Ob wir Menschen nach der Pandemie vielleicht klüger geworden sind und wie wir beim Arbeiten zuhause nicht ins Chaos stürzen, erklärt Georg Psota, Leiter des Psychosozialen Krisenstabs der Stadt Wien und Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien.
KOMPETENZ: Sie haben mit der Aussage aufhorchen lassen: bis zu 30 Prozent der Menschen in Österreich leiden an depressiven Symptomen…
Georg Psota: Ja, depressive Symptome sind eines und Depression ist etwas anderes. Die Erkrankung Depression ist durch bestimmte Kriterien, Hauptsymptome (z.B. Interessensverlust) und Nebensymptome (z.B. Schlafstörungen), definiert. Eine bestimmte Menge dieser Symptome muss zumindest 14 Tage vorhanden sein. Bei den angesprochenen 30 Prozent handelt es sich um einzelne, depressive Anzeichen – nicht jeder Mensch ist deshalb gleich depressiv.
KOMPETENZ: Was kann ich bei diesen einzelnen Anzeichen tun?
Georg Psota: Wenn ich einzelne, schlechte Tage habe, kann ich bei einer der zahlreichen Hotlines, die es in jedem Bundesland gibt, anrufen. In Wien ist dies die Corona Sorgenhotline Wien unter 01 4000 53000.
KOMPETENZ: Wenn es ganz schlimm wird…
Georg Psota: In Wien ist unser Sozialpsychiatrischer Notdienst rund um die Uhr und 365 Tage im Jahr für Menschen in psychischen Krisen- und Notfällen da und unter 31330 erreichbar.
Ich denke, der Gang zum Hausarzt sollte der erste sein – sie haben den Kontakt zu FachärztInnen für Psychiatrie, PsychotherapeutInnen und Klinischen PsychologInnen. Egal, ob ein Mensch körperlich oder psychisch krank ist – wenn man krank ist, ist man krank und dann ist es gut, den Hausarzt aufzusuchen.
KOMPETENZ: Auch nach der Pandemie werden viele regelmäßig zu Hause arbeiten: wie trenne ich beruflichen Stress und privates Chaos?
Georg Psota: Das Homeoffice nötigt uns mehr Ordnung als sonst ab. Um uns selber besser zu ordnen, benötigen wir ein Mehr an äußerer Ordnung.
KOMPETENZ: Hätten Sie einen konkreten Tipp?
Georg Psota: Die Trennung von privaten und beruflichen Dingen – ideal wären zwei Räume. Natürlich haben viele Menschen diesen Platz nicht. Es sollte aber nicht alles gemeinsam auf einem Tisch liegen – oder zumindest je nur auf einer Hälfte des Tisches, auch zwei Kisten können eine gute Lösung sein.
„Hilfreich sind bewusste Pausen, in denen Angenehmes vorherrscht – sonst sind es ja keine Pausen.“
Georg Psota
KOMPETENZ: Was macht das Homeoffice mit einem Workaholic?
Georg Psota: Workaholics sind eine Gruppe, die ihr Verhalten beibehalten und weiterhin zu viel tun. Das Wichtigste ist, es zu erkennen und auch anzusprechen, damit das Verhalten verändert werden kann. Hilfreich sind bewusste Pausen, in denen Angenehmes vorherrscht – sonst sind es ja keine Pausen.
KOMPETENZ: Organisation ist das Um und Auf…
Georg Psota: Wenn jemand von 22 Uhr bis 1 Uhr in der Früh seine beste Zeit hat, und keine sozialen Verpflichtungen – etwa Kinder zur Schule bringen -, dann ist das völlig in Ordnung. Doch es geht darum, Strukturen zu haben – es muss einen Anfang und ein Ende geben. Zeit ist ein starker Strukturfaktor.
KOMPETENZ: Wie bremse ich mich beim Hackeln?
Georg Psota: Es reicht, einen Wecker zu stellen, mit einem angenehmen Ton wie dem Schlag des Big Ben oder einem Gong – es folgt eine Pause mit Tee oder Kaffee.
KOMPETENZ: Und Wein…
Georg Psota: Nicht unbedingt ein Bier oder ein Glaserl Wein, Alkohol gehört zu den Gefahren des Homeoffice.
KOMPETENZ: Die Arbeit kann ja noch warten…
Georg Psota: Ja, das Aufschieben – eine Wesenseinheit vieler Kreativer – ist wahnsinnig ungünstig, weil es im Gegenzug einen Superdruck erzeugen kann.
KOMPETENZ: Plan B?
Georg Psota: Sie müssen sich selbst ein Limit setzen, nicht nur im Kopf, sondern es auch notieren – also eine schriftliche Vereinbarung für sich selbst aufsetzen, denn sonst halten Sie sich nicht daran.
KOMPETENZ: Wie überwinde ich die berufliche Isolation im Homeoffice?
Georg Psota: Etwa mit einem Telefonat oder einer Videokonferenz zu fixen Zeiten. Diesen Austausch – mit allen technischen Hilfsmöglichkeiten, die wir haben – zu suchen, das ist wichtig. Im Austausch bleiben, das tut uns gut. Zwar nicht ganz so gut, wie wenn wir uns auf einen Kaffee zusammensetzen, aber auch das Zusammentelefonieren und ein Tratsch geben Kraft, sogar wenn wir nörgeln.
KOMPETENZ: Gehen wir in eine bürofreie Zukunft?
Georg Psota: Die Veränderung der Arbeitswelt wird davon abhängen, wie lange wir noch mit Corona leben müssen. Wenn wir die Pandemie gut überwinden, dann wird es nicht viel anders sein als zuvor. Gewisse Konferenzen werden digital stattfinden, aber es gibt weiterhin das Bedürfnis, sich mit den Menschen sozial näher auszutauschen. Es ist stark davon abhängig, wie gut und schnell geimpft wird.
„Diejenigen, die es schon schwierig haben, haben es durch Corona noch einmal schwieriger.“
Georg Psota
KOMPETENZ: Betrifft Corona alle Menschen im selben Maße?
Georg Psota: Nein, COVID-19 trifft nicht alle gleich. Die Pandemie ist ein Vergrößerungsglas, sie macht auch die Unterschiede größer. Diejenigen, die es schon schwierig haben, haben es durch Corona noch einmal schwieriger. Soziale und existenzielle Ängste sind stark von der sozialen Situation abhängig. Bin ich privilegiert und habe jede Menge Platz, Geld und einen Garten, dann ist Corona auch von weniger Ängsten und Verunsicherung begleitet. Doch natürlich können sich Menschen von der Verunsicherung anstecken lassen.
KOMPETENZ: Hat sich Ihr Blick auf die Welt durch die Pandemie verändert?
Georg Psota: Mir wurde deutlich bewusst, wie fragil alle Gesellschaften sind – das war mir vorher nicht so bewusst. Wie unglaublich alles mit allem verbunden ist, und wie geschwind es gehen kann, dass es massive Änderungen gibt. Es ist aber auch möglich, dass bei einer großen Bedrohung die Menschheit sehr zusammenhält. Das hielt nicht wahnsinnig lang an, aber es ist möglich.
KOMPETENZ: Und sind wir nun bessere Menschen?
Georg Psota: Die Verfügbarkeit von Geld ist aus gesellschaftlicher Sicht etwas Relatives geworden. Und wenn über den Globus hinweg Anstrengungen zu etwas unternommen werden, dann ist offenbar viel möglich. Das könnte ja im Bereich der Umwelt oder des Klimas auch denkbar sein. Es hat sich gezeigt, es kann sehr rasch sehr eng werden, aber es ist möglich, mit gemeinsamer Anstrengung der Menschheit sehr viel auf die Füße zu stellen.
KOMPETENZ: Das Leben nach Corona…
Georg Psota: Zuerst einmal müssen wir Corona hinter uns haben. Es ist wichtig, dass wir uns alle impfen lassen. Dann haben wir eine Chance auf ein Nach-Corona. Die Pandemie hat die Menschen auseinandergebracht. Doch die Impfung ist eine positive Perspektive: sind wir gescheit durchgeimpft, sind auch soziale Kontakte wieder problemlos möglich.
Zur Person
Georg Psota ist Chefarzt des Psychosozialen Dienstes in Wien, Mitglied im Landessanitätsrat Wien, Mitglied des Beirates für psychische Gesundheit, Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB). Aktuell ist Psota auch Leiter des Psychosozialen Krisenstabs der Stadt Wien.