In fast allen Industrieländern geraten Gewerkschaften und ArbeitnehmerInnenvertretungen zunehmend unter Druck. Doch eine unlängst veröffentlichte OECD-Studie zeigt: In einer sich schnell wandelnden Arbeitswelt braucht es Gewerkschaften, Kollektivverträge und betriebliche Mitbestimmung mehr denn je.
Insgesamt 82 Millionen Gewerkschaftsmitglieder zählen die OECD-Mitgliedsstaaten. Das klingt nach viel, doch waren es schon einmal deutlich mehr: Nur noch 16 Prozent der in den Industrieländern Beschäftigten sind heute gewerkschaftlich organisiert. Noch 1975 waren es im Schnitt 33 Prozent, wie die OECD-Studie „Negotiating Our Way Up“ herausstreicht. Auch Tarifvereinbarungen (in Österreich: Kollektivverträge) greifen für einen immer kleineren Anteil von ArbeitnehmerInnen. Als einer der wenigen Positivbeispiele führen die AutorInnen Österreich an: Für weit mehr als 90 Prozent der Beschäftigten gilt hierzulande der Kollektivvertrag.
Dabei ist laut OECD ein höherer gewerkschaftlicher Organisationsgrad, eine größere Kollektivvertrags-Abdeckung und mehr betriebliche Mitbestimmung nicht nur gut fürs Geldbörserl der Beschäftigten, sondern wirkt sich auch positiv auf die Qualität der Arbeit aus.
Globaler Konkurrenzkampf zu Lasten der ArbeitnehmerInnen
Die Liste der Gründe, warum es Gewerkschaften in den letzten Jahren zunehmend schwerer haben, ist lang. Da sind zum einen makroökonomische Entwicklungen und zum anderen ein genereller Wandel der Arbeitswelt, die es ArbeitnehmerInnen und deren VertreterInnen erschweren, ihre Interessen adäquat zu vertreten. Einerseits sind es Globalisierung und digitale Transformation, so schreiben die AutorInnen der OECD-Studie, die dafür sorgen, dass sich der Konkurrenzkampf zwischen Unternehmen verschärft – nicht selten zu Lasten der ArbeitnehmerInnen. Andererseits nimmt die Zahl der atypisch Beschäftigten in den letzten Jahren beständig zu, immer mehr Menschen arbeiten also geringfügig, als ZeitarbeiterInnen oder als Selbstständige. Besonders sogenannte Scheinselbstständigkeit stellt Gewerkschaften in den OECD-Ländern vor große Herausforderungen.
Zudem lasse sich eine Art Generationenwechsel beobachten, welcher sich auch in einer sinkenden Zahl Gewerkschaftsmitglieder niederschlägt. Insbesondere junge ArbeitnehmerInnen würden sich immer seltener für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft entscheiden. Hinzu kommt, dass Sektoren mit traditionell hohem Organisationsgrad – vor allem die Industrie – zunehmend Sektoren mit eher niedrigerem Organisationsgrad, wie zum Beispiel der Dienstleistungsbranche, weichen. Auch das sorgt für anteilsmäßig weniger Gewerkschaftsmitglieder.
Beide Seiten könnten profitieren
Andererseits zeigt der Bericht der OECD auch: Was gut für ArbeitnehmerInnen ist, muss nicht zwingend schlecht für ArbeitgeberInnen sein. Oftmals könnten beide Seiten voneinander profitieren. Beschäftigte, die gewerkschaftlich organisiert sind und welchen im Betrieb ein umfangreiches Mitspracherecht eingeräumt wird, weisen eine signifikant höhere Produktivität auf und sind seltener krank.
Profiliert habe sich hierbei eine Art Mischform: Auf Branchenebene sollen relativ allgemeine Regeln zu Arbeitsbedingungen und Entlohnung festgehalten, Details jedoch im Betrieb ausverhandelt werden. Dies garantiere den Beschäftigten laut Bericht einerseits die notwendige Verhandlungsmacht, lasse UnternehmerInnen andererseits aber auch genügend Spielraum um auf individuelle Herausforderungen im Betrieb kurzfristig reagieren zu können. Anders formuliert: Ausschließlich staatlich verordnete, gesetzliche Regelungen erweisen sich oft als zu starr, Verhandlungen rein auf Betriebsebene gehen zu oft auf Kosten der ArbeitnehmerInnen. Der Mittelweg, ein Mix aus branchenübergreifenden Tarifverträgen und individuellen Vereinbarungen auf Betriebsebene, der im Übrigen auch in Österreich seit Jahrzehnten zur gelebten Praxis zählt, erweist sich laut AutorInnen sowohl für Beschäftigte als auch für ArbeitgeberInnen OECD-weit als zufriedenstellendste Lösung.
Ein hoher Organisationsgrad der Angestellten innerhalb eines Betriebs, so heißt es in der Studie, befördert zudem nicht nur betriebliche Mitbestimmung, sondern garantiert den Beschäftigten Jobsicherheit und die Einhaltung der vorgeschrieben Arbeitszeiten. Zudem sorgen BetriebsrätInnen dafür, dass Beschäftigte über ihre Rechte aufgeklärt werden oder vermitteln im Konfliktfall. Immer wichtiger wird hierbei auch die Möglichkeit für Beschäftigte, sich beruflich fortzubilden und ihr Recht auf Weiterbildung geltend zu machen. Allgemeine lasse sich somit sagen, dass jene Unternehmen, die auch den Stimmen der Angestellten genügend Raum geben, laut Studie im Schnitt eine qualitativ höherwertiges Arbeitsumfeld aufweisen.
Gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz
Zunehmend kümmern sich ArbeitnehmerInnenvertreterInnen auch um das Thema Diskriminierung am Arbeitsplatz. Laut einer im OECD-Bericht zitierten Eurobarometer-Studie aus dem Jahr 2015 erfuhren ein Fünftel der in der EU Beschäftigten in den vergangenen zwölf Monaten Diskriminierung am Arbeitsplatz. Meist handelte es sich dabei um Formen sexueller oder rassistischer Diskriminierung. Eine/r von acht ArbeitnehmerInnen gab an, in den vergangenen zwölf Monaten Beschimpfungen erlebt zu haben, zwei Prozent gaben sogar an, Opfer physischer Gewalt geworden zu sein. Auch hier könne ein Betriebsrat helfen: In der Studie angeführte Daten zeigen, dass jene Betriebe mit mehr betrieblicher Mitbestimmung auch weniger Fälle von Diskriminierung und Übergriffen am Arbeitsplatz zählen.
Auch wenn Gewerkschaften, Kollektivverträge und betriebliche Mitbestimmung zusehends unter Beschuss geraten und trotz der neuen Herausforderungen, die der Wandel der Arbeitswelt mit sich bringt, bleiben diese die zentralen Instrumente, um einen inklusiven und gerechten Arbeitsmarkt zu garantieren. So resümieren die OECD-AutorInnen: Eine Stärkung der Gewerkschaften und eine Ausweitung tariflicher Bindungen könne beiden Seiten helfen, die neuen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen zu meistern. Dazu muss die Zusammenarbeit zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen in den OECD-Ländern zukünftig jedoch wieder mehr forciert werden. Einer sich ausweitenden Lohnschere, Arbeitsplatzunsicherheit und der Transformation der Arbeitswelt durch Globalisierung und Automatisierung könne nur mittels gegenseitiger Kooperation adäquat begegnet werden.