Europa befindet sich im Ausnahmezustand. Knapp 52 Prozent der britischen BürgerInnen haben für den Austritt gestimmt.
Eine Entscheidung, deren Folgen heute noch kaum absehbar sind. Die unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen auf Österreich werden vorerst begrenzt sein. Trotzdem wird der Austritt der Briten auch uns betreffen. Nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Unsicherheit, die nicht nur für das Wirtschaftswachstum fatal ist. Dazu kommt, dass das Votum der Briten in vielen anderen Ländern, so auch in Österreich, jenen Kräften den Rücken stärkt, die nationalstaatliche Lösungen für ein Allheilmittel und Migration für die Wurzel allen Übels halten. Bei aller berechtigter Kritik an der europäischen Politik ist es aus der Sicht eines so kleinen Landes wie Österreich absurd zu behaupten, dass wir drängende Fragen wie wachsende Arbeitslosigkeit, stagnierendes Wirtschaftswachstum oder auch die Flüchtlingskrise allein besser lösen könnten als gemeinsam.
Die britischen Gewerkschaften haben sich daher trotz ihrer Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Ausrichtung in der EU nicht nur für den Verbleib ausgesprochen, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärungsarbeit geleistet. Nun geht es für sie darum zu verhindern, dass die Beschäftigten die Zeche für den Brexit zahlen. Wichtige Arbeitsrechte wurden auf EU-Ebene von den Gewerkschaften erkämpft, und es gibt keine Garantie, dass diese im nationalen Recht durch die britische Regierung beibehalten werden. Darüber hinaus werden bereits Einschnitte und Privatisierungen im Sozialsystem sowie Steuererhöhungen diskutiert. Die europäischen Gewerkschaften haben den Briten jedenfalls schon ihre Solidarität und Unterstützung zugesichert.
Für uns im Rest von Europa wird es nun darum gehen, rasch aus der Schockstarre zu erwachen und den BREXIT als Chance zu sehen. Die Entscheidung der Briten wie auch die EU-Skepsis in anderen Ländern kommt nicht aus heiterem Himmel. Ihr gehen Jahrzehnte einer verfehlten Wirtschaftspolitik voraus, die sich auf Schuldenbremsen und immer weitere Einsparungen konzentriert hat. Welchen politischen Sprengstoff das mit sich bringt, haben uns die Briten jetzt vorgeführt.
Es ist zu hoffen, dass sie damit Europa endlich wachgerüttelt haben und jenen Kurswechsel erzwingen, den wir seit Jahrzehnten fordern. Aus der tiefen Vertrauenskrise, in der die EU steckt, kommen wir nur, wenn wir die Austeritätspolitik beenden. Soziale Grundrechte und soziale Sicherheit müssen Vorrang vor den Marktfreiheiten bekommen. Spielräume für öffentliche Investitionen müssen geschaffen werden, und die Bekämpfung von Steuerbetrug, Steuervermeidung und Steueroasen sowie weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der Verteilungsschieflage müssen ernsthaft angegangen werden. Die EU hat eine letzte Warnung erhalten. Diese muss ernst genommen werden, damit Europa nicht endgültig scheitert.