Gewalt am Arbeitsplatz

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Menschen in betreuenden und pflegenden Berufen sind oft Gewalt durch KlientInnen ausgesetzt. Das lässt sich nicht immer vermeiden, die Arbeitgeber könnten aber die Situation entschärfen. 

Während ein Bewohner einer Behindertenwohngemeinschaft wieder einmal den Kühlschrank plündert, prügelt einer seiner Mitbewohner auf ihn ein, weil er um sein Abendessen fürchtet. Der Dienst habende Betreuer muss dazwischen gehen, bevor einer seiner Klienten verletzt wird – und riskiert dabei, selbst geschlagen zu werden. Manches Mal kommt der Rempler, das Kratzen, Beißen oder das Werfen mit Sesseln und anderen Gegenständen aber auch ganz unerwartet: wenn sich der alte Herr, der zu Hause versorgt wird, nicht waschen lassen will. Wenn das Essen nicht schmeckt und die Patientin dies nur durch nonverbale Aggression zum Ausdruck bringen kann. Wenn der Autist sich nicht anziehen lassen will, vor dem Haus aber bereits der Kleinbus wartet, der ihn zu seinem Arbeitsplatz in einer Tageswerkstätte bringen soll.

Tabuthema Gewalt

Früher waren wesentlich mehr Menschen, die ihren Alltag nicht alleine bewältigen konnten, in stationären Einrichtungen untergebracht. Heute ist es möglich, dass viele dieser Menschen selbstbestimmt leben können. Mobile Pflege gibt vielen pflegebedürftigen, alten Menschen, wonach sie sich sehnen: in ihren eigenen vier Wänden bleiben zu können. Das betreute Wohnen ermöglicht körperlich, geistig und mehrfach Behinderten auch eine persönliche Entwicklung. „Und das ist gut so“, betont eine Betriebsrätin eines Anbieters in diesem Bereich. Wie auch alle anderen Ansprechpartner kann weder ihr Name noch jener ihres Arbeitgebers genannt werden. Das Thema Gewalt wird von der Leitungsebene solcher Einrichtungen nicht gerne öffentlich erörtert. Rasch wird hier gegen MitarbeiterInnen, die Vorkommnisse, in denen sie Gewalt oder sexuellen Übergriffen während ihres Dienstes ausgesetzt sind, die Klagskeule geschwungen.

Was die Betriebsrätin dagegen eben nicht gut findet, ist, wie die meisten Arbeitgeber mit der Situation umgehen. Das Problem ist vielschichtig: einerseits gibt es von der öffentlichen Hand oft nicht so viel Geld, wie für eine rundum gute Betreuung von Behinderten nötig wäre. Der Druck werde dann auf die MitarbeiterInnen weitergegeben: sie müssen als mobile Pfleger entweder mehr PatientInnen als bisher betreuen oder in Wohngemeinschaften alleine Dienst machen. Resultat der beschränkten Finanzmittel ist auch, dass in manchen Bundesländern beziehungsweise von vielen Arbeitgebern keine Schmutz, Erschwernis- und Gefahrenzulage (SED-Zulage) bezahlt wird. Wobei eine Betriebsrätin klar stellt: „Auch mit dieser Zulage ist es nicht okay, ständig Gewalt ausgesetzt zu sein. Den Mitarbeitern würde aber wenigstens Anerkennung für ihre Leistung gezollt.“

Zeitmangel

Andererseits brauchen gerade Menschen, die in Behindertenwohngemeinschaften leben, oft viel Aufmerksamkeit. Hat die Betreuerin alle Hände voll damit zu tun, dafür zu sorgen, dass alles halbwegs läuft, ist für individuelle Auseinandersetzung nicht mehr viel Zeit. Die Betreuten spüren das – und reagieren erst Recht mit Wutausbrüchen, Schreien, dem Werfen von Gegenständen, um auf sich aufmerksam zu machen. „Mehr Personal würde die Situation in vielen Einrichtungen entschärfen“, ist ein Betriebsrat überzeugt.

Stress und Aggression

Immer wieder gibt es auch Fälle, in denen der Arbeitgeber nach einem Vorfall, in dem ein/e MitarbeiterIn verletzt wurde, nicht hinter diesem stehen – sondern ihm/r sogar die Schuld an der Eskalation geben. Die Teilnahme an Deeskalationstrainings wird aber nur einem kleinen Teil der MitarbeiterInnen im sozialen Bereich finanziert. Und manches Mal führen  Abwehrreaktionen von BetreuerInnen zu noch mehr Aggression des Betreuten. „Jeder reagiert in einer solche Stresssituation eben anders“, so eine Betriebsrätin. Und wenn man weiß, dass immer wieder KollegInnen Hämatome, Kratzspuren, Prellungen, aber auch schwerere Verletzungen davontragen, versuche man natürlich, nicht auch im Krankenhaus zu landen.

Anlaufstelle nötig

„Natürlich kann es nicht so sein, dass sofort die Klientin oder der Mitarbeiter entfernt wird“, sagt die Arbeitnehmervertreterin. Tendenziell bleibe aber dann eher der MitarbeiterIn auf der Strecke. Sie spricht sich daher für die Einrichtung von Anlaufstellen aus, die nach einem Vorfall von dem Betroffenen kontaktiert werden können. So gibt es im Einzelfall objektive Aufklärung und Hilfe für die MitarbeiterInnen, andererseits weiß man dann rascher, wo das System insgesamt verbessert werden muss. So wird zum Beispiel rasch klar, dass es mit einem bestimmten Klienten in einer bestimmten Wohngemeinschaft immer wieder Probleme gibt und kann bei der Leitung vorstellig werden mit der Bitte, hier mehr Personal einzusetzen. Wobei sich die Betriebsrätin insgesamt wünschen würde, dass die Führungsebene weniger hinter dem Schreibtisch sitzt und sich selbst regelmäßig in den Einrichtungen vor Ort, aber auch in den Wohnungen jener, die mobil gepflegt werden, einen Eindruck verschafft.

Grenzen setzen lernen

Dass dieses bisher tabuisierte Thema nun langsam an die Oberfläche kommt, hat wohl auch damit zu tun, dass früher viele Menschen als BetreuerInnen aufgenommen wurden, die dazu keine Ausbildung hatten. Sie wurden von der Institution ausgebildet, die sie angestellt hatte, und haben vielfach die oft von Arbeitgeber-Seite vertretene Auffassung „Das gehört eben zum Berufsbild“ nicht in Frage gestellt. Heute müssen alle Personen, die zu Pflegende oder Behinderte betreuen, über eine Grundausbildung verfügen. Hier lernen sie auch, Grenzen zu setzen. Und zu erkennen, wenn Grenzen überschritten werden. „Sich schlagen zu lassen gehört nämlich nicht zu unserem Alltag“, so eine Betriebsrätin, die jedoch auch betont: „Wir alle machen unseren Job, weil wir Menschen helfen wollen. Wir stellen die Arbeit an sich nicht in Frage. Wir fordern aber, dass der Arbeitgeber bei Problemen hinter uns steht.“

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