Nach zweieinhalb Wochen im Homeoffice machen sich bei so manchem, der zu Hause weder über einen Schreibtisch noch über einen Bürosessel verfügt, Rücken- und/oder Nackenschmerzen bemerkbar. Zwei Arbeitsmediziner geben Tipps, wie man dennoch schmerzfrei bleiben kann.
Richard Crevenna, Leiter der Uniklinik für Arbeitsmedizin im AKH Wien, und Galateja Jordakieva, Leiterin der Ambulanz für Arbeitsmedizin im AKH Wien im Interview.
KOMPETENZ: Von heute auf morgen ohne Vorbereitung ins Homeoffice: viele haben zu Hause keinen Arbeitsplatz eingerichtet. Welche gesundheitlichen Probleme und Schmerzen können durch das Arbeiten am Laptop auf der Couch, am Küchentisch und auf einem einfachen Sessel entstehen?
GALATEJA JORDAKIEVA: Die aktuelle Situation stellt sehr viele Menschen vor völlig neue Herausforderungen. Eine davon ist, sich alleine zu Hause einen möglichst ergonomischen Arbeitsplatz einzurichten. Die Arbeit am Laptop und der „einfache“ Sessel sind nicht per se schädlich. Das eigentliche Problem ist die Begünstigung einer starren Zwangshaltung, vor allem bei längerer konzentrierter Arbeit am Bildschirm. Hier können sich je nach individuellem Körperbau schnell Fehlhaltungen durch Schulter-, Nacken- und sogar Rückenschmerzen bemerkbar machen, aber auch Kopfschmerzen und Sehstörungen durch Erschöpfung der Augenmuskulatur. Der Trick ist ein paar Grundregeln zu beachten und Dynamik in die starre Haltung zu bringen.
Eine gute Alternative zu einem Bürosessel sind Gymnastikbälle als Sitzgelegenheiten, die Dynamik in die starre Arbeitshaltung bringen.
Galateja Jordakieva
KOMPETENZ: Was kann man im Idealfall tun, um die Arbeitssituation zu Hause auch aus arbeitsmedizinischer Sicht optimal zu gestalten?
GALATEJA JORDAKIEVA: Auch ohne Neuanschaffungen zu machen kann und sollte man auch zu Hause ergonomische Grundaspekte beachten: Erstens, aufrecht sitzen (oder stehen) und einen ausreichenden Sehabstand (mindestens 50 cm) zum Bildschirm halten – als Richtwert soll man in aufrechter Sitz- bzw. Stehposition mit ausgestrecktem Arm die flache Hand auf den Bildschirm legen können. Der obere Bildschirmrand sollte circa auf Augenhöhe liegen, damit nur eine geringe Lidöffnung notwendig ist und die Augen nicht so schnell austrocknen.
Zweitens, den Arbeitsplatz idealerweise (mit etwas Abstand) parallel zum hellsten Fenster im Raum aufstellen, um Blendung (Fenster in Blickrichtung) und Reflexionen am Bildschirm (Fenster „im Rücken“) zu vermeiden. Drittens, am Tisch ausreichend Platz schaffen um etwaige weitere Arbeitsmaterialien (zum Beispiel Schreibunterlagen) ablegen und ausreichenden Bildschirmabstand halten zu können. Aber auch genug Beinfreiheit unter dem Tisch bei sitzender Tätigkeit ermöglicht mehr Bewegung der Beine.
Eine gute Alternative zu einem Bürosessel sind Gymnastikbälle als Sitzgelegenheiten, die Dynamik in die starre Arbeitshaltung bringen. Ein wechselnder Arbeitsplatz ist eine weitere Möglichkeit: findet man eine Arbeitsfläche, die man als Stehtisch nützen kann, kann man hier Abwechslung zum Sitzen schaffen und beanspruchte Muskelgruppen entlasten.
Das Allerwichtigste aus meiner Sicht ist aber das regelmäßige Einlegen und Einhalten von Arbeitspausen, in denen man Bewegung machen und am besten ein bisschen in die Ferne schauen kann. Alle 50 Minuten sollte man sich zehn Minuten Bildschirmpause gönnen.
KOMPETENZ: Derzeit sind auch Fitnesscenter geschlossen. Einige Menschen mit Rückenproblemen haben diese Beschwerden mit Krafttraining im Griff. Nun fällt dieses Training aber aus. Wo liegen hier die Problemstellen in Kombination mit dem home office?
GALATEJA JORDAKIEVA: Das so genannte „Ausgleichstraining“ ist ein wichtiges Element in der Gesundheitserhaltung von Menschen, die beruflich Zwangshaltungen einnehmen müssen. Hier gilt es beanspruchte Muskelgruppen, die geschwächt, verkürzt oder überlastet werden, zu kräftigen, zu dehnen beziehungsweise auch zu lockern. Gerade Besucher*innen von Fitnessstudios betreiben oftmals einen Sportkult und nützen auch in der aktuellen Ausnahmesituation bereits Online- und Video-Plattformen, um ihr Training daheim bestmöglich weiterzuführen. Gewichte werden dabei etwa oft durch Alltagsgegenstände kreativ ersetzt. Menschen, die bereits Physiotherapie in Anspruch genommen hatten, können ihre individuellen Übungen daheim zum Beispiel statt der Anfahrtszeit zum Arbeitsplatz wiederaufnehmen.
Als problematischer empfinde ich jene Menschen, die ohnehin körperlich wenig aktiv waren und nun daheim auch noch unter weniger ergonomischen Bedingungen arbeiten müssen. Bereits bestehende Haltungsmängel beziehungsweise -schäden können nun als individuelle Schwachstellen „laut“ werden.
„Menschen, die jedoch mehrere Stunden am Tag am Bildschirm arbeiten müssen, vor allem auch ohne durch ihre Kinder oder Haustiere zur Abwechslung gezwungen zu werden, sind jedenfalls gezielte Ausgleichsübungen zu empfehlen.“
Galateja Jordakieva
KOMPETENZ: Was kann man im Homeoffice an ausgleichender Bewegung, Übungen, Sport machen? Sind hier Spaziergänge ausreichend?
GALATEJA JORDAKIEVA: Je nach Ausmaß der Bildschirmtätigkeit können regelmäßige Pausen, wie oben beschrieben, und Bewegung an der frischen Luft durchaus ausreichen. Menschen, die jedoch mehrere Stunden am Tag am Bildschirm arbeiten müssen, vor allem auch ohne durch ihre Kinder oder Haustiere zur Abwechslung gezwungen zu werden, sind jedenfalls gezielte Ausgleichsübungen zu empfehlen. Das gilt umso mehr für jene Personen, die in ihrer Freizeit noch zusätzlich Hobbys vor dem Bildschirm nachgehen. Eine gute Zusammenstellung von einfachen aber gezielten Übungen bietet die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA) in ihrem online verfügbaren Merkblatt „Bewegungsübungen für den beruflichen Alltag, M 035“.
KOMPETENZ: Wie lange ist das Homeoffice ohne passendes Equipment durchzuhalten, bis sich schwerwiegende gesundheitliche Probleme einstellen?
RICHARD CREVENNA: Das wird wohl individuell unterschiedlich sein und nicht nur von der körperlichen, sondern auch von der psychosozialen und mentalen Situation beeinflusst werden. Wichtig ist hier ganz sicher der Terminus „Entschleunigung“, wobei eine solche bei gleichzeitigem Tele-Learning schulpflichtiger Kinder auf möglicherweise engem Wohnraum bei gleichzeitiger notwendiger Ausgangsbeschränkung von manchen wohl als Schlagwort gesehen wird.
KOMPETENZ: Was empfehlen Sie ArbeitnehmerInnen, die auf Grund der aktuellen Situation schon an akuten Schmerzen leiden? Ist die Einnahme von Schmerzmitteln auf eigene Faust ratsam beziehungsweise vertretbar?
GALATEJA JORDAKIEVA: Die Prävention von Schmerzen durch Zwangshaltungen wie oben beschrieben sind immer besser als medikamentöse Therapie. Deshalb wird empfohlen, schon bei leichten Beschwerden mit Ausgleichstraining entgegenzusteuern. Oftmals bringt auch schon ein geringer Zeitaufwand eine große Verbesserung. Die Einnahme von verschreibungspflichtiger Schmerzmedikation ist, allein aufgrund möglicher Nebenwirkungen, ohne ärztliche Empfehlung nicht ratsam. Menschen, die bereits in ärztlicher Behandlung sind, sollten sich idealerweise an ihre betreuende Ärztin beziehungsweise ihren betreuenden Arzt wenden. Auf bereits verschriebene Bedarfsmedikation kann im festgelegten Rahmen selbstverständlich zurückgegriffen werden.
KOMPETENZ: Wohin können sich Menschen, die auf Grund der derzeitigen Arbeitssituation nun mit akuten zum Beispiel Rücken- oder Nackenschmerzen kämpfen, hinwenden?
RICHARD CREVENNA: Für Patientinnen und Patienten mit schwerwiegenden akuten Beschwerden, die eine weitere Abklärung und Therapie erfordern, stehen in erster Linie der niedergelassene Bereich sowie (nach telefonischer Terminvereinbarung) natürlich auch Spezialambulanzen für weiterführende Maßnahmen zur Verfügung.