Nach der Regierungsübernahme durch die postfaschistische Fratelli d’Italia (Fdl) stehen den italienischen Lohnabhängigen schwere Zeiten bevor. Die Gewerkschaftsbewegung reagiert mit internationaler Solidarität und einem antifaschistischen Manifest.
Mitte Oktober 2021 stürmten hunderte Rechtsextreme die Gewerkschaftszentrale des CGIL (Confederazione Generale Italiana del Lavoro) in Rom und verwüsteten die Büroräumlichkeiten des größten italienischen Gewerkschaftsbundes. Die Randalierer hatten sich von einer Demonstration gegen die Corona-Politik der Regierung gelöst. Auch in anderen Teilen Italiens wurden Büros der sozialdemokratisch-kommunistischen CGIL gestürmt. Knapp ein Jahr später wurde mit Giorgia Meloni eine rechtsradikale Ministerpräsidentin gewählt, die dem gewerkschaftsfeindlichen, postfaschistischen Milieu entstammt. Spätestens seit diesem Herbst stehen die Zeichen für Italiens Lohnabhängige und Gewerkschaften auf Sturm.
Mit der Vorsitzenden der Partei Fratelli d’Italia (Fdl, Brüder Italiens), Giorgia Meloni, steht seit Oktober 2022 nicht nur erstmals eine Frau an der Regierungsspitze Italiens – sondern ebenso eine Politikerin, die in der postfaschistischen Bewegung Italiens sozialisiert wurde. 1977 geboren trat Meloni als 15-Jährige in die Fronte della Gioventú (Jugendfront) ein, der Jugendbewegung der postfaschistische Movimento Sociale Italiano (MSI, Italienische Sozialbewegung). 2006 wurde sie Abgeordnete der Alleanza Nazionale (AN, Nationales Bündnis), zwei Jahre später übernahm sie im Kabinett Berlusconi IV (2008-2011) das Amt der Jugendministerin.
Von reaktionär bis verschwörungsideologisch
In einer Analyse der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung beschreibt Sofia Ventura, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Bologna, Meloni als charismatische, medienwirksame Frau, die ein „zweideutiges Verhältnis zum italienischen Faschismus und Postfaschismus“ unterhalte. Sie vertrete illiberale, teils reaktionäre Auffassungen in Bezug auf Demokratie und Gesellschaft, ultrakonservative Ansichten zu den Rechten des Individuums, einen „ethnozentristischen Begriff von Nation“ und neige zu „einer verschwörungstheoretischen Auslegung der Wirklichkeit“.
Ihr ihrer Partei, der Fdl, steht Meloni unumstritten an der Spitze – und verhalf ihr in den vergangenen Jahren zu einem kometenhaften Aufstieg. Im Dezember 2012 kam es zum Zerwürfnis innerhalb der der Berlusconi-Partei Il Popolo della Libertà (PdL, Das Volk der Freiheit). Ein Teil spaltete sich ab und gründete die heutige Regierungspartei Fdl. Seit 2014 ist Meloni Parteichefin. Einige Jahre fristete die Partei ein Nischendasein im politischen Niemandsland, erreichte bei ihrer ersten Parlamentswahl 2013 lediglich 1,9 Prozent. 2018 waren es 4,35 Prozent, 2019 stellte in Abruzzen das erste Mal ein Fdl-Kandidat den Präsidenten einer Region. Bei den Parlamentswahlen im September 2022 wurde Melonis Partei mit 26 Prozent schließlich stimmenstärkste Partei und führt seither ein Rechtsbündnis mit Lega und Forza Italia an. Dabei konnte die Fdl auch einige ehemalige „rote Hochburgen“ erobern. Noch beeindruckender liest sich der Aufstieg in absoluten Zahlen: 2018 stimmten 1,4 Millionen WählerInnen für die Fdl, dieses Mal 7,2 Millionen.
Gewählt wurde die Rechtsaußenpartei vor allem von ehemaligen Lega-WählerInnen und WählerInnen der Altersgruppe 50 bis 64, von Angehörigen der Mittelschicht und ArbeiterInnen. Die Fdl-WählerInnen sind überwiegend migrationsfeindlich und euroskeptisch eingestellt und pflegen eine antielitäre Haltung.
„Identitäre rechte Budgetpolitik“
Es ist davon auszugehen, dass die Machtergreifung Melonis und ihrer Partei für ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften nichts Gutes verheißen mag. Faschistische Ideologien charakterisieren sich durch die Ablehnung des „Anderen“ (anderer Nationen, Ethnien, Religionen und sexueller Orientierungen) und einer rigiden, autoritären Gesellschaftsordnung. Eine Gesellschaft ist im faschistischen Idealtyp jedoch kein gemeinsames, solidarisches Kollektiv, sondern eine Ansammlung von Individuen bzw. Familien. Und hierher rührt auch die Feindschaft der faschistischen gegenüber der Gewerkschaftsbewegung: Ein solidarischer Zusammenschluss der Arbeitenden zu einem selbstbestimmten Kollektiv wird aus der faschistischen Warte als Versuch gewertet, eine vermeintlich stabile, traditionell organisierte Gesellschaftsordnung zu unterlaufen. Gewerkschaften sind im Verständnis der FaschistInnen eine Bedrohung für das Allgemeinwohl. Gewerkschaften sind die Gegenthese zur faschistischen Ideologie.
In den Wochen nach ihrem Amtsantritt mäßigte Meloni Stil und Inhalt ihrer Kommunikation, um wie eine „normale konservative Partei“ zu wirken, analysiert Sofia Ventura. Doch die italienische Opposition wirft ihr bereits jetzt vor, eine „identitäre rechte Budgetpolitik“ zu etablieren: Gegenüber Reichen lege sie die Samthandschuhe an, während sie Armen und Nicht-ItalienerInnen die Rute ins Haus stellt.
Und die Reaktion der Gewerkschaftsbewegung?
Die italienische Gewerkschaftsbewegung und Teile der Zivilgesellschaft reagierten auf die Angriffe auf die CGIL-Büros im Oktober 2021 mit einer groß angelegten antifaschistischen Kundgebung mit mehr als 200.000 TeilnehmerInnen. Auch andere europäische Gewerkschaften solidarisierten sich mit ihren italienischen GenossInnen. Auf einem Kongress Anfang Oktober wurde ein „Manifesto“ des „Internationalen Netzwerks antifaschistischer Gewerkschaften“ aufgesetzt. In diesem wird festgehalten, dass man als Gewerkschaftsbewegung diesem demokratiefeindlichen Angriff eine Kultur der Solidarität sowie gegen Faschismus und Rechtsextremismus entgegenhalten wolle. Der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen, gegen prekäre Beschäftigung und für eine gute soziale Absicherung werde uneingeschränkt fortgeführt. Das Manifest soll im März 2023 veröffentlicht werden. Die CGIL untermauerte ihre Forderungen mit einem 10-Punkte-Plan für bessere Arbeitsbedingungen, höhere Pensionen, Arbeitszeitverkürzung und einem Ausbau des Wohlfahrtsstaats.