Wenn weiter in Richtung Wirtschaftswachstum gesteuert wird, führt das in die Klimakatastrophe, sagt Helga Kromp-Kolb im Interview mit der KOMPETENZ. Ein Zurückfahren des Konsums hätte auch Auswirkungen für die Arbeitswelt – davor brauche sich aber niemand zu fürchten.
KOMPETENZ: Aktuell stöhnt Österreich wieder über eine Hitzewelle. Der Klimawandel lässt sich nicht mehr wegleugnen. Wie wirken sich diese hohen Temperaturen in der Arbeitswelt aus?
Helga Kromp-Kolb: Der Mensch ist im Grund eine Wärmekraftmaschine. Wir erzeugen Energie und dabei wird Wärme frei. Und diese Wärme müssen wir abführen. Je intensiver wir arbeiten, desto mehr Wärme müssen wir abführen. Und wenn es rundherum beziehungsweise draußen heiß ist, dann haben wir keine Möglichkeit mehr, Wärme abzuführen. Alles, was mit Arbeit, was mit Anstrengung verbunden ist, wird schwieriger, bis es unmöglich wird und dann auch zu Erkrankungen führt.
KOMPETENZ: Betrifft das nur Menschen, die körperlich arbeiten oder auch im Büro Tätige?
Helga Kromp-Kolb: Es betrifft auch Schreibtischarbeit. Wir wissen, dass man sich wesentlich schlechter konzentrieren kann, das heißt, es geht weniger weiter. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass insgesamt die Produktivität einer Wirtschaft zurückgeht, wenn es heißer wird. Und wenn man gewohnt ist, dass bestimmte Sachen in einer gewissen Zeit erledigt sind, und das geht halt nicht, weil es zu warm ist, dann wird man unruhig und gestresst.
KOMPETENZ: Welche ist die ideale Temperatur, um zu arbeiten, und ab welcher Temperatur wird es unangenehm?
Helga Kromp-Kolb: Da gibt es durchaus einen individuellen Spielraum. Aber 20 Grad, da heizen wir ja im Winter auch hin, sind angenehm. Alles darüber ist eigentlich nicht notwendig und was noch drüber ist, ist unangenehm. Aber es hängt sehr stark von der Feuchte ab. Trockene Hitze hält man besser aus.
„Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass insgesamt die Produktivität einer Wirtschaft zurückgeht, wenn es heißer wird.“
Helga Kromp-Kolb, Klimaforscherin
KOMPETENZ: Welche Branchen sind besonders betroffen?
Helga Kromp-Kolb: Alle, wo es um schwere körperliche Arbeit draußen oder in einem nicht klimatisierten Raum geht. Das betrifft zum Beispiel die Landwirtschaft oder das Baugewerbe.
KOMPETENZ: Auch Büros sind aber nicht alle klimatisiert.
Helga Kromp-Kolb: Nein. Das Problem ist aber grundsätzlich, dass Klimatisierung derzeit in der Regel mit fossilen Brennstoffen passiert. Das heißt, wir klimatisieren und erhöhen den Treibhauseffekt. Das ist also eine typische schlechte Anpassung. Es gibt Bemühungen, Kühlung mit solarer Energie zu machen. Man kann zum Beispiel Strom erzeugen und mit Strom kühlen. Besser ist natürlich, wenn man die Häuser so baut, dass man möglichst wenig kühlen muss. Dass man zum Beispiel Außenverschattungen hat, aber auch die Raumplanung im Grätzel so ausschaut, dass der Wind durchstreichen kann.
KOMPETENZ: Abseits vom Einbau von Klimageräten, die aber wieder zum Klimawandel beitragen: Was können ArbeitgeberInnen tun, um die Situation für Beschäftigte erträglicher zu machen?
Helga Kromp-Kolb: Wichtig ist, die Wärmequellen aus den Zimmern herauszubringen, zum Beispiel die Computer. Wenn der Computer nicht dort ist, wo der Mensch ist und aufheizt, dann ist das schon ein wesentlicher Faktor. Dann hat es natürlich auch damit zu tun, wieviele Leute gleichzeitig in einem Zimmer sind, auch das heizt auf. Natürlich kann man Pausen vorsehen, die Möglichkeit, sich wo hinzulegen, zu trinken, dass man zum Beispiel ganz bewusst Wasserkrüge und Gläser zur Verfügung stellt. Man kann auch Ventilatoren aufstellen. Sie machen es zwar nicht kühler im Raum, aber die Haut kühlt ab, für den Menschen ist es erträglicher.
Man kann aber auch die Arbeitszeiten verschieben, in die frühen Morgenstunden und die späten Abendstunden, was in den südlichen Ländern durchaus üblich ist. Für manche kann Heimarbeit die Lösung sein, wenn es zu Hause kühler ist als im Büro. Es gibt viele Optionen und am besten bespricht man das mit den Betroffenen, denn sie kennen ihre Situation am besten.
KOMPETENZ: Was können ArbeitnehmerInnen tun, um gesundheitliche Probleme zu vermeiden?
Helga Kromp-Kolb: Man muss trinken, weil sonst die Nieren versagen. Es empfiehlt sich, die Kleidung entsprechend zu wählen, wenn man selbst darüber entscheiden kann. Man kann auch so triviale Dinge machen wie die Füße in ein Wasserschaff stellen, wenn man zum Beispiel nicht im Kundendienst tätig ist. Natürlich kann man immer wieder, wenn es eine Dusche gibt, kalt duschen, sonst aber zumindest das Gesicht und die Arme unters kalte Wasser halten. Und dann machen Leute immer noch bei Tag das Fenster auf, weil sie den leichten Luftzug haben wollen, aber in Wirklichkeit kommt die viel heißere Luft herein. Da heißt es, vernünftig sein und lieber einen Ventilator kaufen und aufstellen. Der Strombedarf ist verhältnismäßig gering, vor allem verglichen mit einem Kühlgerät.
KOMPETENZ: Welche Arten von Betrieben tragen dazu bei, dass sich das Klima immer stärker verändert?
Helga Kromp-Kolb: Im Grunde genommen alle, die mit fossilen Brennstoffen arbeiten und ihre Energie aus fossilen Brennstoffen beziehen. Da ist es dann im Grund egal, ob sie es selbst machen oder aus der Steckdose beziehen. Unsere Energie ist einfach noch zu einem Großteil fossil.
KOMPETENZ: Das betrifft also genauso die Industrieproduktion wie ein Bürogebäude.
Helga Kromp-Kolb: Ja, durchaus. Nur der Energiebedarf ist bei der Industrie oft wesentlich größer.
KOMPETENZ: Das Entscheidende ist demnach, auf andere Energiearten umzusteigen?
„Zu sagen, zuerst müssen wir reich werden und dann können wir umweltfreundlich werden, das geht einfach nicht. Das haben wir jetzt 30 Jahre versucht und das funktioniert nicht.“
Helga Kromp-Kolb, Klimaforscherin
Helga Kromp-Kolb: Das ist für den unmittelbaren Klimaschutz das wesentliche Thema. Aber wenn man bedenkt, dass das Klima ja nur ein Symptom von mehreren Symptomen ist, die darauf hinweisen, dass wir ein ungeeignetes Wirtschaftssystem haben, dessen Spielregeln bewirken, dass die Menschen und die Natur ausgebeutet werden, dann ist alleine das Ersetzen von Technologien keine Lösung, weil das diese Ausbeutung nicht verändert. Wir sind jenseits dessen, was dieser Planet verträgt. Wir müssen wieder auf die Größenordnung zurückschrauben, die er aushält, und gleichzeitig dafür sorgen, dass auch das Soziale gesichert ist. Zu sagen, zuerst müssen wir reich werden und dann können wir umweltfreundlich werden, das geht einfach nicht. Das haben wir jetzt 30 Jahre versucht und das funktioniert nicht. Wir wissen auch, dass die Wohlhabenden einen viel größeren ökologischen Fußabdruck haben als die ökonomisch Schwächeren. Das heißt, wir müssen wirklich beides gleichzeitig verfolgen.
KOMPETENZ: Wäre also ein Rückbau des Wohlstands angeraten?
Helga Kromp-Kolb: Der Rückbau des Lebensstandards, ja, aber der Ausbau der Lebensqualität. Dass man zwar weniger Dinge hat, die aber haltbarer oder reparierbar und zum Teil auch gar nicht im Besitz sind. Die berühmte Bohrmaschine, die typischerweise in einem Haushalt eine halbe Stunde im Jahr verwendet wird, da könnten zig Haushalte dieselbe Bohrmaschine verwenden. Dass man wegkommt von dem „ich muss alles haben“ hin zu einem „ich kann es mir ausborgen“.
KOMPETENZ: Würde weniger Konsum aber nicht auch Arbeitsplätze kosten?
Helga Kromp-Kolb: Man merkt immer wieder, dass die arbeitenden Menschen Angst haben davor, dass sie keinen Job mehr haben, wenn weniger produziert wird. Wenn es ungeschickt gemacht wird: Ja. Aber es geht ja eigentlich darum, eine Transformation zu konzipieren, die es eben durchaus ermöglicht, gut zu leben, ohne die Umwelt zu zerstören.Niko Paech hat viel zur Postwachstumsgesellschaft geforscht und er geht davon aus, dass wir mit der halben Arbeitszeit auskommen und die zweite Hälfte zum Teil für Arbeiten für die eigene Effizienz verwenden, dass man zum Beispiel selber etwas repariert und Gemüse pflanzt, und zum anderen Teil für die Gesellschaft etwas tut. Das Einkommen, das aus der Erwerbstätigkeit kommt, vielleicht verknüpft mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, wäre aber hoch genug, um die Bedürfnisse, die man hat, zu decken.
KOMPETENZ: Die politischen Rahmenbedingungen fördern einen solchen Ansatz aber nicht. Wirtschaftswachstum ist da immer noch das Credo. Die Arbeitszeitflexibilisierung ermöglicht längere Arbeitszeiten statt über eine Arbeitszeitverkürzung nachzudenken. Bewegt sich demnach alles in eine andere als die von Ihnen skizzierte Richtung?
Helga Kromp-Kolb: Ja, aber das ist leider die Richtung, die in die Katastrophe führt. Nämlich auch in die Klimakatastrophe. Es geht nicht darum, wieviel wir produzieren können, sondern darum, wie wir effizient möglichst wenig produzieren, also nur das, was wirklich gebraucht wird.
KOMPETENZ: Warum kommt diese Botschaft bei den politischen Entscheidungsträgern nicht an?
Helga Kromp-Kolb: Ich glaube, dass eine gute Portion Angst drinnen ist und vielleicht auch Phantasielosigkeit. Und zwar nicht nur bei den politischen Entscheidungsträgern, sondern auch bei denen, die die Fäden im Hintergrund ziehen. Und ich merke, dass weder die Industriellenvereinigung noch die Wirtschaftskammer und auch die Gewerkschaften nur punktuell wirklich offen sind und schon gar nicht in Richtung Veränderung arbeiten. Den typischen Betrieb, den die Wirtschaftskammer vertritt, den gibt es aber immer weniger. Und die Ich-AGs sehen die Welt schon anders. Und ich bin sicher, da wird es eine Veränderung geben – ob das aus der Kammer herauskommt oder ob sich einfach daneben Initiativen bilden, so wie sich jetzt unabhängige Versicherungen oder neue Geldwährungen etablieren, weil das bisherige System die Bedürfnisse nicht mehr erfüllt, wird sich zeigen.
Zur Person:
Helga Kromp-Kolb, geb. 1948 in Wien, ist Meteorologin und Klimaforscherin. Ihre Forschungstätigkeit führte sie von der Universität Wien und die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik bis an die San José State University. Seit 1995 ist sie ordentliche Universitätsprofessorin am Institut für Meteorologie an der Universität für Bodenkultur in Wien. Sie arbeitet seit Jahren zum Thema Klimawandel, zuletzt erschien im Vorjahr ihr Buch „Plus zwei Grad: Warum wir uns für die Rettung der Welt erwärmen sollten“ (gemeinsam mit Herbert Formayer).