Für eine dringende Neubewertung weiblich dominierter Arbeit in Familien, aber auch im Handel plädiert Traude Kogoj, Expertin für Gleichstellungsfragen, im Interview mit der KOMPETENZ.
KOMPETENZ: Frau Kogoj, wo sehen Sie in Österreichs Gesellschaft die größten Schwachstellen, die die Corona-Krise verstärkt hat?
Traude Kogoj: Die Studien, die Institute wie Sora und andere vorgelegt haben, sprechen eine eindeutige Sprache: Die einen machen die Arbeit, damit wir gut versorgt sind und gesund bleiben. Die anderen können sich gut versorgen, bleiben gesund und bekommen für ihre Arbeitsleistung deutlich mehr Geld. Diese Situation ist einer modernen Gesellschaft nicht würdig und nicht akzeptabel.
KOMPETENZ: Sie spielen damit auf die unbezahlte Versorgungsarbeit an?
Traude Kogoj: Ich denke dabei auch an die bezahlte Arbeit. Denn wenn man sich die Care-Arbeit oder die Beschäftigung im Handel anschaut, muss diese Arbeit schleunigst neu bewertet werden. Der Brutto-Stundenlohn liegt deutlich unter dem Branchen-Durchschnitt, und das trifft vor allem Frauen, weil sie häufiger als Männer in diesen Berufen arbeiten.
„Wenn man sich die Care-Arbeit oder die Beschäftigung im Handel anschaut, muss diese Arbeit schleunigst neu bewertet werden.“
Traude Kogoj
KOMPETENZ: Zu Beginn der Pandemie wurde das Gesundheitspersonal von Balkonen beklatscht, die Gewerkschaften forderten einen „Corona-Tausender“. Davon ist nicht viel übriggeblieben?
Traude Kogoj: Das Ergebnis des Beklatschens ist beschämend. Die Beschäftigten in diesem Bereich haben ja nicht plötzlich ein höheres Sozialprestige. Vielmehr werden sie müde, ausgebrannt. Auch einmalige Prämien, wie sie manche Unternehmen ausbezahlt haben, damit im selben Unternehmen eingekauft werden kann, empfinde ich als zynisch. Solange diese Tätigkeiten nicht höher bewertet werden, werden sich wenige Menschen finden, die in diesen Bereichen tätig sein wollen. Das bedeutet, kurzfristig müsste es eine deutliche Anhebung des Brutto-Stundenlohns und österreichweite Qualifizierungsoffensiven geben.
Es ist fein, dass das AMS für die Beschäftigten des Luftfahrtzulieferbetriebes FACC in Oberösterreich Umschulungsprogramme zu Pflegeberufe finanziert, das ist punktuell. Aber diese Initiativen müssen gut geplant und in ganz Österreich stattfinden. Etwa Qualifizierungsinitiativen auch in Bezug auf die neuen Berufe, um der Automatisierung gerecht zu werden.
KOMPETENZ: Wenn im Jahr 2021 ein Großteil der familiären Betreuung inklusive Fern-Schule an den Frauen hängen bleibt, widerspiegelt das ein strukturkonservatives Rollenbildung und müsste doch unsere Gesellschaft endlich durchlüftet werden, oder?
Traude Kogoj: Ja, dringend. Wir wissen aus der Zeitverwendungsstudie („Harmonised European Time Use Surveys“, kurz: HETUS), wer wieviel an unbezahlten und bezahlten Tätigkeiten übernimmt, dass fast so viele Frauen wie Männer erwerbstätig sind und dass diese erwerbstätigen Frauen zusätzlich den Großteil der Haushaltsarbeit leisten; die Aufteilung ist in der Stadt besser als am Land, wo Frauen praktisch die gesamte reproduktive Arbeit schupfen müssen. Wenn man sich die Zahlen anschaut, haben wir laut der letzten Erhebung 2009 in Österreich insgesamt 9,7 Mrd. Arbeitsstunden jährlich, für die kein Geld bezahlt wird! Und zwei Drittel dieser Gratis-Arbeit leisten Frauen. Wenn wir von der Bundesregierung immer hören, Leistung soll sich lohnen, wäre es leistungsgerecht, hier Abhilfe zu schaffen. Diese Arbeit wird nicht in der Brutto-Wertschöpfung ausgewiesen und ist nirgends abgebildet. Das ist aber Arbeit, die für den Zusammenhalt der Gesellschaft grundlegend ist und unsere Volkswirtschaft erst funktionieren lässt.
„Wenn man sich die Zahlen anschaut, haben wir laut der letzten Erhebung 2009 in Österreich insgesamt 9,7 Mrd. Arbeitsstunden jährlich, für die kein Geld bezahlt wird!“
Traude Kogoj
Zum Beispiel hat die Schweiz zumindest ein Satellitenkonto, wo die Haushaltsproduktion dokumentiert wird – mit dem Ergebnis, dass diese 41 Prozent der Brutto-Wertschöpfung ausmacht. Das sind umgerechnet 408 Milliarden Schweizer Franken, also wahnsinnig viel Geld – wo alle so tun, als gäbe es diese Leistung nicht. In Wirklichkeit müsste man in Österreich dieses Konto aufnehmen und die unbezahlte Arbeit sichtbar machen. Gesellschaftlich geht es um die gerechte Aufteilung dieser Haushalts-, Familien- und Freiwilligenarbeit, um die Rahmenbedingungen für Eltern mit Kindern und Pflegeangehörigen, für Alleinerziehende, für Patchwork-Familien, um ausreichend Kinderbetreuungsplätze, die vor allem am Land bitter fehlen, um die gute Begleitung von Pflegeangehörigen, wo es an Infrastruktur und professioneller Betreuung mangelt. Diese Haushalts- und Familienarbeit wird vor allem von Frauen geleistet. Eine Konsequenz für diese Frauen ist eine geringe Pension und Armutsgefährdung im Alter. Das kann nicht das Ziel der Regierung sein.
KOMPETENZ: Die Zeitverwendungsstudie wäre an sich eine europäische Vorgabe?
Traude Kogoj: Sie ist nicht rechtsverbindlich, trotzdem nehmen an der 2020 begonnenen HETUS-Studie über 20 EU-Staaten teil – Österreich ist nicht darunter. Die Türkis-Grüne Regierung hat zwar die Teilnahme im Regierungsprogramm festgeschrieben, aber die Entscheidung ist bis heute nicht gefallen. Wenn ich eine moderne Gesellschaft will, dann braucht es angemessene Rahmenbedingungen, damit die Menschen solidarisch sein können. Die qualitativen Erkenntnisse aus der Studie sind wie ein Kompass, der der Politik hilft, die richtige Richtung einzuschlagen.
KOMPETENZ: Ist es als Politikum zu werten, dass Österreich bis jetzt nicht an der aktuellen Erhebung teilnimmt?
Traude Kogoj: Das wäre armselig. Die Bundesregierung müsste nur den Auftrag an die Statistik Austria weitergeben. Das wäre für die Wissenschaft interessant und vor allem maßgeblich für die Politik. An der letzten Zeitverwendungsstudie, die alle zehn Jahre gestartet wird, haben wir teilgenommen. Es würde sich durchaus lohnen, zu schauen, ob sich das traditionelle Rollenbild in Österreich verändert hat oder ob es noch traditioneller geworden ist, wie das die Pandemie gerade zeigt.
KOMPETENZ: Sehen Sie hinsichtlich der Gleichstellung ein europäisches Best practice-Beispiele in der Pandemie?
Traude Kogoj: Evident ist, dass insbesondere im deutschsprachigen Raum die traditionelle Rollenzuteilung zugeschlagen hat. Frauen, die Arbeiten im niederen Lohnsegment verrichten, geraten jetzt noch mehr unter Druck. Diese Dienstnehmerinnen und Arbeiterinnen zählen zu den ersten, die ihren Job verlieren. Wenn sie den Job behalten können, dann folgt auf den Schichtdienst im Beruf die Schicht zu Hause. Selbst in den höheren Einkommensschichten ist zu sehen: Kaum fällt bezahlte Hilfe für den Haushalt oder für die Kinderbetreuung weg, übernehmen die Frauen.
„Evident ist, dass insbesondere im deutschsprachigen Raum die traditionelle Rollenzuteilung zugeschlagen hat. Frauen, die Arbeiten im niederen Lohnsegment verrichten, geraten jetzt noch mehr unter Druck.“
Traude Kogoj
Das ist in den nordeuropäischen Ländern anders und liegt daran, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen deutlich besser sind und die Haltung gegenüber Care-Arbeit eine andere ist. Sowohl Frauen als auch Männer nehmen in diesen Ländern wahr, dass Haushalts-, Familien- oder Freiwilligenarbeit einen hohen sozialen Stellenwert genießen. In diesem Punkt kann sich die Politik auch in einer Pandemie nicht aus der Verantwortung stehlen. Im Gegenteil: das Private ist politischer denn je.
Zur Person:
Traude Kogoj ist Politikwissenschaftlerin und seit sieben Jahren Diversitätsbeauftragte bei den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). 2019 wurde sie mit dem Wiener Frauenpreis in der Kategorie „Frauenförderung in technischen Unternehmen“ ausgezeichnet. Die ÖBB werden künftig eine Frauenquote einführen.