In seinem neuen Buch versucht Robert Misik, für die „arbeitenden Klassen“ ein Ohr zu haben.
Unter dem Titel „Die falschen Freunde der einfachen Leute“ hat der Wiener Autor Robert Misik sprachlich versiert wie immer im renommierten Suhrkamp Verlag dieser Tage seinen neuen Essay vorgelegt. Unweigerlich werden Assoziationen etwa an den ehemaligen FPÖ-Chef geweckt, der einen frugalen Lebensstil auf Parteikosten pflegte, wie sich nach seinem Sturz über das berühmt berüchtigte Ibiza-Video der allgemeinen Öffentlichkeit offenbarte. Doch Misiks Buch ist für einen größeren Markt geschrieben. Die Nazi-Nachfolgepartei und ehemalige Regierungspartei, die sich in der jüngeren Geschichte Österreichs am häufigsten als Partei der „einfachen Leute“ selbst inszenierte, wird denn auch erst nach dem ersten Drittel ausdrücklich erwähnt.
Ungeachtet der Erwartung, die Leserschaft bekomme eine Abhandlung über populistische Rattenfänger geliefert, stehen vielmehr die zeitgenössischen Wirklichkeiten der arbeitenden Klassen im Mittelpunkt. Rechtsextreme Politiker und islamische Hassprediger werden zwar erwähnt. Primär hebt Robert Misik aber die arbeitende Bevölkerung aufs Podest, und zwar jene Beschäftigten, die zu kämpfen haben – um ihre Jobs und ums finanzielle Überleben. Dazu bringt er eine Zusammenschau der neuesten Literatur samt soziologischer Studien vorwiegend aus dem angloamerikanischen Raum.
Gut und wichtig ist, dass Misik etliche Begriffsbestimmungen bis hin zur mitunter belastenden Bezeichnung „Volk“ vornimmt. Im vierten Kapitel beschreibt er die historischen Entwicklungen der Arbeiterinnen und Arbeiter, was insbesondere LeserInnen jüngerer Generationen interessieren dürfte. Einer der wahrsten Sätze in dem Bändchen ist: „Der verletzbarste Teil der Arbeiterklasse, das sind Teile der alten weißen Arbeiterklasse und das neue, zugewanderte Proletariat.“ Zurecht beschreibt er den Eindruck, dass diese „von den Eliten verkauft“ worden sind. Bei den zitierten Beispielen springt er locker hin und her zwischen Österreich und Großbritannien, USA oder Deutschland.
Wenn erörtert wird, dass die „einfachen Leute“ offensichtlich „falsche Freunde“ haben und warum das so ist, fällt hier jedoch eines auf: Die SPÖ kommt – im Unterschied zur deutschen Schwesterpartei – relativ ungeschoren davon. Außer wenn Misik Sätze schreibt wie diesen: „Vielleicht bestand die größte historische Leistung der Arbeiterbewegung darin, dass es ihr gelang, eine fragile Allianz aus einer unaufgeklärten Unterschicht, Handwerkern, gut ausgebildeten Facharbeitern, demokratischen und liberalen Mittelschichten sowie reformorientierten Intellektuellen zu schmieden.“ Im Umkehrschluss ließe sich folgern, dass sie alle die SPÖ nicht mehr hinter sich zu vereinen mag im Jahr 2019.
Der Autor plädiert dafür, die „einfachen Leute“ so sein zu lassen, wie sie sind (speziell im Kapitel über Identität). Eine tiefergehende Analyse, welche Rolle Fake News bei den Wahlentscheidungen spielen, wäre in diesem Zusammenhang dennoch wünschenswert gewesen. Auch lässt der vorliegende Essay konkrete Lösungen oder Empfehlungen (Arbeitszeitreduktion?, Grundeinkommen?, Studienplatzbewirtschaftung?) vermissen, wie zu vermeiden wäre, dass „einfache Leute“ möglicherweise „falschen Freunden“ auf den Leim gehen. Aber vielleicht arbeitet Robert Misik daran schon für sein nächstes Buch.
Robert Misik:
Die falschen Freunde der einfachen Leute
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
138 Seiten, 14,40 Euro
ISBN 978-3-518-12741-4