Gut durch den Krisenmarathon kommen

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Österreich befindet sich wieder im Lockdown. Das nagt an der Psyche – und hat die Lebens- und Arbeitsrealitäten verändert. Wir haben ExpertInnen gefragt, wie man Strategien entwickeln kann, um mit der Situation besser zurecht zu kommen.

An vielen Universitäten wird derzeit zur Frage geforscht, was die Coronakrise mit den Menschen macht. Die Ergebnisse diverser Umfragen und Studien lesen sich ähnlich. Zuletzt ließ etwa die Med-Uni Innsbruck mit Erkenntnissen aus einem Forschungsprojekt aufhorchen, wonach ein Viertel der Bevölkerung psychisch stärker belastet sei als vor dieser Krise. Anlass zur Panik gebe es deshalb zwar keinen, beruhigte Barbara Sperner-Unterweger, Direktorin der Universitätsklinik für Psychiatrie II, bei der Präsentation der Studienergebnisse. Sie betonte aber: akute Krisen seien für den Menschen leichter bewältigbar als chronische Krisen.

Psychische Belastungen

Brigitte Lueger-Schuster ist Leiterin der Arbeitsgruppe Psychotraumatologie der Universität Wien. Der erste Lockdown im Frühjahr sei für die meisten Menschen sehr überrraschend gekommen, sie mussten sich schnell an die neuen Herausforderungen wie Home-Office und Home-Schooling, aber auch an das Abstand halten und auf physische Kontakte zu verzichten gewöhnen. Dazu kamen eine rapide steigende Arbeitslosigkeit und für einige finanzielle Probleme, „beides Faktoren, die besonders belasten, weil auch die Perspektive fehlt“. Mittlerweile habe man gelernt, mit den Einschränkungen zu leben, „dennoch ist eine konstante Anpassungsleistung an die sich konstant ändernden Regelungen erforderlich. Das bringt eine chronische Stressbelastung mit sich, die sich auch psychisch ausdrückt.“

„Die Menschen klagen vermehrt über Einsamkeit, sie fühlen sich hilflos und empfinden in Bezug auf die Zukunft eine deutliche Verunsicherung.“

Brigitte Lueger-Schuster

Studienergebnisse zeigen etwa einen deutlichen Anstieg bei den depressiven Symptomen, Schlafprobleme hätten zugenommen, Alkohol und andere Suchtmittel würden verstärkt konsumiert, sagt Lueger-Schuster. „Die Menschen klagen vermehrt über Einsamkeit, sie fühlen sich hilflos und empfinden in Bezug auf die Zukunft eine deutliche Verunsicherung. Die konstante Anpassungsleistung macht psychisch müde, die Menschen werden zunehmend gereizter und haben mehr Schwierigkeiten, alle Herausforderungen zu bewältigen.“

Überlastungssignale erkennen

Ähnliches beobachtet auch Oliver Scheibenbogen, Gründungsmitglied des Instituts für Sozialästhetik und Mental Health an der Sigmund Freud PrivatUniversität Wien. Doch wie kann man selbst feststellen, ob man auf Grund der derzeitigen Situation bereits mit psychischen Problemen kämpft? „Ein Anzeichen ist, nicht mehr abschalten zu können und sich ständig mit dem Thema Corona zu beschäftigen. Das führt zu einer Überaktivierung und Stress, was in psychosomatische Beschwerden münden kann. Andere Anzeichen sind eine gedrückte Stimmung, mangelnder Antrieb, Schlaf- und Einschlafprobleme – das sind Depressionssymptome.“ In beiden Fällen rät der Experte dazu, sich Hilfe zu holen – hier gebe es inzwischen auch ein breites niederschwelliges Angebot über Hotlines (siehe Kasten).

„Wer Arbeit und Freizeit nicht trennt, läuft Gefahr in ein Burnout zu rutschen.“

Oliver Scheibenbogen

Von Mensch zu Mensch verschieden

Vorbeugen kann jeder Einzelne jedoch, in dem man auf eine gute Balance zwischen Arbeit, familiären Herausforderungen und Freizeitaktivitäten schaut, so Lueger-Schuster. Scheibenbogen betont, dass es wichtig sei, eine Tagesstruktur aufrecht zu erhalten, auch wenn es von außen für viele derzeit nicht viel Struktur gebe. Er betont zudem, dass Pausen wichtig seien, auch um produktiv zu bleiben. Und: wer Arbeit und Freizeit nicht trennt, läuft Gefahr in ein Burnout zu rutschen.

Hier hakt auch der Arbeitspsychologe Gerhard Klicka, Geschäftsführer von IBG (Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement GmbH) ein. Er betont einerseits, dass die Belastung von Mensch zu Mensch unterschiedlich sei: die einen fühlen sich im Home-Office wohl,
andere – etwa auch wegen zusätzlicher Betreuungspflichten – überfordert. Zudem gebe es viele Berufe, in denen durchgängig vor Ort gearbeitet wurde, wie etwa im Lebensmittelhandel, in den Spitälern, bei den Einsatzkräften. Hier gehe es dann um erhöhtes Arbeitsaufkommen oder zusätzliche physische Belastungen etwa durch das durchgängige Tragen von Schutzkleidung.

„Es fallen die Wegzeiten weg, man hat online Meetings nach Meetings, ohne Pause.“
Gerhard Klicka

Extreme Arbeitsverdichtung

Im Bereich der Bürojobs hätten die Pandemie und die Digitalisierung allerdings gezeigt, was alles möglich sei. Die Folge: eine extreme Arbeitsverdichtung. „Es fallen die Wegzeiten weg, man hat online Meetings nach Meetings, ohne Pause.“ Das zeige, was möglich sei – Klicka ist auch überzeugt, dass es nach der überstandenen Krise nicht mehr so viele Geschäftsreisen geben wird. Doch auch dabei dienten Flug und Anreise, Übernachtungen im Hotel als Pausen.
Klicka erinnert daher auch an die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. ArbeitnehmerInnen sollten dazu angehalten werden, auch im Home-Office Pausen zu machen und es sollte nicht erwartet werden, dass sie ständig erreichbar sind. Die Krise habe übrigens auch hier ein bereits seit Jahren bekanntes Problem stark sichtbar gemacht: Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz aus dem Jahr 1997 spiegelt nicht mehr heutige Arbeitsrealitäten wieder. „Das ist völlig veraltet und gehört dringend novelliert.“

Tipps fürs Home-Office

Für einige funktioniert das Home-Office gut, andere fühlen sich erschöpft und überfordert – das hängt von der individuellen Situation ab.
Die Lebensrealitäten sind da sehr unterschiedlich und reichen von Single und alleine lebend, alleinerziehend mit Kind bis zu Familien mit Kindern, die teils auf beengtem Raum wohnen. Der Psychologe Oliver Scheibenbogen rät allen im Home-Office, diese Punkte zu berücksichtigen, um psychischen Problemen oder einem
Burnout vorzubeugen:

  • Aufrechterhalten einer Tagesstruktur
  • mit einem festgesetzten Arbeitsbeginn, Pausen und einem fixen Arbeitsende
  • Trennen von Arbeit und Freizeit
  • Abschalten von Computer und Handy, wenn der Arbeitstag zu Ende ist. Home-Office bedeutet nicht, ständig erreichbar sein zu müssen. Letzteres führt zur völligen Entgrenzung und dazu, dass man nicht abschalten kann.
  • Pausen bzw. Freizeitphasen auch für Bewegung nutzen (zum Beispiel einen Spaziergang im Freien).
  • Wenn man sich dennoch bereits stark belastet fühlt: Hilfe in Anspruch nehmen – hier gibt es inzwischen auch viele niederschwellige Angebote und Hotlines als erste Anlaufstellen.

Hotlines

Du fühlst dich mit der anhaltenden Pandemiesituation überfordert und merkst, dass dir das Social Distancing psychisch zusetzt oder du durch Arbeitslosigkeit und/oder Mehrfachbelastungen am Limit bist? Hier eine Auswahl an Anlaufstellen:

  • Der Österreichische Bundesverband für Psychotherapie betreibt in mehreren Bundesländern kostenlose psychotherapeutische Hotlines: https://www.psychotherapie.at/patientinnen/coronavirus-informationen-psychotherapie-patientinnen
  • Kinder-Schüler-Eltern-Hotline: 0512 56 17 34
  • Psychologische Hilfe des Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen (BÖP): 0504 8000 und helpline@boep.or.at
  • Helpline des Berufsverbandes für Psychotherapie: 0720 12 00 12
  • Corona-Sorgenhotline in Wien: 01 4000 53000
  • Rat auf Draht – die Notrufnummer für Kinder und Jugendliche: 147 und rataufdraht.at
  • Ö3-Rotes Kreuz-Kummernummer: 116 123
  • Telefonseelsorge: 142
  • Krisenintervention: 01 406 95 95 und www.kriseninterventionszentrum.at

Die Gewerkschaft GPA hilft

GPA-Mitgliedern steht ein vielfältiges Beratungsangebot zu arbeitsrechtlichen Fragen zur Verfügung. Nicht-Mitglieder können unter 050301-301 eine kostenlose Erstberatung in Anspruch nehmen.

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