Kein Kollektivvertrag bedeutet mehr Arbeit für weniger Geld. Vor mehr als einem Jahr hat der Verband Druck und Medientechnik angekündigt, seine Verantwortung für den Kollektivvertrag nicht mehr wahrzunehmen.
Mit einem Trick haben sich die Arbeitgeber der Druckerbranche ihrer Verantwortung gegenüber den etwa 9.000 Beschäftigten entledigt. Seit Mitte Juni 2017 ist die gesamte Branche kollektivvertragsfrei, die Verhandlungen über einen neuen Kollektivvertrag lassen auf sich warten. Die Arbeitgeber praktizieren eine Hinhaltetaktik. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Arbeitgeber inzwischen untätig wären: Sie nutzen vielmehr den rechtsfreien Raum, um die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten zu verschlechtern. So hat etwa die steirische Druckerei Klampfer bereits eine Reihe von sogenannten Änderungsvereinbarungen auf den Weg gebracht. Für die Betroffenen bedeutet das mehr Arbeit für weniger Geld, weil Nachtzuschläge sowie Weihnachts- und Urlaubsgeld gekürzt wurden.
Angriffe haben ein konkretes Ziel – die Schwächung der Sicherheit von ArbeitnehmerInnen
Die aktuelle Situation für die Beschäftigten des grafischen Gewerbes zeigt, wie sich die von einigen wahlwerbenden Parteien angepeilte Zerschlagung der Sozialpartnerschaft und damit des Kollektivvertragssystems auswirken könnte. Die Angriffe kommen dabei von unterschiedlichen Seiten mit unterschiedlichen Stoßrichtungen. Die Industriellenvereinigung, Teile der ÖVP, die Neos und nicht zuletzt die Freiheitlichen lassen kein gutes Haar an Sozialpartnerschaft, Kollektivverträgen, Kammern und Gewerkschaften: Die Sozialpartnerschaft wird als veraltetet und als ein Wirtschaftshemmnis dargestellt. Die Pflichtmitgliedschaft in Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer wird als unnötige Ausgabe für verbeamtete Apparatschiks bezeichnet, auf die man gut und gerne verzichten kann. Die Kollektivverträge werden als zu unflexibel und einer modernen Arbeitswelt nicht mehr angemessen verunglimpft. Was dabei auch in der medialen Diskussion oft untergeht, ist die enorme Bedeutung von Sozialpartnerschaft, Pflichtmitgliedschaft und Kollektivverträgen für die ArbeitnehmerInnen aber auch für die Volkswirtschaft.
Österreich hat derzeit eine Kollektivvertragsabdeckung von 98 Prozent und liegt damit unangefochten an der europäischen Spitze. Das bedeutet, dass 98 Prozent der unselbstständig Beschäftigten in Österreich von einem Kollektivvertag erfasst werden. Im Vergleich dazu sind es in Deutschland nur noch etwa 58 Prozent und in den USA nur 12 Prozent. Entscheidend für die hohe Kollektivvertragsabdeckung ist die Pflichtmitgliedschaft der meisten Unternehmen in der Wirtschaftskammer, die die Mehrheit der Kollektivverträge mit den Gewerkschaften verhandelt. Damit können sich die Unternehmen den Kollektivvertrag nicht einfach aussuchen und normalerweis auch nicht einfach aus einem Kollektivvertrag aussteigen. Über die Kollektivverträge sind nicht nur die Arbeitsbedingungen branchenweit gleich und einheitlich geregelt, auch die Unternehmen können sich über einen faire Wettbewerbsbedingungen freuen, weil nicht einzelne schwarze Schafe nicht die Regeln nach unten nivellieren können um Kosten zu sparen.
Der Kollektivvertrag sichert ArbeitnehmerInnen-Interessen
Insgesamt gibt es in Österreich etwa 800 Kollektivverträge, 450 davon werden von den Gewerkschaften jährlich neu verhandelt. Diese Kollektivverträge sind das zentrale und wirkungsvollste Instrument zur Durchsetzung von ArbeitnehmerInnen-Interessen. Sie gewährleisten einklagbare und einheitliche Mindeststandards und verhindern Lohndumping und eine willkürliche und einseitige Verschlechterung von Arbeitsbedingungen durch die ArbeitgeberInnen. Kollektivverträge regeln also weit mehr als nur die Löhne und Gehälter der Beschäftigten. Viele Kollektivverträge enthalten darüber hinaus Regelungen für Zulagen und Zuschläge, Modelle für Arbeitszeitverkürzung, Verbesserungen beim Urlaubsrecht und bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Auch das Urlaubs- und Weihnachtsgeld ist keine gesetzliche Regelung sondern eine Errungenschaft der Kollektivverträge. Anders als von bestimmten Interessengruppen gerne dargestellt, sind es gerade die Sozialpartner, die über das Instrument der Kollektivverträge immer wieder sozialpolitische Fortschritte und Innovationen ermöglichen, lange bevor diese Eingang in Gesetze finden. Zu den wichtigsten Erfolgen der jüngeren Zeit gehören die Freitzeitoption, die es möglich macht Lohnerhöhungen in mehr Freizeit umzuwandeln, aber auch deutlich höhere Mindestlöhne sowie ein zukunftsweisendes Entgeltschema für mehr als 400.000 Beschäftigte im Handel. Zudem ist es in den vergangenen Jahren immer wieder gelungen neuen gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen: So wurden etwa eine bessere Anrechnung der Karenzzeiten oder der Papamonat erfolgreich zum Gegenstand von Kollektivvertragsverhandlungen gemacht.
Nur ein Kollektivvertrag schützt vor Willkür
Kollektivverträge sind also alles andere als unflexibel und die vielkritisierte Sozialpartnerschaft ist auf Ebene der Kollektivverträge oft Motor für Innovationen und durchaus in der Lage auch auf Besonderheiten der Branchen zu rasch zu reagieren. Sachlich lässt sich die hartnäckige Kritik nicht erklären. Es geht also um etwas anderes: Eine fragwürdige Koalition aus Industriellen, Neoliberalen und Rechten hat sich zum Ziel gesetzt, das machtvollste Instrument der Arbeitnehmerinteressenvertretung, die Kollektivverträge, auszuhebeln. Davon versprechen sie sich neben einer kalkulierten Kostenersparnis vor allem eine Schwächung der Gewerkschaften, die ihnen aus unterschiedlichen Gründen ein Dorn im Auge sind: Den Neoliberalen weil sie die Profitmaximierung um jeden Preis behindern und den politisch Rechten, weil sie untrennbar mit dem demokratischen System verbunden sind, das sie nachhaltig schwächen und zurückdrängen wollen.