Von „systematischen Ungleichheiten und Misständen“ berichtet die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, wenn es um die weltweite Verteilung von Covid-19 Impfstoffen geht – und attestiert den Konzernen Menschenrechtsverletzungen. Einer davon will jetzt einlenken. Christof Mackinger hat den Bericht von Amnesty gelesen.
Schon die einleitenden Worte des kürzlich veröffentlichten Berichts „Yet Money calls the shots: Pharma’s response to the Covid-19 vaccines crisis“ haben es in sich:
„In der Covid-19 Pandemie ist einer Handvoll Pharmaunternehmen außerordentliche Macht zugekommen. Die ganze Welt hängt von deren Wohlwollen ab, nachdem sich westliche Regierungen weigerten in die Produktion und Verteilung der Impfstoffe einzugreifen. Diese Unternehmen werden aber nicht nur für immer mit der Brillanz ihrer Wissenschaft assoziiert werden. Ihre GeschäftsführerInnen, DirektorInnen und GroßinvestorInnen werden auch für ihr Scheitern im Umgang mit einer Jahrhundert-Gesundheits- und Menschenrechtskrise in Erinnerung bleiben.“
Amnesty International
Tatsächlich, so Amnesty, würde der weltweit produzierte Covid-19 Impfstoff ausreichen um eine Durchimpfungsrate von 40 Prozent weltweit zu erlangen. Mit dem Ende des Jahres 2021 waren es allerdings nur vier Prozent weltweit, die eine Impfung erhalten haben. Das Ziel der Weltgesundheitsorganisation WHO, bis kommenden Sommer rund 70 Prozent der Menschheit zu impfen, dürfte damit in weite Ferne rücken. Kein Wunder, haben fast alle Impfstoffhersteller mehr als die Hälfte ihrer Produkte an reiche Länder verkauft, wo sie in den Lagerhäusern liegen, während die ärmeren überwiegend auf Impfstoff-Spenden angewiesen sind. Darüber hinaus haben alle Hersteller die Technologie zur Impfstoffherstellung geheim gehalten und sogar gegen eine Aufhebung der Patente auf einen Covid-19 Impfstoff lobbyiert. Wäre das Wissen über die Impfstoffe von Beginn an weltweit geteilt worden, hätten viele Tode weltweit vermieden werden können. Doch das steht den Profiten der Pharmaunternehmen entgegen.
In einem Überblick zeigen die Amnesty-AnalystInnen die Produktion und Verteilung der Impfstoff im Jahr 2021 auf:
- AstraZeneca: 2,3 Milliarden Impfdosen, davon wurden 1,7 Prozent an Niedriglohnländer, 70 Prozent an Niedrig- bis Mittellohnländern verteilt. Das Unternehmen weigert sich das Wissen zur Impfstoffherstellung zu teilen.
- Johnson & Johnson: 300 Millionen Impfdosen, davon 20 Prozent an Niedriglohnländer und 31 Prozent an Niedrig- bis Mittellohnländern. Johnson & Johnson hält aber, so wie AstraZeneca, am Marktpreis fest und verweigert es intellektuelles Eigentum zu teilen.
- Moderna: 670 Millionen Dosen, wovon nur 2 Prozent an Niedriglohnländer und 23,5 Prozent an Niedrig- bis Mittellohnländern gingen. Auch Moderna weigert sich beharrlich sein Wissen zu den Impfstoffen im Rahmen eines WHO-Programms zu teilen, dass andere in die Produktion einsteigen könnten.
- Pfizer/BioNTech: 2,4 Milliarden Impfdosen, davon ging nur ein Prozent an Niedriglohnländer, 14 Prozent an Niedrig- bis Mittellohnländern. Pfizer/BioNTech verweigert sich dem Wissenspool der WHO und anderer Institutionen Know-How zur Impfstoff-Produktion beizusteuern
- Sinopharm: 2,25 Milliarden Dosen, die überwiegend in China verteilt wurden. 1,4 Prozent davon ging an Niedriglohnländer, 23,6 Prozent an Niedrig- bis Mittellohnländern. Sinopharm setzte den Preis für seine Impfstoffdosen recht hoch an und teilte kein Wissen über die Produktion davon.
- Sinovac: hat 2,45 Milliarden Impfdosen im letzten Jahr produziert, welche großteils in China verteilt wurden. Nur 0,5 Prozent ging an Niedriglohnländer, 20,6 Prozent an Niedrig- bis Mittellohnländern, auch Sinovac bietet Impfstoff nur hochpreisig an.
Dementsprechend gestaltet sich auch die Verteilung der Impfungen:
Während 72,4 Prozent der Wohlhabenden doppelt und 23,8 Prozent dreifach geimpft wurden, sind weniger als fünf Prozent der Armen nur doppelt geimpft. Und das vor dem Hintergrund, dass nicht nur Pharmaunternehmen dazu verpflichtet sind die Menschenrechte zu wahren, sondern auch Staaten. In letzterem Fall hieße das, die bestmögliche Gesundheitsvorsorge und -versorgung bereit zustellen. Amnesty zufolge bedingt das die staatliche Pflicht auf einen „Austausch über die Forschung, das Wissen, die medizinische Ausstattung und dergleichen,“ heißt es in dem Bericht. Spätestens seit Oktober 2020 gibt es Bestrebungen mehrerer Länder die Patente auf Impfstoffe vorübergehend auszusetzen, was bisher aber nicht zum Erfolg führte, wie die KOMPETENZ schon letzten Herbst berichtete.
Rajat Khosla, Direktor der Abteilung Research, Advocacy and Policy bei Amnesty International kommentiert die Ergebnisse seiner Untersuchung:
„Die Pharmaunternehmen hätten 2021 eine heldenhafte Rolle übernehmen können. Stattdessen wandten sie sich von denjenigen ab, die am dringendsten eine Impfung benötigten, und wirtschafteten wie zuvor weiter. Damit gaben sie ihrem Profit eine höhere Priorität als Menschenleben.“
Rajat Khosla
Amnesty konnte darüber hinaus die zehn finanzstärksten Investoren der Impfstoffhersteller ausfindig machen. Es sind überwiegend Vermögensverwalter und Banken aus den USA, die in Summe Vermögen im Wert von 250 Milliarden US-Dollar halten: Vanguard Group Inc., Blackrock Inc. oder die UBS. Sie alle haben sich niemals öffentlich für die Freigabe der Impfstoffe oder die Senkung ihrer Preise eingesetzt. Kein Wunder: Es würde ihre eigenen Profite schmälern.
In „Yet Money calls the shots“ schreibt Amnesty: „Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte zeigen ganz klar die Verantwortung von Konzernen im internationalen Recht auf. Covid-19 hat gezeigt wie wenige Unternehmen diese in der Praxis dann wirklich einhalten.“ Die 5,6 Millionen Menschen, die bisher an Covid-19 gestorben sind, seien gestorben, weil den Konzernen ihre Gewinne immer noch mehr als Menschenleben zählen würden – trotz Milliarden an Fördermitteln aus der öffentlichen Hand.
Amnesty International ruft daher die Impfstoff-Hersteller dazu auf, Patente und Technologien freizugeben und die Preise der Impfdosen soweit zu senken, dass sie kein Hindernis mehr sind, dass sich auch die Ärmster der Weltbevölkerung sich lassen können.
Der Forderung will nun zumindest das Unternehmen Moderna entgegen kommen. Man würde zukünftig auf die Durchsetzung der Patentrechte des Covid19-Impfstoffes in 92 Ländern verzichten. „Wir wollen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen sicherstellen, dass unsere Patente den Zugang zu unserem Corona-Impfstoff nicht behindern,“ wird ein Top-Manager Modernas zuletzt in der Wirtschaftswoche zitiert.