Corona-Pandemie – eine bleibende Zumutung für Demokratie und Grundrechte?

Foto: Adobe Stock

Seit einem Jahr begleitet uns die Corona-Pandemie ebenso wie Gesetze Teil unseres Lebens wurden, welche unsere Grundrechte empfindlich berühren. Im Schnellverfahren wurden Sammelregelungen beschlossen, die in unser aller Leben weiter eingreifen als wir das bisher gewohnt sind. Sind wir daher am Weg in eine Diktatur, wie es auf den verschwörungs- bis rechtslastigen Demonstrationen der KritikerInnen von Coronamaßnahmen zu vernehmen ist?

Oder hat eine verantwortungsvolle Regierung vielleicht auch keine andere Wahl im Umgang mit der Pandemie? Und ist die Befürchtung berechtigt, dass wir mit dauerhaften Einschränkungen konfrontiert sein werden? Ja, birgt der Ausnahmezustand sogar eine Perspektive für eine gerechtere Zukunft?

Anhand dieser Fragen diskutierten im Zuge der Webinar-Serie „Leben und Arbeiten in Zeiten von Corona“ am 20. April 2021 die Politikwissenschafterin Tamara Ehs, der Journalist Robert Misik und der leitende ÖGB-Sektretär Willi Mernyi. Organisiert wird die Serie von der Bildungsabteilung der GPA.

Demokratie, Diktatur oder Autoritarismus…

 Tamara Ehs, die sich in ihrem Buch „Krisendemokratie. Sieben Lektionen aus der Coronakrise“ schon ausführlich mit dem Autoritarismus des österreichischen Krisenmanagements beschäftigt hat, bemängelt die zeitweise Ausschaltung parlamentarischer Standards, insbesondere zu Beginn der Pandemie. Während der nationale Schulterschluss („Team Österreich“) beschworen wurde, sind im Parlament ohne jede Begutachtungsphase ganze Gesetzespakete verabschiedet worden. Wer Kritik übte stellte sich damit außerhalb des „Teams Österreich,“ so Ehs. Erst als im Sommer die ersten Regelungen vom Verfassungsgericht gekippt wurden, hat sich auch auf parlamentarischer Ebene Widerspruch geregt. Die Rhetorik der Regierenden sorgt bei Ehs also für Ärger. Wer sich nicht an Maßnahmen halte sei „Lebensgefährder“ (Innenminister Karl Nehammer), die Aufhebung von grundrechtswidrigen Gesetzen „Spitzfindigkeiten“ (Kanzler Sebastian Kurz) – „Das ist die Art, wie man mit Untertanen spricht, aber nicht mit mündigen BürgerInnen,“ so Ehs.

Für Robert Misik ist die Kritik eines vermeintlich „autoritären Regierungsstil“ nichts Neues – mit Verweis auf die Gurtpflicht im Auto oder das Rauchverbot im Lokal. „Veränderung von Gewohnheiten wurden schon immer abgewehrt mit einer Kritik des autoritären Regierens.“ Das solle aber keine Entwarnung sein. Großlagen seien für autoritäre Tendenzen immer attraktiv und in Österreich drohe zwar keine Diktatur, eine „Orbanisierung“ sei aber durchaus im Gange. Die Größenordnung der Eingriffe sei neu, es werde tatsächlich in den Privatbereich „hineinregiert.“ In seinem Buch „Die neue (Ab)normalität. Unser verrücktes Leben in der pandemischen Gesellschaft“ geht der Journalist noch genauer auf diese Thematik ein.

…und reale Auswirkungen

Willi Mernyi weiß aus der täglichen Gewerkschaftsarbeit von den Zumutungen der Schutzmaßnahmen zu berichten. In der letzten Woche seien gleich drei Betriebsratswahlen in Bundesländern von Unternehmen verhindert worden. Ihr Argument: Der Infektionsschutz erlaube die Abnahme der Wahl nicht. Die Einschränkungen von Arbeitsrechten sowie des Rechts sich zu Organisieren sei „brandgefährlich,“ so der leitende ÖGB-Sekretär. Am Beispiel der Firma Hygiene Austria läßt sich gar eine Zuspitzung der Ausbeutung beobachten: „Da herrschen Systeme, die hat es vor Corona nicht gegeben“. Von gezielt eingesetzten gewerkschaftsfeindlichen Spitzeln innerhalb der Belegschaft ist die Rede. Verängstigte Menschen trauen sich nicht sich zu organisieren. „Insofern haut uns Corona zurück“, so Mernyi.

Auch Tamara Ehs und Robert Misik teilen die Einschätzung Mernyis: „Die Organisation Oxfam nennt es das Ungleichheitsvirus“, so Ehs. „Tatsächlich macht der Virus nichts ungleich. Es trifft aber auf gesellschaftliche Ungleichheiten, die es nochmal verstärkt.“ Die Coronaerfahrungen driften auseinander. Während das Management im Homeoffice ist, müssten die Arbeitenden am Arbeitsplatz weiterhin das Infektionsrisiko in Kauf nehmen. Und, das habe eine aktuelle Studie von Ehs gezeigt, je prekärer der Status desto weniger bringen sich Leute ein: „Die ökonomische Unterklasse bricht in der politischen Beteiligung völlig weg“, so sie überhaupt wahlberechtigt sei, bringt es die Poltikwissenschafterin auf den Punkt.

Widerspruch wegen oder trotz Corona

Robert Misik macht weniger besorgt, dass von den derzeit bestehenden Einschränkungen viel „hängen bleiben“ könnte. Mehr Problem sieht er darin, dass Arbeitslose und Kleinstunternehmen nicht ausreichend unterstützt würden, sowie, dass CoronaleugnerInnen und Rechtsextreme lautstark die Oppositionsrolle übernommen hätten: „Politischer Widerstand, der emotional berechtigt ist, wurde gekapert von den Feinden der Demokratie.“ Daher hätte er es so wichtig gefunden, dass es einen coronasicheren 1. Mai-Aufmarsch gäbe, sagt Mernyi. „Die Straße nur den Corona-Leugnern zu überlassen ist falsch!“ Auch Ehs ist grundsätzlich überzeugt, man müsse „kreative Möglichkeiten“ finden um verantwortungsvoll demonstrieren zu können.

Mindestens genauso wichtig sei es aber die Krise auch abseits der Rechten mehr zu politisieren. „Ich habe auch ein Problem mit Bill Gates,“ sagt die Politikwissenschafterin. „Mein Problem ist, dass er durch sein Reichtum so viel Macht hat, die sich keiner Wahl stellen muss.“ Dasselbe gelte für Finanziers der ÖVP und andere Reiche.

Gemeinsam, in die gleiche Richtung

Robert Misik findet, die Krise könne auch positiv gewendet werden. Ungleichheiten seien deutlicher  geworden und es gäbe „die Haltung, dass das geändert werden muss,“ ist sich der Journalist sicher. Zudem habe der gesamteuropäische Umgang mit der Coronakrise gezeigt, dass sich seit der Finanzkrise 2008 viel verändert hat. Anders als damals wurden 2020 in kürzester Zeit 750 Milliarden Euro an gemeinsamen Hilfsgeldern ausgeschüttet. Willi Mernyis Sinnbild der Erfolgsgeschichte vom Seilziehen kommt hier zur Geltung: „Alle, zur gleichen Zeit, in die gleiche Richtung.“

Scroll to top