Digitalisierung sozial gestalten

ArbeitnehmerInnen benötigen zunehmend
ArbeitnehmerInnen benötigen zunehmend
auch digitale Kompetenzen. Bild: agnormark – Fotolia.com

Die Digitalisierung betrifft alle Lebensbereiche. Auch die Arbeitswelt. Sie verändert Arbeitsprozesse und Geschäftsmodelle genauso wie Unternehmensstrukturen. Der digitale Wandel ist jedoch keine Naturgewalt, sondern kann und muss gestaltet werden.

Daten werden immer schneller und billiger übertragen. Computer, Roboter und Algorithmen können immer mehr und komplexere Tätigkeiten gestalten, beeinflussen und mitunter sogar „eigenständig“ übernehmen. Die „Digitalisierung“ ist keine homogene Entwicklung. Der Begriff umfasst vielmehr technische, soziale, juristische und nicht zuletzt wirtschaftliche Komponenten, die vielschichtig miteinander verwoben sind und je nach Land, Region, Branche oder Qualifikationsanforderung verschiedene Auswirkungen mit sich bringen. Klar ist, dass die Digitalisierung Gewerkschaften und BetriebsrätInnen vor große Herausforderungen stellt, denn sie wirkt nicht nur auf den Arbeitsmarkt, sondern indirekt auch auf das Bildungs- und Sozialversicherungssystem.

Auswirkungen auf die Beschäftigten

Kaum ein Geschäftsmodell funktioniert mehr ohne Bits und Bytes. Für die Beschäftigten bleibt das nicht ohne Folgen: Sie benötigen zunehmend „digitale Kompetenzen“, die auch regelmäßiger Erweiterung bedürfen. Beschäftigten muss also Aus- und Weiterbildung sowie Umschulung ermöglicht werden. Ein wesentlicher Faktor, um mit der technischen Entwicklung mitzuhalten, ist die aktive Beteiligung von ArbeitnehmerInnen und deren Vertretung bei der Gestaltung neuer Arbeitsprozesse oder der Technik selbst. Wer selbst ein digitales Instrument mitentwickelt hat, muss sich keine extra Kompetenzen erwerben, weil er/sie ohnehin mit dem neuen Teil vertraut ist.

Durch Digitalisierung können immer mehr Tätigkeiten räumlich und zeitlich flexibel erfolgen. Das kann einen Zuwachs an Autonomie genauso bedeuten wie das Verschmelzen von Arbeit und Privatsphäre. Für einen Teil der Beschäftigten führt die Digitalisierung auch zu einer Einschränkung ihrer Arbeitsautonomie. Ihr Aufgabenprofil reduziert sich auf standardisierte Routinetätigkeiten. Demgegenüber wird das Tätigkeitsprofil von manchen Beschäftigten auch vielseitiger und abwechslungsreicher. Mit der Polarisierung der Arbeitsformen, also der gleichzeitigen Zunahme entweder stark autonomiegeprägter oder stark routinebestimmter Arbeitsplätze, wird auch die Polarisierung von Arbeitseinkommen zunehmen. Zunehmend steht Unternehmen die Möglichkeit offen, Arbeitskräfte global, flexibel und kostengünstig über das Internet über sogenannte „Crowdsourcing“-Plattformen zu rekrutieren. Dadurch wächst im digitalen Raum die Gruppe von zumeist selbstständig erwerbsstätigen „Crowdworkern“, die aufgrund ihrer Beschäftigungsform weder an Kollektivverträge noch Arbeitsrecht gebunden sind. Die rechtliche Grauzone, die dabei entsteht, bringt auch Unternehmen unter Druck, die im Rahmen der geltenden Gesetze und Kollektivverträge operieren.

Eine Zunahme unsicherer und individualisierter Beschäftigungsformen bewirkt, dass Beschäftigungsschutz, Systeme für Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz sowie Kollektivverträge ihre Wirkung nicht mehr wirklich entfalten können. Aus Gewerkschaftssicht heißt das einerseits, dass das Unterlaufen bestehender und bewährter sozial- und arbeitsrechtlicher Standards verhindert werden muss. Andererseits muss der Geltungsbereich sozialer Normen und des arbeitsrechtlichen Schutzes auch auf die durch die Digitalisierung entstehenden Beschäftigungsformen ausgedehnt werden. Dazu gehören auch Initiativen für eine angepasste Definition des ArbeitnehmerInnenbegriffes, die die Bedingungen einer digitalen Arbeitswelt widerspiegelt. Darüber hinaus wäre eine Abgabenverpflichtung an Plattformbetreiber für digitale Auftragsvergaben an Einzel-Selbstständige denkbar.

Digitalisierung und Verteilung

Produktivitätswachstum führt nicht automatisch zu Beschäftigungswachstum – so wie es jahrelang von Wirtschaftstreibenden postuliert wurde – schon gar nicht in einer digitalen Wirtschaft. Die Erhaltung eines dauerhaft hohen Beschäftigungsniveaus erfordert politische Interventionen wie etwa eine deutliche Verkürzung der Arbeitszeit, Spielraum für Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie in Bildung und Qualifizierung. Das alles werden sich die Staaten Europas am Brüsseler Verhandlungstisch erkämpfen müssen. Wege bei der Arbeitszeitverkürzung müssen also ernsthaft ins Auge gefasst und gesetzliche Regelungen geschaffen werden, die für alle Beschäftigten einen sozialversicherungsrechtlichen Schutz mit hohem Niveau sicherstellen – auch für selbstständig Erwerbstätige und Crowdworker.

Durch die Digitalisierung wird ein zusätzliches Potenzial für Effizienzsteigerungen geschaffen. Mit der Gestaltung der Auswirkungen der Digitalisierung stellen sich somit verteilungspolitische Fragen. Wenn die Chancen der Digitalisierung möglichst vielen Menschen zugutekommen sollen, dann bedarf es entsprechender politischer Interventionen. Daher sind Steuersysteme zu reformieren und produktivitätsabhängige Abgaben einzuführen. Produktivitätsgewinne, die aus der Digitalisierung von Produkten und Dienstleistungen lukriert werden, also die sogenannte „Digitalisierungsdividende“, müssen dort investiert werden, wo gesellschaftlicher Bedarf besteht – da wo Digitalisierung wenig bis gar kein Einsparungspotenzial verspricht. Der Roboter und sein Algorithmus können vieles besser als der Mensch (z. B. rechnen, aufräumen, wiederfinden, speichern etc.). Lassen wir ihn diese – und zusätzlich die schmutzigen, gefährlichen oder körperlich anstrengenden – Arbeiten verrichten. Aber bei sozialen, emotionalen und kreativen Tätigkeiten ist der Mensch dem Roboter und seinem Algorithmus überlegen. Insbesondere in Tätigkeitsbereiche wie Pflege, Bildung, Forschung oder Kunst müsste also investiert werden – die Gefahr, dass hier die Arbeit ausgeht, ist eher gering.

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