Arbeiten im digitalen Wandel als Herausforderung für die europäische Politik.
Schon 2010 formulierte die Europäische Kommission in der Digitalen Agenda ihre Vorstellung, wie die Digitalisierung zur Erfüllung der Europa-2020-Ziele für Wachstum und Beschäftigung genutzt werden kann. Es sind vor allem technische und ökonomische Aspekte, die hierbei hervorgehoben werden. ArbeitnehmerInnen, Arbeitsplatzsicherheit und Qualität bleiben in den Überlegungen der Kommission außen vor. Auch in der Strategie für den digitalen Binnenmarkt, die 2015 veröffentlicht wurde, zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Im Problemaufriss der EU-Kommission steht der grenzübergreifende Online-Handel an erster Stelle. So kaufen 44 Prozent der KonsumentInnen online ein, davon „nur“ 15 Prozent grenzübergreifend. Genau diese grenzübergreifenden Onlinekäufe sollen gesteigert werden. Außerdem sind nur sieben Prozent der KMUs grenzübergreifend im Online-Handel tätig, auch das will die Kommission steigern.
Perspektive verändern
Aus gewerkschaftlicher Perspektive ist es notwendig, neue Aspekte in die Debatte einzubringen. Wesentlich sind die Fragen, welche neuen Arbeits- und Einkommensverhältnisse hinter dem Aufkommen dieser technologischen Möglichkeiten stehen. Die Skandale und gewerkschaftlichen Mobilisierungen rund um den Online-Versandriesen Amazon in Deutschland und inzwischen mehreren anderen europäischen Ländern zeigen, dass E-Commerce nicht nur zur Verdrängung von Geschäftslokalen und Arbeitsplätzen führen kann, sondern auch Arbeitsrecht und Kollektivverträge in Frage stellt. Es ist zwar davon auszugehen, dass Digitalisierung Beschäftigungseffekte setzen kann, allerdings ist ebenso anzunehmen, dass durch Rationalisierungen und technischen Fortschritt Arbeitsplatzverluste auftreten. All dies ist im Moment noch schwer in Zahlen zu fassen. Zentral ist, dass gerade Gewerkschaften bereit sein müssen, diesen Wandel aktiv zu gestalten.
Neue Arbeitsformen
Wie jetzt schon zu sehen ist, kann die zunehmende Automatisierung auch Beschäftigte in ihrer Autonomie einschränken und in „neue“, stark routinierte Tätigkeiten einordnen. Beispiele gibt es hier wiederum bei Amazon, wo die „Picker“ von Handscannern geleitet Waren im Lager einsammeln und die „Packer“ diese verpacken. Mit der Zunahme dieser Arbeitsformen kommt es auch zur Zunahme des Auseinanderdriftens der Lohnschere. Eine Studie der Universität Oxford geht davon aus, dass vor allem Tätigkeiten im mittleren Einkommenssegment von der Automatisierung betroffen sein werden und Beschäftigung eher in oberen und unteren Gehaltsklassen entsteht. In anderen Studien wird infrage gestellt, ob eine reine Steigerung der Produktivität zu einem Zuwachs der Beschäftigung führen wird. Ebenso stellt sich die brisante Frage, wie neue Beschäftigungsformen, die in der sogenannten Sharing Economy entstehen, als qualitative und sichere Arbeitsverhältnisse abgesichert werden können, und wie ebenso die finanziellen und rechtlichen Verantwortlichkeiten der Plattformbetreiber hergestellt werden können. Eine weitere Herausforderung ist die Veränderung der Arbeitswelt durch die Auslagerung von Arbeitsmethoden durch Crowdsourcing und Crowdworking. Hier stößt auch eine nationale rechtliche Umsetzung an ihre Grenzen, da diese Aufträge ohne räumliche Gebundenheit vergeben werden können. Die CrowdworkerInnen stehen hierbei in Konkurrenz zueinander und im Wettbewerb sich zu unterbieten, auch über Grenzen hinweg.
Während diese Fragen in den Papieren der Kommission nicht aus ArbeitnehmerInnenperspektive behandelt werden, ist die Diskussion im Europäischen Parlament schon weiter vorangeschritten. Ende 2015 beschäftigten sich mehrere Ausschüsse mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf Beschäftigung. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) thematisiert in einer Stellungnahme die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Dienstleistungsbranche. Berichterstatter und Leiter der Abteilung Europa, Konzerne und Internationales Wolfgang Greif fasst die Intention des Berichtes zusammen: „Die Digitalisierung verändert alle Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche und wird so logischerweise auch die Arbeitswelt verändern. Wir wollen die Chancen und Risiken der Digitalisierung realistisch abschätzen, um im Interesse der ArbeitnehmerInnen gestalten zu können.“
Wesentliche Vorschläge zur Regulierung der neuen Arbeitswelt und zur Absicherung bzw. Schaffung qualitativer Arbeitsverhältnisse werden im Papier des EWSA skizziert. Auch digitale Arbeitsverhältnisse müssen künftig als Angestelltenverhältnisse definiert und somit auch von Kollektivvertragsverhandlungen erfasst werden. Digitale ArbeitgeberInnen müssen wie alle anderen Steuern und Sozialabgaben bezahlen. Durch die Entgrenzung der Arbeit wird es auch immer notwendiger zu regeln, dass Arbeitszeitgesetze und das Recht auf Freizeit auch hier gelten. Auch die Fragen der Weiterbildung müssen gestellt und neue Modelle vorgelegt werden. Hier kann das österreichische Modell der bezahlten Bildungskarenz als Vorbild dienen. Ebenso zentral ist es, den Beschäftigtendatenschutz auf hohem Niveau zu gestalten und auszubauen.
Neben sozial- und arbeitsrechtlichen Aspekten ist es wesentlich, auch auf europäischer Ebene die Verteilungsfrage zu stellen. Einerseits hinsichtlich der Verteilung von Arbeit, andererseits in Bezug auf Vermögen. Wenn der technologische Fortschritt Arbeitsaufwand und -intensität verringert, ist es notwendig, die gerechte Verteilung der verbliebenen Arbeit anzustreben und für eine Arbeitszeitverkürzung einzutreten. Ebenso zentral wird es sein, dass der erwirtschaftete Reichtum nicht nur einigen wenigen zugutekommt, sondern die sogenannte digitale Dividende Staat und Gesellschaft nutzt.