Der materielle Hintergrund unserer virtuellen Welt

Foto: DarkWorkX (pixabay)

Bewusst(er) digitalisieren: Die Diskussionen rund um Klimaerwärmung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz schwappt in alle unsere Lebensbereiche über.

Auch im IT-Bereich wird das Thema Nachhaltigkeit immer wichtiger. „Digitale Nachhaltigkeit“ kommt in den bisherigen Debatten rund um die digitale Transformation aber noch viel zu wenig vor, erklärt Christian Thorun (Gründer des ConPolicy-Instituts für Verbraucherpolitik) in seinem Workshop im Rahmen der re;publica 2019 in Berlin.

Smart manufacturingsmart agriculture smart conservation, smart building und smart energy sollen laut der Studie der Global e-Sustainability Initiative (Zusammenschluss großer Telekommunikations- und IT-Unternehmen) dabei helfen, die 17 „Sustainable Development Goals“ der UN bis 2030 zu erreichen. Laut dieser Studie können mithilfe von IK-Technologien bis zum Jahr 2030 20 % der weltweiten CO2-Emissionen eingespart werden. Diese Annahme kann, sollte und muss allerdings hinterfragt werden. Sehr smart! Aber auch hier gibt es eine andere (dunkle) Seite.

Die zwei Seiten des Mikrochips!

Die Meinung, dass Digitalisierung zu einer nachhaltigeren Wirtschaft, einer Schonung der Ressourcen und Energieeffizienz beitragen wird, ist weit verbreitet, merken die AutorInnen des Buchs Smarte Grüne Welt?“ an. Digitalisierung kann helfen, physische Ressourcen zu sparen. Als Beispiel vergleichen sie die erforderliche Größe von Festplatten, die das Volumen aller Bücher der British Library (die größte Bibliothek der Welt) in London beinhaltet (drei externe Festplatten mit je zwölf Terabyte). Diese Dematerialisierung erscheint vielen von uns als Verringerung des Ressourcenverbrauchs; aber ist das tatsächlich so? Die Antwort auf die Frage ist nicht so leicht.

Die digitalen Geräte benötigen ja selbst einiges an Ressourcen. Angefangen von deren Herstellung über deren Nutzung bis hin zu deren Recycling brauchen die kleinen und großen Gerätschaften so einiges an Rohstoffen und Energie.

Von der Produktion über die Nutzung bis hin zum Recycling

Was in einem digitalen Gerät drin steckt, welche Ressourcen dafür verbraucht werden und wie, also unter welchen Umständen, diese Geräte gebaut werden, darf bei einer Debatte über Digitalisierung nicht ausgeklammert werden.

Grafik: GPA-djp Öffentlichkeitsarbeit, Lucia Bauer

Die Rohstoffe, die für die Herstellung von Smartphones, Laptops, aber auch Elektroautos und Photovoltaik-Anlagen benötigt werden, werden oftmals in Gebieten abgebaut, in denen kein funktionierender Staat die Einhaltung von Standards und Schutzbestimmungen überwachen kann. Beispielsweise wird Kobalt in der Demokratischen Republik Kongo abgebaut und dies passiert laut Amnesty International unter „grausamen Bedingungen“ von Männern, Frauen und auch Kindern. Die Nachfrage nach Kobalt ist nach wie vor riesig (nicht zuletzt wegen der hohen Nachfrage nach Elektroautos) und rund die Hälfte des weltweiten Vorkommens dieses Rohstoffes lagert im Kongo. Kinderarbeit, Schutzstandards, die nicht kontrolliert werden sowie Zwangsumsiedelungen aufgrund von Industrieminen sind nur einige Teile des „hohen Preises“ dieses Rohstoffs. Auch wird den meisten von uns die Berichterstattung rund um die hohe Selbstmordrate in den Produktionsstätten von Foxconn in Erinnerung sein.

Laut dem Institut für Ökonomie und Ökumene Südwind werden allein für die Ressourcengewinnung für ein Mobiltelefon 35,3 kg Materialien be- und verarbeitet (der sog. „ökologische Rucksack“). Hinzu kommen weitere 8,2 kg in der Produktionsphase des Geräts. Und das ist erst der Beginn des Smartphone-Lebens!

Unsichtbare Stromfresser und Emmissionenverursacher

Mit Hilfe von Apps lassen sich faire, nachhaltig agierende Produzenten von fast allem finden und Produkte und Dienstleistungen können quasi auf einen Klick miteinander verglichen werden. Leihen, Tauschen, aber auch Co-Working, Co-Consuming und Co-Producing kann forciert werden. Anleitungen für Reparaturen (diybook oder ifixit ), Plattformen über die man weiterverkaufen od. weiterschenken (Kleiderkreisel oder die bekannteste willhaben), oder auch verleihen (bspw. fragnebenan oder Leila), tragen dazu bei, die Nutzungsdauer von Produkten zu verlängern.

Viola Muster (ConPolicy-Instituts für Verbraucherpolitik ) gibt im Rahmen der re;publica 2019 zu bedenken, dass Apps zwar „nett und wichtig“ seien, aber wir auch unseren „digitalen Konsum“ reduzieren müssen. Mit jeder Suchanfrage und jeder verschickten Nachricht werden Daten erzeugt und somit Energie verbraucht. Darüber besteht wenig bis gar kein Bewusstsein. Wer macht sich schon im Vorhinein Gedanken darüber, wie viel Strom die Suche nach dem Namen des neuesten Albums der Lieblingsband oder das Verschicken des lustigen Katzenvideos verbraucht? 

Eine einzige Google-Suchanfrage benötigt laut Google selbst ca. 0,4 Kilowattstunden – mit einer Kilowattstunde Strom kann man bspw. einen Waschgang mit der Waschmaschine betreiben. Eine Suchanfrage alleine fällt nicht ins Gewicht; aber bei 3,8 Millionen Suchanfragen pro Minute sind die dadurch entstehenden Emissionen nicht zu vernachlässigen.

Eine E-Mail verursacht etwa 10 g CO2; das entspricht der Klimabilanz einer Plastiktüte, erklärt Gary Cook im Arte-Interview.

Gary Cook, Spezialist für digitale Technologien bei Greenpeace

Laut Greenpeace verbrauchte der IT-Sektor bereits 2012 etwa 7 % der global verbrauchten Elektrizität. Das entspricht beispielsweise dem Stromverbrauch von Großbritannien. Denn auch wenn digitale Anwendungen virtuell und immateriell erscheinen, benötigen sie doch eine reale, materielle Grundlage um zu funktionieren (bspw. ressourcen-aufwendige Rechenzentren). Diese Unsichtbarkeit der verwendeten Infrastruktur lässt vergessen, dass dafür einiges an Energie verbraucht wird.

Microsoft versenkt Rechenzentren im Meer, um Energie zu sparen (Symbolbild v. Clara Fritsch)

Zehn Minuten Video-Streaming in HD auf einem Smartphone beispielsweise benötigt ebenso viel Energie wie ein Herd mit 2 Kilowatt Leistung, der fünf Minuten lang auf höchster Stufe läuft, zeigt eine Berechnung im Rahmen des Shift Projects.

In den letzten Jahren nahm der Stromverbrauch von Netzwerken und Datenzentren immens zu. Die 24/7 zur Verfügung stehende Infrastruktur geht Hand in Hand mit dem explodierenden Daten-Traffic unserer digitalen Welt. Die Datenlage ist schwierig, aber man geht davon aus, dass allein Datenzentren 2030 13 Prozent des globalen Stromkonsum verbrauchen werden.

Die Herausforderung besteht darin, die digitale Infrastruktur auf Erneuerbare Energie umzustellen. Der Clicking Clean Report zeigt, dass Apple und Google die Pole Position innehaben: Bei beiden Unternehmen steigt die Versorgung mit Erneuerbarer Energie parallel zum Unternehmenswachstum.

Auch wenn die elektronischen Geräte immer energieeffizienter geworden sind und werden, verpufft das Einsparungspotenzial durch immer größer werdende Bildschirme und zunehmende Geschwindigkeit (Anzahl der Operationen pro Sekunde). So hat sich die Rechenleistung pro Kilowattstunde alle 1,5 Jahre verdoppelt! Ein PC braucht heute pro Minute fast so viel Strom wie die ersten „Homecomputer“ vor 30 Jahren, erklärt Friedemann Mattern (Prof. für Informatik, ETH Zürich). Zudem darf der enorme Anstieg an einzelnen Geräten und die fast inflationäre Dauernutzung dieser, nicht unterschätzt werden! Der Rebound-Effekt schlägt hier voll ein!

Lässt sich aber nun tatsächlich ein Einsparungspotential bei beispielsweise der Verwendung von E-Book-Readern anstelle von Büchern feststellen? Wie sieht die Ökobilanz von digitalen zu konventionell „analogen“ Dienstleistungen im Vergleich aus? Steffen Lange und Tilman Santarius versuchen genau dies herauszufinden. Spannend wird es dann, so die AutorInnen, wenn Rebound-Effekte miteinberechnet werden. Ein „Gewinner“ ist schwieriger auszumachen als gedacht!

Recycling als „urbaner Bergbau“

Die großen Hersteller von Mobiltelefonen bieten ein Recycle-Programm an. Auch die Umweltberatung hält ein paar Tipps zum „richtigen entsorgen“ bereit und dann wäre da noch die Ö3 Wundertüte, eine der bekanntes Sammelaktionen. Das alte Handy kann in Österreich aber auch bei den großen Telekom-Anbietern zurückgegeben werden (bspw. bei A1 oder auch Magenta). Das Handy wird danach fachgerecht recycelt.

Oft landen die digitalen Geräte allerdings in Form von Elektroschrott in den ärmeren Weltregionen, in denen Gesundheitsfürsorge, Arbeitsschutz und wirtschaftliche Gerechtigkeit sowie Umweltschutz keine große Rolle spielen. Im Buch Smarte grüne Welt? erklären Stefan Lange und Tilman Santarius, dass für 2020 rund 52 Megatonnen an ausrangierten Elektrogeräten weltweit prognostiziert werden. Dies entspricht der Größe eines Schrotthaufens aller 46 Millionen PKWs, die in Deutschland derzeit unterwegs sind!

Repair and Refurb

Geringere Steuer auf Reparaturen wären hier für die AutorInnen der Studie „Recycling im Zeitalter der Digitalisierung“ ebenso eine mögliche Option wie die Verpflichtung der Hersteller originale Ersatzteile zu verhältnismäßigen Preisen bereit zu stellen. Kostenfreie Reparaturanleitungen können ebenso zu einer längeren Nutzungsdauer beitragen wie die Sicherung von Softwareupdates für die zu erwartende Lebensdauer von zumindest sieben Jahren.

Die unabhängige Initiative Phonebloks beispielsweise hat sich zum Ziel gesetzt, mit Hilfe ihrer Community und in Zusammenarbeit mit großen Konzernen aus der Industrie (bspw. Motorola, Google) Wege in eine zirkuläre Wirtschaft zu finden: Neue Produktionsweisen und neue Produkte, beispielsweise in Form eines modular aufgebauten Smartphones, sollen beitragen Elektroschrott zu vermeiden und eine einfache Reparatur ermöglichen.

Einen anderen Weg schlagen beispielsweise Refurbed ein. Eine „Plattform für erneuerte und qualitativ hochwertige Produkte, mit einheitlichen, hohen Standards hinsichtlich Qualität, Sicherheit und Garantie.“ Die gebrauchten Geräte werden von „Refurbishern“ gekauft und wiederhergestellt: Komponenten werden ausgetauscht und wieder aufbereitet. Bei der Refurbed-Variante fallen laut Eigenangaben 70 Prozent weniger CO2-Emissionen an als bei der Neuproduktion des Geräts. Und pro verkauftem Produkt wird auch noch ein Baum gepflanzt! 

Was wir als „smarte“ KonsumentInnen tun können

Als Verbraucher von Elektro-Geräten sollten wir uns bewusst werden, welche Wirkung unser Konsumverhalten auf die Umwelt hat. Zu wissen, wie viel Strom eine Google-Suche oder das Verschicken eines Bildes benötigt, ist das Eine. Sich über das eigene Konsumverhalten bewusst zu werden, das Andere.

Das Smartphone und den Laptop auch mal ausschalten und deren Energie-Einstellungen anpassen. Auch die Anpassung der Bildschirm-Helligkeit verringert den Energiebedarf. Den Akku laut den Herstellerangaben korrekt Laden, kann genauso helfen, wie in eine Schutzfolie für das Display zu investieren. Auch kann man versuchen, das Handy, den MP3-Player oder auch den E-Reader zu reparieren bzw. reparieren zu lassen. Manchmal zahlt es sich auch aus, nur Einzelteile (bspw. den Akku) auszutauschen. Das alte Handy an einer Sammelstelle oder eben beim Hersteller abzugeben, ist ebenso eine Möglichkeit als UserIn nachhaltiger zu agieren.

All das sind kleine, einfache Schritte hin zu einer bewussteren und nachhaltigeren Nutzung der elektronischen Helferlein.

Get bored!

M.J. Kelly, Managing Editor von Mozilla

Sicher einer der wirksamsten Tipps: Einfach mal in die Luft schauen!

Nicht in jeder freien Minute am Handy oder Laptop hängen, sondern die paar Minuten an der Haltestelle einfach mal in die Luft schauen und nichts machen! Wäre doch mal eine Abwechslung! 

Der Beitrag ist erstmals am Blog http://arbeitundtechnik.gpa-djp.at/ erschienen.

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