Herausgeber Max Haller setzt sich in seinem Buch mit den Gesetzmäßigkeiten griffiger Botschaften im Zeitalter von Social Media auseinander.
Botschaften müssen kurz und prägnant, aktuell und nach Möglichkeit provokant sein. Damit eine Behauptung zur Schlagzeile wird, reichen meist einige Fakten aus einer Statistik oder wissenschaftlichen Studien.
Haller hebt fünf Formen des problematischen Umgangs mit gesellschaftlichen Daten und Fakten hervor, die Medien und politische Akteure anwenden: Erstens die selektive Auswahl und Hervorhebung bestimmter Daten und Fakten. Durch prägnante Zahlen und Berichte über erschütternde Einzelereignisse werden Probleme verallgemeinert, die Entwicklung von Stereotypen und Vorurteilen wird begünstigt.
Als zweites Übel wird das Transportieren von Teil- und Halbwahrheiten benannt. Hierbei werden objektivierbare Daten aus dem Zusammenhang gerissen und stellen dadurch eine völlig andere Situation dar, als in der Realität tatsächlich existiert. Bei dieser Strategie werden oftmals anstößige Ereignisse und Fakten hervorgehoben – mit dem Ziel, den Boden für die Durchsetzung gewisser politischer Maßnahmen aufzubereiten.
Als dritte Fehlentwicklung wird die bewusste Verfestigung von Stereotypen und Vorurteilen durch implizite Wertungen angeführt. Die Kommunikation basiert auf vereinfachenden und abwertenden Schlagwörtern, ohne sich thematisch tiefer gehend mit den Umständen zu befassen.
Die vierte Fehlentwicklung betrifft falsche Behauptungen, die manchmal in eindeutige Lügen übergehen. Für viele Politikwissenschafter gehört diese Art der Kommunikation, die hart an die Praxis der „fake news“ herankommt, längst zum politischen Alltag. Am Ende dieser zweifelhaften Kommunikationsspirale entwickeln sich dann Mythen – verfestigte Vorurteile, die von Gesellschaft und Politik kaum noch angezweifelt oder hinterfragt werden.
Halbwahrheiten verfestigen sich
Haller zeigt durch die Beiträge namhafter Wirtschafts- und SozialwissenschafterInnen aus über einem Dutzend österreichischer Universitäten bzw. Forschungsinstitute, dass sich im Bereich Migration und Integration viele Halbwahrheiten längst zu Mythen verfestigt haben. Das Buch greift 17 der wichtigsten Schlagwörter und Thesen dieser öffentlichen Debatte auf und diskutiert sie sachlich auf der Basis vorliegender wissenschaftlicher Befunde.
Sylvia Hahn widerlegt in ihrem Beitrag die weit verbreitete Auffassung, dass es noch nie so viel Migration gegeben habe, wie heute. Gudrun Biffl belegt durch mehrere Studien, dass Zuwanderer und einheimische Arbeitskräfte nicht ohne weiteres austauschbar sind und stellt sich damit dem Vorurteil entgegen, dass ZuwanderInnen einheimische Arbeitskräfte verdrängen. Jörn Kleinert und Daniel Reiter zeigen in ihrem Beitrag, dass ein totaler Zuwanderungsstopp höchst problematische Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft haben würde.
Auch mit weit verbreiteten Verzerrungen über die Merkmale und Eigenschaften von ZuwanderInnen wird aufgeräumt: Wolfgang Aschauer, Florian Gann und Lena Stöllinger zeigen in ihrem Beitrag unter Verweis auf amtliche statistische Daten und einschlägige Untersuchungen, dass die MuslimInnen zwar die Mehrheit unter den Flüchtlingen, aber weniger als die Hälfte aller Personen mit Migrationshintergrund ausmachen. Auch der immer wieder von Spitzenpolitikern vorgebrachten Behauptung, dass Flüchtlinge vor allem deswegen zu uns kommen, um unser gutes Sozialsystem auszunutzen, werden von Franz Prettenthaler, Christoph Neger, Johannes Berger und Ludwig Strohner Fakten entgegengesetzt: Zwei neuere systematische ökonomische Studien aus Wien und Graz kommen zu dem Schluss, dass AsylwerberInnen zwar zunächst deutliche Kosten verursachen, im Laufe der Jahre die staatlichen Einnahmen durch Steuern und Sozialabgaben durch die dann großteils erwerbstätigen Zugewanderten höher sein werden, als die Belastungen.
Wer nicht zulassen will, dass Politik und Massenmedien bestehende Ängste betreffend Migration und Integration verstärken, der findet in dem Buch zahlreiche sachliche Anknüpfungspunkte für faktenbasierte Sichtweisen.
Migration und Integration. Fakten oder Mythen?
Herausgegeben von Max Haller unter Mitarbeit von Katharine Apostle
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2019, 18,90 €
ISBN: 978-3-7001-8421-8