Der argentinische Präsident Javier Milei erzeugt mit seinen Maßnahmen eine katastrophale Situation für die Bevölkerung. Zivilgesellschaft und Gewerkschaften leisten Widerstand.
Auf Instagram veröffentlicht er ein Bild, das ihn als Freiheitsstatue zeigt. Bei einer Rede am World Economic Forum verkündet er, dass staatliches Eingreifen immer nachteilige Konsequenzen habe. Javier Milei ist nun seit etwas knapp vier Monaten argentinischer Präsident. Was passiert, wenn ein Politiker, dessen Programm aus einer Mischung von rechten und anarcho-kapitalistischen Positionen besteht, an die höchste Position eines Staates gelangt? Die Bilanz ist mehr als ernüchternd.
Parallel zu einer Abwertung der Währung um 50 Prozent wurde in Mileis Amtszeit das Budget für staatliche Einrichtungen und Bildung entweder eingefroren oder gekürzt. Staatliche Medienhäuser wurden geschlossen – und verbarrikadiert – sowie eine Liberalisierung verschiedenster Bereiche durchgeführt. Gerade der letzte Punkt hat besonders drastische Auswirkungen auf die Bevölkerung: So gibt es etwa keinen Mietendeckel mehr, wodurch die Lebenserhaltungskosten um ein Vielfaches gestiegen sind. Die Inflationsrate lag im Jänner dieses Jahres bei über 250 Prozent.
Steigende Armut und Symbolpolitik
All diese Faktoren führen dazu, dass immer mehr Argentinier:innen verarmen, da das Einkommen nicht mit den steigenden Kosten angepasst worden ist. Das lässt sich mittlerweile schon in Zahlen darstellen: Laut einer Studie ist die Armut in Argentinien bereits im Jänner 2024 auf den höchsten Stand seit 20 Jahren gestiegen. 57,6 Prozent der Bevölkerung leben demnach unterhalb der Armutsgrenze, das sind rund 27 Millionen Menschen. Besonders betroffen davon sind Kinder. Parallel dazu will die Regierung die Zuschüsse für Suppenküchen kürzen.
Schon im Wahlkampf war Milei dafür berühmt geworden, bei seinen Auftritten eine Kettensäge zu schwingen. Damit symbolisierte er, was nun erfolgt ist: ein Kahlschlag der staatlichen Ausgaben, eine „Schocktherapie“, wie Milei seine politschen Maßnahmen gerne nennt.
Symbole sind in Mileis Vorgehen von großer Bedeutung. Das lässt sich auch daran erkennen, wie er seine Krisenbekämpfung gestaltet: Abschaffen des Frauenministeriums bei Amtsantritt, Verbot inklusiver Sprache und die Anordnung, im Regierungsgebäude mehrere Porträts bedeutender Argentinierinnen durch männliche Nationalhelden zu ersetzen. Statt auf die akuten Probleme einzugehen, wird der Feminismus zum Feind erklärt – und so die bereits sehr dramatische Situation innerhalb der Gesellschaft noch weiter verschärft.
Klar ist: Dem jetzigen Präsidenten geht es in keinster Weise darum, soziale Programme aufrechtzuerhalten oder gar zu fördern. Seine Politik steht für einen maximalen Rückbau des Staates, weshalb Armut und Wohnungsnot bewusst in Kauf genommen werden. Auch die medizinische Versorgung der Bevölkerung wird insbesondere für die ärmsten Gruppen immer knapper.
Liberales Lob für Milei
Die dramatische Realität ausblendend, behaupten liberale Stimmen nun, dass die Politik von Milei Früche trage, schließlich steige die Inflation in jüngster Zeit nicht mehr so stark und der Staatshaushalt sei auch erstmals ausgeglichen.
Diese wirtschaftliche Entwicklung sollte aber in einem größeren Kontext verstanden werden: Zwar haben die radikalen Sparmaßnahmen einen dämpfenden Effekt auf die Inflation, jedoch lässt sich daraus aber keine Verbesserung für die Gesamtbevölkerung ableiten – das Gegenteil ist der Fall.
Gleichzeitig führt dieses Kaputtsparen des Sozialstaates auch zu sinkenden Staatsausgaben und somit zu einem scheinbar besseren Ergebnis für den Staatshaushalt. Noch besser könnte der Haushalt aussehen, wenn Milei das umsetzt, was er bereits im Wahlkampf angekündigt hatte: die größtmögliche Privatisierung staatlicher Unternehmen.
Was kurzfristig zu einer scheinbar großartigen Bilanz verhelfen kann, bedeutet aber langfristig fehlende Einnahmen durch die verkauften Unternehmen. Steht Milei also für einen „schlanken“ Staat und wirtschaftlichen Erfolg, so pflastert seine „Schocktherapie“ den direkten Weg zu schrumpfenden Staatseinnahmen und wachsender Armut.
Widerstand von Gewerkschaft und Zivilgesellschaft
Diese Politik, die auf dem Rücken der Ärmsten gemacht wird, nimmt die argentinische Gesellschaft nicht still hin. Bereits knapp einem Monat nach seiner Angelobung demonstrierten hunderttausende Menschen gegen die Maßnahmen der Regierung, verbunden mit einem Generalstreik für zwölf Stunden. Maßgeblich daran beteiligt waren unter anderem der argentinische Gewerkschaftsverband CTA und Interessensvertretungen aus Wissenschaft und Kultur.
„Es ist, als hätte die Regierung den Schmerz der Menschen bisher auch noch genossen.“
Gewerkschafter Hugo Godoy
Seitdem gibt es immer wieder groß angelegte Proteste und Streiks einzelner Berufsgruppen, in denen zu einem Kurswechsel der Politik aufgerufen wird. Bei einer Demonstration in Buenos Aires beschreibt der Gewerkschafter Hugo Godoy im Gespräch mit der internationalen Nachrichtenagentur REUTERS die Situation folgendermaßen: „Es ist, als hätte die Regierung den Schmerz der Menschen bisher auch noch genossen.“
Aber auch auf rechtlicher Ebene wird gegen die Regierung vorgegangen, so hatte der Gewerkschaftsverband mit einer Klage mehrere Maßnahmen verhindern können, die den Arbeitsmarkt deregulieren und gleichzeitig das Streikrecht eingeschränkt hätten. Auch noch offen ist, ob Mileis Maßnahmen, die er ursprünglich als Notdekret eingeführt hatte, nicht vom Parlament abgelehnt werden. Eine Kammer des Parlaments hat es bereits abgelehnt, nun wird in einer zweiten Kammer darüber abgestimmt – sollte es dort auch keine Zustimmung erhalten, tritt es außer Kraft.
Wie lange eine Politik, deren Programm zu immer größeren sozialen Spannungen führt, ihren Kurs fortsetzen kann, wird sich zeigen. Milei veröffentlichte erst vor wenigen Wochen wieder ein Bild mit Kettensäge, scheint also nicht von seiner Linie abweichen zu wollen. Die Möglichkeit einer Umkehr kann demnach nur in der Zivilbevölkerung und ihren Institutionen gesucht werden.