Der britische Gewerkschafter Simon Dubbins ist erschüttert über den BREXIT. Er sieht negative Auswirkungen für ArbeitnehmerInnen, Wirtschaft und den gesamten europäischen Kontinent.
KOMPETENZ: Am 23. Juni haben die Briten für einen BREXIT, also den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, gestimmt. Was bedeutet das für Ihr Land?
Simon Dubbins: Das Abstimmungsergebnis ist ein starkes politisches Erdbeben. Viele Leute waren schockiert, weil sie ein knappes „Ja“ erwartet haben. Nur wenige haben damit gerechnet, dass tatsächlich für einen Austritt aus der Europäischen Union gestimmt wird.
KOMPETENZ: Was sind die unmittelbaren Auswirkungen des Votums?
Dubbins: Wir spüren die Auswirkungen tagtäglich. Die Welt hat sich massiv verändert. Jeder macht sich Gedanken über die Folgen dieses Votums. Ich befürchte eine sehr sehr schwierige Entwicklung für Großbritannien und das gesamte Europa.
Wir müssen nun schauen, dass wir unsere Arbeitnehmerrechte, unser Schulsystem und unsere Gesundheitseinrichtungen sichern. Aus gewerkschaftlicher Sicht müssen wir unbedingt im Binnenmarkt bleiben um Arbeitsplätze zu sichern und auch um unsere Arbeitnehmerrechte zu schützen – das ist wichtig für unsere Mitglieder. Es besteht die große Gefahr, dass wir uns in einem völlig deregulierten Arbeitsmarkt wiederfinden und unsere Mitglieder könnten viele soziale Rechte, auch in der betrieblichen Vertretung, verlieren.
KOMPETENZ: War das Votum absehbar?
Dubbins: Ich war in der „pro-Kampagne“ engagiert, wir haben als Gewerkschaft Informationsveranstaltungen mit betrieblichen Vetrauensleuten und Führungskräften abgehalten. Mir wurde schnell klar, dass die FunktionärInnen und AktivistInnen zwar „Pro“ stimmen werden. Sie haben aber auch unmissverständlich kommuniziert, dass große Teile der Belegschaften mit „Nein“ stimmen werden. Daher war uns klar, dass es ein knappes Rennen wird. Es war klar, dass es schwierig wird zu gewinnen.
KOMPETENZ: Warum haben sich die Menschen nicht vom „Ja“ überzeugen lassen?
Dubbins: Es ist uns nicht gelungen, unseren Mitgliedern zu erklären, warum ein „remain“, also ein Verbleib in der EU, wichtig wäre. Die Funktionäre haben berichtet, dass sie nicht zu den Menschen durchdringen, dass diese ihnen gar nicht zuhören und die Argumente gar nicht hören wollen, weil sie das Thema so stark ablehnen. Jemanden, der nicht zuhören will, den kann man auch nicht überzeugen.
KOMPETENZ: Warum haben die Leute nicht zugehört?
Dubbins: Die Kampagne war stark emotional aufgeladen. Den Austrittsbefürwortern ist es gelungen die Abstimmung zu einem Votum über die Migrationspolitik zu verdrehen. Interessanterweise haben die Menschen genau in jenen Orten mit bis zu 75 Prozent für „leave“, also für den Austritt, gestimmt, wo kaum Ausländer wohnen. Es ist uns nicht gelungen zu erklären, dass die erhöhte Arbeitslosigkeit und die prekären Arbeitsverhältnisse in vielen Regionen durch Privatisierungen und den Neoliberalismus verursacht worden sind. Das schnelle „Nein“ ist für viele zur einfachen Lösung geworden, die nach einer einfachen Lösung gesucht haben. Viele Einzelheiten, die an der EU gestört haben, wurden in dieser Abstimmung entladen.
KOMPETENZ: Wie wird es nun weitergehen?
Dubbins: Das ist natürlich die wichtigste Frage. Aber auch hier gibt es starke Unsicherheiten. Die Befürworter der Austrittskampagne haben sich unmittelbar nach dem Votum zurückgezogen. Es sieht ganz so aus, als hätten auch sie nicht an einen „Sieg“ geglaubt. Politisch konnten sie den Austritt offenbar nicht umsetzen. Zu Beginn konnte man schwer erfassen, wohin das alles führen wird. Es gab keine Pläne der Regierung für den Fall eines negativen Votums, sie war darauf nicht vorbereitet.
KOMPETENZ: Was sind die Folgen?
Dubbins: Das negative Votum hat zu einer tiefen Spaltung Großbritanniens geführt. Wir erleben eine Spaltung zwischen dem städtischen und dem ländlichen Bereich, zwischen jungen und alten Menschen und zwischen dem Norden und dem Süden. In den großen Städten wie London, Liverpool oder Bristol haben rund 60 Prozent für einen Verbleib gestimmt. In Schottland waren 60 Prozent, in Nordirland 58 Prozent dafür. 80 Prozent der über 65-jährigen haben für einen Ausstieg gestimmt. 70 Prozent der unter 25-jährigen haben für den Verbleib gestimmt. Das ist eine eklatante Spaltung zwischen den Generationen.
Diese Spaltungen habe ich noch nie so stark erlebt! Das Abstimmungsergebnis von 48 zu 52 Prozent zeigt: wir sind ein gespaltenes Land.
Nun sind neue Abspaltungstendenzen in Schottland erkennbar, dessen Bevölkerung ja mehrheitlich für einen Verbleib in der EU gestimmt hat. Auch in Irland könnten – nach 20jährigem Friedensprozess – neue Spannungen entstehen. Großbritannien befindet sich in einer Verfassungskrise, denn es ist nicht klar, ob das Vereinigte Königreich in dieser Form zusammenbleiben wird.
KOMPETENZ: Und die wirtschaftlichen Folgen?
Dubbins: Die sind gravierend. Viele Investitionen wurden bereits gestoppt, Die großen Unternehmen werden nicht mehr in gleichem Maß in Großbritannien investieren, weil nach Wegfall des Binnenmarktes hohe Zölle drohen und die Produkte sich dadurch massiv verteuern werden. Unsere Industrie wird nicht mehr konkurrenzfähig sein.
KOMPETENZ: Gibt es auch Gewinner?
Dubbins: Einzig die Rechtspopulisten sind die Gewinner. Ich kann diesem Votum rein gar nichts Positives abgewinnen – es ist zu befürchten, dass die ArbeitnehmerInnen in Großbritannien nur verlieren werden.
KOMPETENZ: Wie soll ein BREXIT vonstattengehen?
Dubbins: Es ist noch nicht klar, wie ein Austritt abgewickelt werden soll. Es gibt unzählige, höchst komplizierte Rechtbereiche, Verträge und Vereinbarungen. Kaum geht man einen Schritt in Richtung Auflösung, steht man vor einer Vielzahl von neuen Problemen und kommt einfach nicht weiter. Wir brauchen in den nächsten Monaten jedenfalls eine große und breite Debatte zu dem Thema.
Simon Dubbins ist internationaler Sekretär der Gewerkschaft „unite“, der größten Gewerkschaftsorganisation in Großbritannien. Sie vertritt rund 1,4 Mio. Mitglieder in 21 Fachbereichen, darunter so wichtige Zweige wie Auto- und Druckindustrie.