Das Mitgefühl ist dürftig

Bootsflüchtlinge im Mittelmeer
Bootsflüchtlinge im Mittelmeer

AsylwerberInnen werden von vielen als Bedrohung angesehen und nicht als Menschen, die ein Recht darauf haben, angehört und als Flüchtlinge anerkannt zu werden.

Sie werden mancherorts in Bausch und Bogen verunglimpft, die Fremden, die sich bei uns entweder niedergelassen oder gerade hierher gerettet haben. Und immer sind es die gleichen propagandistischen Mittel, die verfangen. Die, die uns etwas wegnehmen wollen, die Frauen, den Job, gar die Haare vom Kopf fressen möchten. Und wir, die Anständigen und Fleißigen, die ja auch die Ärmel aufgekrempelt und die zerbombte Heimat wiederaufgebaut hätten.

Ja, aufgebaut wurde Österreich sehr wohl, aber nicht während des Krieges, sondern danach. Und damit wäre schon eines der Argumente gegen Kriegsflüchtlinge entkräftet.

Und da kämen doch lauter junge Männer, die Frau und Kinder im Stich ließen, ist die nächste propagandistische Waffe gegen Flüchtlinge. Dabei genügt Hausverstand, um den Unsinn als solchen zu enttarnen. Krieg bedeutet für jeden gesunden Mann zwischen 16 und 40, dass er eingezogen wird. Eingezogen von der staatlichen Armee, von Warlords, von islamistischen Brigaden. Krieg bedeutet, zu brandschatzen, zu vergewaltigen, unbekannte Menschen zu töten, die ihrerseits Frau und Kinder haben und eine oft lebenswerte Existenz hatten. Wer nicht schuldig werden will an anderen, wer nicht zum Töten gemacht ist, der muss schauen, dass er fliehen kann.

Gelingt die lebensgefährliche Reise nach Europa, gelingt es, die Asylbehörden vom eigenen Fluchtgrund zu überzeugen, kann man Frau und Kinder nachholen, denn es gibt ein Recht auf Familienzusammenführung. Diese Frauen und Kinder können dann auf sichereren Wegen zu Mann und Vater gelangen als in oft seeuntauglichen Booten, die über das Mittelmeer nach Süditalien, Malta, Griechenland fahren.

Solche Überfahrten enden oft in Tragödien. Der Damaszener Friseur Mohammed Suleimane erinnert sich an seine schaurigsten Stunden im Oktober 2013, an das damals schrecklichste Unglück mit 366 toten Flüchtlingen vor Lampedusa. Junge Mädchen, die Gesichter unter Wasser, die Haare rund um die Köpfe treibend. Der tote Säugling, mit dem er fast zusammengestoßen wäre, als er um sein Leben schwamm. Die Schreie derer, die die Kraft zu verlassen drohte.

Immer und immer wieder durchlebt der 25-Jährige die Stunden im Mittelmeer, nachdem das Boot, das ihn und zwölf Familienmitglieder sowie andere Boatpeople aus der syrischen Bürgerkriegshölle in die europäische Sicherheit hätte bringen sollen, auf Grund gegangen war. Mohammed Suleimane überlebte als einziger aus seiner Familie. Er schwimmt weiter. Jede Nacht. Jede Nacht um sein Leben.

Auch wenn die Bilder im Fernsehen manchmal das Grauen zeigen, das diesen Überlebenden ins Gesicht geschrieben steht, ist das Mitgefühl bei uns dürftig. AsylwerberInnen werden von vielen als Bedrohung angesehen und nicht als Menschen, die ein Recht darauf haben, angehört zu werden und als Flüchtlinge anerkannt. Die Anerkennungsrate liegt derzeit bei rund 40 Prozent, denn tatsächlich stammen die meisten aus den Bürgerkriegsländern Afghanistan, Somalia, Syrien und aus der Militärdiktatur Eritrea.

Im Jahr 2014, als es schon mehr als 56 Millionen Flüchtlinge weltweit gab, kamen doch nur etwas mehr als 600.000 in das bis auf das Mittelmeer komplett abgeschottete Europa mit seinen 507 Millionen EinwohnerInnen. Das sind etwas mehr als ein Promille der Bevölkerung. In Österreich mit seinen 8,2 Millionen Einwohnern gab es 2014 lediglich 28.027 Asylanträge, also keine 0,4 Prozent der Bevölkerung. Kein Stadion ließe sich mit ihnen füllen und doch haben so viele hier den Eindruck, wir hätten Millionen Fremde unterzubringen.

Heuer rechnet das Innenministerium sehr wohl mit viel mehr AsylwerberInnen. Aber auch die 70.000, die es vielleicht zu Jahresende sein werden, müsste das 16.reichste Land der Erde unterbringen können. 1992 waren binnen weniger Monate 90.000 Bosnier gekommen. Zeltlager gab es keine.

Österreich könnte die Neuankömmlinge als Chance begreifen statt als administrative Bürde. Statistisch bekommt ein Paar hierorts 1,4 Kinder. Bei weitem nicht genug, um die Bevölkerungszahl zu halten. Ohne Zuzug kommen in 35 Jahren auf drei ArbeitnehmerInnen ein/e PensionistIn. Das wäre eine für unser gewohntes System kaum mehr zu schulternde Zahl. Allein schon aus diesem Grund braucht Österreich Zuzug, weit mehr als ihn die Flüchtlinge darstellen. In Deutschland bekennt man sich längst dazu, Einwanderungsland zu sein. In Österreich druckst man verschämt herum, auch wenn die Politik natürlich weiß, dass es ohne die Fremden nicht geht. Und obwohl die Bevölkerung wissen könnte, dass diese Menschen, seien sie im EU-Ausland geboren worden oder sonst irgendwo, einen sogenannten Aufenthaltstitel, also einen rechtlichen Status haben.

Viele derer, die als Ausländer verunglimpft oder als „Menschen mit Migrationshintergrund“ eigentlich mehr stigmatisiert werden statt politisch korrekt bezeichnet, sind ja auch längst österreichische StaatsbürgerInnen. Und SteuerzahlerInnen. Auch die Mär, dass diese Fremden den Staat mehr kosten als sie bringen, ist mit den nackten Zahlen widerlegbar. 2.400 Euro zahlen statistisch Ausländer mehr in die Staatskassen ein als sie herausbekommen.

Es ist aber nicht nur das Geld, das diese Menschen bringen, es ist oft auch viel Talent, Lebensfreude, Leistungswille. Und Dankbarkeit. Wie etwa die, die der Afghane von der verfolgten Minderheit der Hazara Bagher Ahmadi gegenüber seinen österreichischen freiwilligen Betreuerinnen ausdrückte – ohne die er gar nicht mehr im Land wäre. Denn die Asylbehörde hatte den Antrag des damals noch Minderjährigen in einem nicht kindgerechten Verfahren mit einem nicht staatlich beeideten Übersetzer abgelehnt. Erst im zweiten Verfahren erhielt der nun 19-Jährige subsidiären Schutz, das heißt, ein immer wieder neu zu erkämpfendes Recht auf Aufenthalt.

Als Bagher Ahmadi, der mit 13 alleine floh und drei Jahre unterwegs war, aus seiner Unter-18-Wohngemeinschaft in Oberösterreich ausziehen und nach Linz übersiedeln musste, rannen einer seiner Betreuerinnen die Tränen. Aus seiner neuen Bleibe schrieb der junge Mann folgende whatsapp: „Waltraud, Andrea, Christa, ihr wart wirklich wie meine Mama früher. Manchmal habe ich geweint, dass ich niemanden habe, der mich liebt. Aber jetzt sehe ich, dass du sogar weinst. Und ich habe dieses Gefühl nicht mehr. Ihr habt mir sehr geholfen.“

Die Journalistin Livia Klingl war über 20 Jahre lang Kriegs- und Krisenberichterstatterin, Leiterin des Außenpolitik-Ressorts im Kurier und ist Autorin des Buches „Wir können doch nicht alle nehmen! Europa zwischen das Boot ist voll und Wir sterben aus.“

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