Fanatischer Fremdenhass und gemeingefährliche Intoleranz fördern die Entstehung rechter Gewalt.
Es waren die radikalen Parolen der Freiheitlichen, mit denen Franz Fuchs in seinen Bekennerbriefen und bei der Einvernahme seine Verbrechen rechtfertigte. Die fixe Idee, gegen „Umvolkung“ und „Überfremdung“ kämpfen zu müssen, sei „durch die damalige politische Diskussion“ entstanden, schreibt der Psychiater Reinhard Haller in seinem Gerichtsgutachten.
Die Freiheitlichen haben daraus nichts gelernt. Im steirischen Wahlkampf warben sie mit dem Online-Minarett-Spiel „Moschee baba“, bei dem Muezzine „abgeschossen“ (weggeklickt) werden. In Wien wurde ein Comic verbreitet, in dem Strache einen Buben auffordert, mit der Steinschleuder auf „Mustafa“ zu schießen. Anfang August wurden auf der Facebook-Seite „Türkei nicht in die EU“, die Strache als Administrator und die geschlossene FPÖ-Prominenz als Freunde auswies, Einträge wie „Freisetzung von Giftgas“ oder „Bombenregen auf islamischen Boden“ gefunden.
Die Veröffentlichung des 1500-Seiten-Manifests von Anders Breivik bringt nicht nur die Freiheitlichen, sondern auch ihre europäischen Gesinnungsfreunde in Verlegenheit. Der Oslo-Attentäter rechtfertigt seine Tat mit genau jenen Parolen, die den Wählern Europas aus der islamophoben Agitation rassistisch agierender Parteien geläufig sind. Ausdrücklich lobt er jene, die am lautesten gegen Muslime hetzen. Nicht weniger als 80 Mal nennt er dabei die FPÖ.
In Norwegen wurde mit erschreckender Deutlichkeit sichtbar, was in ganz Europa längst Alltag ist: Überall haben die rassistischen Wahlkämpfe rechtsextremer Parteien die Zahl politisch motivierter Gewaltdelikte in die Höhe schnellen lassen. Die Art, in der gegen Mitglieder einer Religionsgemeinschaft gehetzt wird, sprengt alle Grenzen von Anstand, Respekt und Menschlichkeit. Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders vergleicht den Koran mit Hitlers „Mein Kampf“, die Freiheitliche Susanne Winter nennt Mohammed einen „Kinderschänder“, die Schwedendemokraten lassen in einem Werbespot dunkle, Burka tragende Gestalten Jagd auf eine verängstigte Pensionistin machen, die Schweizer Volkspartei wirbt mit schwarzen Gestalten, die über die Schweizer Fahne trampeln.
Traditionen der Gewalt
Fast alle Parteien, die sich verharmlosend „populistisch“ oder „patriotisch“ nennen, bekennen sich mehr oder weniger offen zu Gewalttraditionen oder nehmen es mit der Abgrenzung zur Gewalt nicht so genau. Am neonazistischen Terror der Nachkriegszeit, an Mordanschlägen und Überfällen auf Ausländer, Roma und „Linke“, an Brand- und Bombenanschlägen auf Asylantenheime und Flüchtlingsquartiere, an der Schändung jüdischer Friedhöfe und anderen politisch motivierten Gewaltakten waren Mandatare, Funktionsträger, Mitglieder und Anhänger jener Parteien, die gegen Muslime, Ausländer und Roma hetzen, überproportional beteiligt.
In Ungarn verbreiten die als „Ungarische Garde“ gerichtlich verbotenen, als „Neue ungarische Garde“ jedoch ungehindert auftretenden Schlägertrupps der Jobbik Angst und Schrecken unter den Roma. Zahlreiche Funktionäre der Partei, mit der die FPÖ im Europaparlament als „Allianz für die Freiheit“ gemeinsame Sache macht, sind wegen schwerster Gewaltdelikte vorbestraft.
Die Verknüpfung des italienischen Neofaschismus in den tödlichen Terror, der zwischen 1969 und 1990 mehr als 100 Opfer forderte, ist auf Tausenden Seiten Ermittlungsakten der Anschläge von Bologna, Mailand und Brescia dokumentiert. Die Jugendorganisation der neofaschistischen MSI, die im Zentrum der polizeilichen Ermittlungen stand, wurde 1977 von Gianfranco Fini geleitet, der unter Berlusconi zum italienischen Außenminister aufstieg. Ein Europaabgeordneter der Lega Nord fand in einem Interview lobende Worte für Breivik, dessen Ideen er als „gut und manchmal ausgezeichnet“ klassifiziert.
Jean-Marie Le Pen, Gründer und langjähriger Vorsitzender des Front National (FN) und Vater der Neo-Chefin Marie Le Pen, musste sich in schlechten Zeiten durch den Vertrieb von Nazi-Liedern über Wasser halten. Er hat im Algerien-Krieg gefoltert, bei Saalschlachten ein Auge eingebüßt und eine sozialistische Kandidatin, die gegen ihn demonstrierte, eigenhändig verprügelt. Einer seiner Anhänger hat am 14. Juli 2002 einen Anschlag auf Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac versucht. Wann immer in Frankreich eine Moschee in Flammen aufgeht oder ein jüdischer Friedhof geschändet wird, sucht und findet die Polizei die Täter im Umfeld des Front National. Ein Politiker des FN veröffentlichte einen Text, der Breivik zur „Ikone“ des Widerstandskampfes gegen die „muslimische Invasion“ verklärt.
Tomislav Nikolic von der Serbischen Fortschrittspartei, mit dem Strache im Juni ein Partnerschaftsabkommen geschlossen hat, machte bis 2008 als Chef der Radikalen Partei (SRS) gemeinsame Sache mit jenen, die sich als Kriegsverbrecher vor dem Den Haager Tribunal verantworten müssen. Er galt als treuer Gefolgsmann von Vojislav Seselj und mobilisierte noch 2008 die Straße gegen die Auslieferung von Radovan Karadzic an das Kriegsverbrechertribunal von Den Haag.
Schon diese wenigen Beispiele zeigen: Europa hat ein Problem. Ein von Hetzern angefachter und von psychopathischen Gewalttätern exekutierter Kampf der Kulturen ist zur Bedrohung unserer demokratischen Gesellschaft geworden. Wer da nichts hören, nichts sehen und nicht reden will, macht sich mitschuldig.