US-Gewerkschaften im Präsidentschaftswahlkampf

 Präsident Joe Biden geht auf den NABTU-Präsidenten Sean McGarvey zu, nachdem er vor der Nationalen Gesetzgebungskonferenz der nordamerikanischen Baugewerkschaft gesprochen hat, Mittwoch, 24. April 2024, in Washington.
Präsident Joe Biden und Sean McGarvey, Präsident der nordamerikanischen Baugewerkschaft NABTU.
Foto: AP Photo/Evan Vucci

Während die Kandidaten um die Unterstützung durch Gewerkschaften werben, können diese ihre Forderungen einbringen. Derer mangelt es nicht.

„Unsere Mitglieder wollen jemanden, der für sie aufsteht und kämpft. Und das ist genau das, was dieser Präsident gemacht hat.“ Mit diesen Worten erklärte Liz Shuler, Vorsitzende des größten Gewerkschaft-Dachverbandes in den USA, vor rund zehn Monaten, warum ihr Verband offiziell Joe Biden als Präsidentschaftskandidat unterstützen werde. Der Dachverband namens AFL-CIO – das Kürzel steht für „American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations“ – vertritt laut eigener Angabe mehr als 12,5 Millionen Mitglieder, das sind etwas weniger als 10 Prozent aller Vollzeitangestellten in den USA.

Dies war die früheste gewerkschaftliche Unterstützung innerhalb des aktuellen Wahlkampfs, mittlerweile ist sie aber bei weitem nicht die einzige. In den USA ist es durchaus üblich, dass Gewerkschaften Empfehlungen aussprechen. Zuletzt verlautbarte die Baugewerkschaft NABTU, dass sie Biden unterstützen werde. Es ist wenig überraschend, dass dieser die Gelegenheit gleich nutzte, um eine Rede bei einem NABTU-Kongress zu halten. Diese war neben harten Angriffen gegenüber Donald Trump von Forderungen getragen, die gerade im Bereich der Gewerkschaften gut ankommen sollten. „Ich werde den Sozialstaat und Medicare schützen, indem ich die sehr Reichen ihren fairen Beitrag zahlen lasse!“, so der US-Präsident zu Forderungen nach gerechteren Steuermodellen.

Die Möglichkeit, eine offizielle Unterstützung sowie eine Bühne vor Arbeitnehmer:innen zu erhalten, ist von beiden Kandidaten heiß begehrt – und umkämpft. Die Gewerkschaft der Transportarbeiter:innen, die größte Einzelgewerkschaft in den USA, hat sich in der jüngsten Zeit etwa mit beiden Präsidentschaftskandidaten getroffen, ohne sofort eine Entscheidung zu fällen, wer unterstützt werden sollte. Denn nicht nur die Kandidaten haben etwas zu gewinnen: In diesen Besprechungen können Gewerkschaften ihre Forderungen einbringen, wie etwa der Vorsitzende der selbigen Gewerkschaft nach dem Treffen erklärt hat, als er sagte, dass noch viel für die Stärkung von Gewerkschaften getan werden müsse.

Schwierige Bedingungen für Gewerkschaften

Gewerkschaften in den USA haben kein leichtes Spiel. Dazu ist wichtig, zu verstehen, dass es die Trennung zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft in dieser Form nicht gibt. Stattdessen ist es in den meisten Fällen so, dass direkt in den Betrieben organisiert und auch verhandelt werden muss. Kollektive Verhandlungen reichen somit meistens nicht über die das einzelne Unternehmen hinaus, wodurch die Arbeit kleinteilig und schwieriger wird. Das hat entsprechenden Konsequenzen, so waren 2023 nur 6 Prozent in der Privatwirtschaft Gewerkschaftsmitglieder, im öffentlichen Dienst 32,5 Prozent – auch wenn die Anzahl der Mitglieder in den letzten Jahren stark gestiegen ist.

Diese ungünstigen Bedingungen für gewerkschaftliche Arbeit ermöglichen ein System, in dem Arbeitsverhältnisse überwiegend auf freiwilliger Basis beruhen. Beschäftigte können daher jederzeit, ohne Grund und fristlos entlassen werden. Dazu kommt, dass es für Bürgerinnen unter 65 Jahren keine bundesweiteten, universell garantierten Sozialleistungen gibt. Solche katastrophalen Arbeitsbedingungen in einem der reichsten Länder der Welt verhindern allgemeinen Wohlstand und tragen dazu bei, dass in den Vereinigten Staaten die reichsten 0,1 Prozent rund 13,6 Prozent des Gesamtvermögens besitzen.

Anhand dieser Entwicklung lässt sich verstehen, warum sich mehr und mehr Menschen in den USA eine stärkere Gewerkschaft wünschen. Das zeigt sich vor allem bei der jüngeren Generation. Eine im vergangenen Jahr durchgeführt Umfrage hat gezeigt, dass 88 Prozent der Menschen unter 30 Jahren der gewerkschaftlichen Arbeit positiv gegenüberstehen – das ist ein Höchstwert. Über 90 Prozent dieser Bevölkerungsgruppe unterstützt zudem Streiks, um für besser Löhne und Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Was die Umfrage außerdem zeigt: Immer mehr Leute sind der Meinung, dass Gewerkschaften dringender benötigt werden als früher.

Eine Stärkung der US-Gewerkschaften würde den Grad an Mitbestimmung in Betrieben, aber auch im ganzen Land steigern. Denn die Präsenz von US-Gewerkschaften hat noch mehr positive Effekte, als man vielleicht annehmen würde. So kam eine Studie des Economic Policy Institute zu dem Schluss, dass Gebiete in den USA, in denen die gewerkschaftliche Abdeckung höher war, mit einem Abbau von Hürden bei Wahlen einherging. Gute Rahmenbedingungen für gewerkschaftliche Arbeit sind somit ein essenzieller Bestandteil für das Funktionieren demokratischer Mechanismen. Möglichkeiten zur Verbesserung gäbe es genug. Ob und wie diese von einem zukünftigen Präsidenten wahrgenommen werden, wird sich zeigen.

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