Wenn Rechte regieren: Politik gegen Beschäftigte

13.000 Menschen protestierten am 1. Februar 2024 in Helsinki auf Aufruf der finnischen Gewerkschaftsbünde SAK und STTK gegen Kürzungen bei Arbeitnehmerrechten und Sozialleistungen.
Foto: SAK, STTK

Regierungen mit Beteiligung rechter Parteien sind in Europa längst kein Novum mehr. Wie wirken sich diese auf Sozialstaat und Demokratie aus?

Was haben Finnland, Ungarn, die Niederlande und Italien gemeinsam? In all ihren Regierungen sind Parteien beteiligt, die dem rechten Spektrum zuzuordnen sind. Die KOMPETENZ hat sich angesehen, welche politischen Maßnahmen in den einzelnen Ländern rund um das Thema Sozialstaat und Demokratie gesetzt wurden und werden.

Finnland: Streikrecht eingeschränkt

Fragt man den finnischen Gewerkschafter Antti Palola, was sich geändert hat, seit die Regierung mit der von ihm als rechtsextrem eingeordneten Partei „Die Finnen“ im Amt ist, muss man mit einer längeren Antwort rechnen. Denn: Alles sei anders, aber nicht zum Guten.

Früher sei in Finnland Politik für die Beschäftigten gemeinsam mit den Gewerkschaften gemacht worden, nun arbeite die Regierung an den Gewerkschaften vorbei – und schenke ihnen kein Gehör mehr, so Palola. Das zeige sich etwa bei Maßnahmen zur Bewältigung der auf der ganzen Welt stattfindenden wirtschaftlichen Transformation: „Wir haben ein sehr gutes Programm für Erwachsenenbildung in Finnland gehabt, das hauptsächlich von Arbeitgebern und Arbeitnehmer:innen finanziert wurde. Die Regierung hat es aber beendet, weil es laut ihr die Beschäftigungsrate nicht erhöhe, da die Personen neben der Weiterbildung nicht arbeiten.“ Ob diese Maßnahme sinnvoll ist? Die Bewertung des Gewerkschafters fällt eindeutig aus: „Das ist natürlich absoluter Schwachsinn!“

„Wir können jetzt nur noch auf Zeit streiken, und zwar maximal 24 Stunden zu einem bestimmten Thema.“

Antti Palola, Gewerkschafter, Finnland

Dieses politische Vorhaben stößt neben weiteren Verschlechterungen für Beschäftigte auf Protest. Zahlreiche Aktionen wurden daher von Gewerkschaft und Zivilgesellschaft gesetzt. Doch statt einzulenken, wurde das Streikrecht der Arbeitnehmer:innen eingeschränkt, erklärt Palola: „Wir können jetzt nur noch auf Zeit streiken, und zwar maximal 24 Stunden zu einem bestimmten Thema.“ Angriffe auf den Sozialstaat und die Demokratie sind seither deutlich schwerer abzuwehren.

Ungarn: Gegen die Gesundheit

Viktor Orbán von der rechtspopulistischen Partei Fidesz ist seit dem Jahr 2010 durchgehend Ministerpräsident von Ungarn. In diesen knapp 15 Jahren wurde das politische System in Namen der „illiberalen Demokratie“ empfindlich beschädigt: Die Wahlordnung wurde zugunsten der Regierung verändert, Medien unter massiven Druck gesetzt und politisch eingefärbt, Universitäten konnten ihren Betrieb zeitweise nicht mehr fortführen und mussten in einem Fall sogar ihren Standort in ein anderes Land verlegen.

Aber auch das ungarische Gesundheitssystem ist durch die Politik der Regierung mit Schwierigkeiten konfrontiert. Laut einem Bericht der OECD sind die öffentlichen Ausgaben im Gesundheitsbereich unter den niedrigsten innerhalb der Europäischen Union. Während der EU-Schnitt 11 Prozent des BIP für Gesundheit ausgibt, sind es bei Ungarn nur 7,4 Prozent. Eine ähnliche Reihung erfolgt auch bei der Lebenserwartung, hier belegt Ungarn EU-weit den fünftletzten Platz mit 76,2 Jahren. Zum Vergleich: In Österreich liegt die Lebenserwartung bei 81,1 Jahren.

Niederlande: Sprachpolitik statt Fachkräfte

In den Niederlanden wird die aktuelle Regierung von vier Parteien gebildet, die stärkste davon ist die „Partei für die Freiheit“ (PVV), angeführt von dem Rechtspopulisten Geert Wilders. Aufgrund von verfassungsfeindlichen Aussagen wurde Wilders nicht zum Premierminister ernannt, was die allgemeine Ausrichtung der Regierung aber nicht beeinflusst, die, so der Wahlsieger, “die strengste Asylpolitik, die wir jemals hatten“, einzuführen plant.

Was Wilders Wahlslogan „Niederländer wieder auf Platz 1“ faktisch bedeutet, zeigt ein aktueller Konflikt in der Bildungspolitik. Die Regierung plant, insgesamt eine Milliarde Euro im Bereich Hochschulbildung und Wissenschaft zu kürzen. Die Kürzungen sollen darauf abzielen, die Anzahl der englischsprachigen Lehrgänge zu verringern. Damit einhergehend sollen auch Unterstützungsleistungen für Studierende aus der EU beschränkt werden.

Der niederländische Gewerkschaftsbund FNV hat aus diesem Grund für November diesen Jahres Protestmaßnahmen angekündigt. Denn das Vorhaben sei nicht nur ein Angriff auf das Lehrpersonal und mögliche Karrieren von Wissenschafter:innen, sondern wirke sich auch direkt auf den Wirtschaftsstandort aus: „Unternehmen kommen wegen der Qualität unserer Forschung und der von uns ausgebildeten Fachkräfte in die Niederlande. Eine Kürzung bei uns ist eine Kürzung bei der Zukunft der Niederlande.“

Die Tatsache, dass die niederländische Wirtschaft auf Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften angewiesen ist, wird sogar vom Bildungsminister selbst betont. Ein weiterer Grund, warum der niederländische Hochschulverband davon spricht, dass die aktuelle Regierung mit einer „stumpfen Axt auf Universitäten und Hochschulen einhackt“.

Italien: Bei Jobverlust droht Existenzverlust

Seit 2022 ist Giorgia Meloni die Ministerpräsidentin des Landes mit Stiefelform. Meloni gehört zur postfaschistischen Partei „Fratelli d’Italia“ (FdI), die schon vor Regierungsbeteiligung gegen die angebliche „soziale Hängematte“ und vermeintlich faule Arbeitslose im eigenen Land gewettert hat. Nun sind Gesetze gefolgt.

„Eine Vielzahl von Personen erhält überhaupt keine Unterstützung“

Cinzia del Rio, Gewerkschafter, Italien

Vor mehr als einem Jahr hat die Regierung begonnen, die italienische Grundsicherung, das sogenannte „Reddito di cittadinanza“, im Prinzip abzuschaffen. Diese Unterstützungsleistung, die erst 2019 beschlossen wurde, sprach Arbeitslosen eine Zahlung von 500 Euro im Monat zu. Doch nun wurden „Ausnahmen“ eingeführt. Für Haushalte, deren Angehörige zwischen 18 und 59 Jahren alt sind, gibt es nur noch Anspruch auf 350 Euro – unter schwierigen Bedingungen.

Dieser Anspruch kann nämlich nur geltend gemacht werden, wenn ein von Arbeitsämtern organisierter Kurs besucht wird. Was das in der Realität bedeutet, erklärt Cinzia del Rio von der italienischen Gewerkschaft UIL: „Das Problem ist, dass die Arbeitsämter keine Kapazitäten und keine finanziellen Mittel haben, um Ausbildungskurse in Verbindung mit Beschäftigungsmöglichkeiten zu organisieren. Daher erhält eine Vielzahl von Personen überhaupt keine Unterstützung.“

Gegen Beschäftigte, gegen Wirtschaftsstandort

Die einzelnen Länder und die jeweiligen Entwicklungen haben ein klares Muster: Die Politik des Landes wird nicht im Interesse von Beschäftigten gemacht. Das zeigt sich in den unterschiedlichsten Situationen: Bei Weiter- und Ausbildungen werden Gelder gekürzt, Gesundheitssysteme sind chronisch unterfinanziert, bei Verlust des Jobs sind Beschäftigte auf sich selbst gestellt. Parallel dazu wird die Zivilgesellschaft geschwächt, etwa durch das Beschränken von Streikrechten.

Mit diesen Maßnahmen wird aber auch ein weiterer Effekt ausgelöst: der Wirtschaftsstandort wird nachhaltig geschwächt. Gesunde, abgesicherte und gut ausgebildete Arbeitnehmer:innen sind das Um und Auf für Wirtschaftswachstum. Das scheint aber, wie die Entwicklungen exemplarisch zeigen, bei rechter Politik immer mehr in den Hintergrund zu geraten. Der Vergleich zeigt: Misst man rechte Parteien an ihren tatsächlichen Handlungen, gibt es diametrale Abweichungen – vor allem auch zum Nachteil jener Gruppen, die sie zu vertreten versprechen.

Interview: Wie Finnlands rechte Regierung Arbeitnehmer:innen und Sozialstaat schwächt:
Zum ausführlichen Interview mit Antti Palola, Vorsitzender des finnischen Gewerkschaftsbunds STTK.

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