Großangriff auf ArbeitnehmerInnen

Foto: Michael Mazohl
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Das neue Arbeitszeitgesetz bringt den 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche. Ohne mit den Sozialpartnern zu verhandeln, schuf die Regierung Fakten. Und das Koalitionsübereinkommen sieht noch viele weitere Anschläge auf ArbeitnehmerInnen sowie deren Vertretungen – die Gewerkschaft, die Arbeiterkammer, die Betriebsräte – vor.

Das von der amtierenden türkis-blauen Regierung im Dezember vorgelegte Regierungsprogramm sprach bereits eine deutliche Sprache: Dem Wunschkonzert von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung wurde darin entsprochen. Der ArbeitnehmerInnenschutz wird genauso zurückgefahren wie die betriebliche Demokratie, und gleichzeitig wird den Interessen von Unternehmen höhere Priorität eingeräumt. Anders als bislang üblich hält sich die ÖVP/FPÖ-Regierung nicht mit langen Verhandlungen mit allen Sozialpartnern auf: Umgesetzt werden nur die Wünsche der Wirtschaft, die Interessen der ArbeitnehmerInnen werden nicht gehört. Das neue Arbeitszeitgesetz wurde von den Regierungsparteien als Initiativantrag im Parlament eingebracht – eine sehr unübliche Vorgangsweise bei einer Materie, die die Lebensqualität der Menschen so massiv beeinflusst. So ersparten sich Türkis und Blau nicht nur den Begutachtungsprozess, in dem viele ExpertInnen dargelegt hätten, warum es keine gute Idee ist, Menschen regelmäßig bis zu zwölf Stunden am Tag und bis zu 60 Stunden in der Woche arbeiten zu lassen. Auch die Beratungen mit den Oppositionsparteien im parlamentarischen Ausschuss fiel damit aus.

Überrumpelungstaktik
Die Regierung schuf Fakten und überrumpelte damit die mehr als dreieinhalb Millionen unselbstständig Beschäftigten in Österreich und zwar doppelt – denn sah der Antrag zunächst ein Inkrafttreten mit Jänner 2019 vor, sickerte erst knapp 24 Stunden vor der Beschlussfassung im Nationalrat durch, dass die neuen Regeln bereits ab Herbst gelten. Damit können ArbeitnehmerInnen von ihren Vorgesetzten ab September eingeteilt werden, mehr Überstunden zu machen. Angeblich freiwillig. Doch wie viel ist die nun im Arbeitszeitgesetz verankerte „Freiwilligkeitsgarantie“ wert?
Wenig, sagt GPA-djp-Experte David Mum. „Auch wenn man ins Gesetz hineinschreibt, dass die elfte und zwölfte Stunde freiwillig sind. In der Realität werden die ArbeitgeberInnen sich das erwarten. Und wenn es dann zu einer Nicht-Beförderung oder einer Kündigung kommt, wird man sich natürlich auf etwas anderes berufen.“ Er kritisiert, dass mit diesem Gesetz unselbstständig Beschäftigte des ArbeitnehmerInnenschutzes beraubt werden. „Der ArbeitnehmerInnenschutz beruht ja auf der Tatsache, dass Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen nicht gleich starke VerhandlungspartnerInnen sind.“

Foto: Michael Mazohl
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Weniger Gestaltungsmacht
GPA-djp-Geschäftsführer Karl Dürtscher spricht von der Vereinzelung des Arbeitnehmers. „Im Grunde geht es darum, den Gewerkschaften den Handlungsspielraum in den Kollektivverträgen zu reduzieren. Es wird direkt vom Arbeitszeitgesetz auf die betriebliche Ebene gesprungen. Und dort wird dann auch noch die Betriebsvereinbarungsebene der BetriebsrätInnen ausgehebelt. Am Ende gilt dann nur noch der Einzelvertrag.“ Dass der einzelne Arbeitnehmer immer am schwächeren Ast sitzt, ist klar – und von der Regierung gewünscht. Darüber hinaus wollen die Regierung und die Wirtschaft viele Regelungen abbauen, die in Österreich besser sind als es die EU vorschreibt. Das heißt dann im Regierungsprogramm: „Rücknahme von Gold-Plating zulasten von Unternehmen.“ Es wurde bereits eine Liste mit 500 Regelungen erstellt, bei denen es in Österreich bessere Standards gibt. Mit dabei ist auch die 5. Urlaubswoche, denn die EU schreibt nur 4 Wochen Jahresurlaub vor.

Beschneidung von Demokratie
Was die Regierung nun mit dem Arbeitszeitgesetz vorex­erziert, ist nur ein Teil der Beschneidung von ArbeitnehmerInnenrechten und betrieblicher Demokratie. Der Umbau der Sozialversicherungen ordnet die Interessen der versicherten Menschen  jenen der Wirtschaft unter. Bisher sind es mehrheitlich die VertreterInnen der Versicherten, die die  Sozialversicherung führen („Selbstverwaltung“) – künftig sollen ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber gleich stark vertreten sein. Damit würde die Selbstverwaltung abgeschafft, erklärt Mum, denn diese bedeutet Leitung durch VertreterInnen der Versicherten.“ Wirtschaftsvertreter stellen eine Minderheit unter den Versicherten dar und diese würde dann über die Mehrheit entscheiden, für die Leistungsverschlechterungen die logische Folge wären. Mum hält den Ansatz, den Wirtschaftsvertretern mehr Gewicht zu geben, auch angesichts der Tatsache, dass die Arbeitgeber nur 28 Prozent zu den Einnahmen der Krankenkassen beitragen, für verzerrend. Aus seiner Sicht geht es um politische Umfärbung: ArbeitnehmervertreterInnen raus, Wirtschaftsvertreter rein.
Ein weiteres Ungleichgewicht ist im Verhältnis von Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer geplant. Das Regierungsprogramm verspricht eine Senkung der AK-Beiträge. Derzeit liegt das Budget der AK bei 433 Millionen Euro (sie vertritt alle etwas mehr als 3,6 Millionen unselbstständig Beschäftigten). Die Wirtschaftskammer hat rund eine halbe Million Mitglieder und ein doppelt so hohes Budget. Eine Schwächung der AK, die ihre Mitglieder nicht nur berät, sondern auch viel Expertise zusammenträgt, wie etwa in der Bilanzdatenbank, die der ArbeitnehmerInnenseite in den jährlichen Kollektivvertragsverhandlungen gute Dienste leistet, wäre die Folge.
Die Herbstlohnrunden sind einer der Ansatzpunkte der Gewerkschaften, das, was mit dem Arbeitszeitgesetz nun in Kraft tritt, etwas zu korrigieren. Dass mehr als 100.000 Menschen zu Ferienbeginn dem Aufruf des ÖGB folgten, gegen den 12-Stunden-Arbeitstag und die 60-Stunden-Woche zu protestieren, zeigt, dass viele ArbeitnehmerInnen das einseitige Aushebeln der Sozialpartnerschaft durch die Regierung nicht goutieren.

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Bewusste Entmachtung
Vor allem ist die Absicht nicht nur leicht zu erraten, sie wird inzwischen auch durchaus klar artikuliert. So sagte FPÖ-Klubchef Johann Gudenus am Vorabend der ÖGB-Demonstration, dass ein wesentlicher Aspekt der Arbeitszeitflexibilisierung die Entmachtung der BetriebsrätInnen sei. Denn in den Betriebsräten gebe es „noch vorhandene Machtstrukturen der Sozialdemokratie“ und diese müssten „minimiert“ werden. Dazu passt dann auch, dass im Regierungsprogramm die Abschaffung des Jugendvertrauensrates in den Betrieben vorgesehen ist. Dieser vertritt Lehrlinge bis 21 Jahre und junge MitarbeiterInnen bis zum Alter von 18 Jahren. Aus JugendvertrauensrätInnen – diese werden jeweils für zwei Jahre gewählt – werden später oft BetriebsrätInnen. Man könnte auch sagen: Die Regierung will dafür sorgen, dass es hier keinen Nachwuchs gibt. Der GPA-djp-Jugendsekretär Christian Hofman meint zudem, immer werde die Politikverdrossenheit der Jugend beklagt. Statt Lehrlinge zu stärken, würden sie mit dieser Maßnahme geschwächt.
Auch die Stimmung in den Betrieben spricht eine klare Sprache. Österreichweit wurden in den vergangenen Wochen über 2.000 Betriebsversammlungen abgehalten, so auch bei den ÖBB sowie der Voest. Michael Pap, Betriebsratsvorsitzender der Georg Fischer Automobilguss Herzogenburg, sagt rundheraus: „Die Stimmung ist nicht gut.“ Viele MitarbeiterInnen fürchten, dass sie künftig mehr Überstunden leisten müssen, für diese aber weniger bezahlt bekommen.

Überstunden ohne Zuschläge
Diese Befürchtungen sind durchaus begründet. Zum einen schaffen Gleitzeitverträge die Möglichkeit, dass ArbeitnehmerInnen lange arbeiten, ohne dass Zuschläge bezahlt werden. Würden Überstunden explizit angeordnet, müssten diese mit Zuschlägen entlohnt werden. In der betrieblichen Realität „sagt der Chef aber einfach nur, das soll bitte bis Montag fertig sein“. Solche impliziten Anordnungen entsprechen dem Alltag. Der/die ArbeitnehmerIn fällt dadurch meist um den Überstundenzuschlag um.
Große Rechtsunsicherheit sieht die geschäftsführende Vorsitzende der GPA-djp Barbara
Teiber zudem für ArbeitnehmerInnen mit All-in-Verträgen. Zu befürchten sei, dass für diese ab nun gelte, „mehr arbeiten fürs gleiche Geld“. Bei All-in-Verträgen werden Überstunden pauschal abgegolten – viele Verträge würden aber keine Deckelung für die Anzahl der geleisteten Überstunden vorsehen. Wenn das Arbeitszeitgesetz nun die Möglichkeit längerer Arbeitszeiten vorsehe, könnte das in der Realität bedeuten: „Wo bisher die neunte und zehnte Stunde pauschal bezahlt wurde, werden künftig mit dem gleichen Geld zusätzlich die elfte und zwölfte Stunde bezahlt.“ Betroffene sollten sich jedenfalls an die Rechtsberatung der GPA-djp wenden.

Ausgenommen vom Gesetz
Und dann gibt es noch die große Gruppe der unselbstständigen Beschäftigten, die künftig so behandelt werden können wie bisher nur leitende Angestellte. Denn wer laut novelliertem Arbeitszeitgesetz über „maßgeblich selbstständige Entscheidungsbefugnis“ verfügt, dessen Arbeitszeit unterliegt überhaupt keinen Begrenzungen oder Schutzbestimmungen mehr. Wer hier genau unter diese Regelung fällt, muss wohl noch ausjudiziert werden. Hier wird jedenfalls enorme Rechtsunsicherheit produziert. AK-Direktor Christoph Klein nennt als Beispiele IT-SpezialistInnen, TechnikerInnen, WissenschafterInnen, MitarbeiterInnen in Kreativbranchen, JournalistInnen, Angehörige von Gesundheits- und Sozialberufen, mit denen „Vertrauensarbeitszeit“ vereinbart wurde. Sie haben bei freier Zeiteinteilung einfach ihre Arbeit zu erledigen. Da sie in dem Gesetz nun von jeglichem Schutz ausgenommen werden, ist zu befürchten, dass man ihnen künftig von ArbeitgeberInnenseite mehr Arbeit aufbrummt. Auch Abteilungs-, FilialleiterInnen und deren StellvertreterInnen kann das treffen.
Große Sorgen gibt es auch von MitarbeiterInnen in der sozialen Arbeit. Beatrix Eiletz, Betriebsratsvorsitzende der Volkshilfe Steiermark, sieht auf die Branche, deren Beschäftigte schon jetzt damit kämpfen, ihre Freizeit schlecht planen zu können, noch schwierigere Zeiten zukommen. „Die gesetzlichen Möglichkeiten werden ausgeschöpft werden.“ In der Pflege seien geteilte Dienste an der Tagesordnung. Sorgen macht der Betriebsrätin nun der Zwölf-Stunden-Tag in Kombination mit einem geteilten Dienst. Außerdem auch die Situation älterer ArbeitnehmerInnen: Schon jetzt falle es zum Beispiel Frauen über 50 schwer, in der Pflege zu arbeiten, Langzeitkrankenstände seien die Regel, oft könnten die MitarbeiterInnen nicht mehr gehalten werden, bekämen aber auch weder Reha-Geld noch Frühpension. „Wenn nun der 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche kommen, werden die Leute es nicht mehr schaffen bis 50 zu arbeiten.“
Im Pflegebereich gibt es, wie auch im Handel, viele Teilzeitbeschäftigte. Die ArbeitgeberInnen versuchen so bereits jetzt, Spitzen und Ausfälle durch Krankheit oder Urlaub ohne Überstundenzuschläge auszugleichen. Dass auch Teilzeitkräfte künftig vor einem Bis-zu-12-Stunden-Tag nicht gefeit sind, muss sich allerdings erst durchsprechen. Arabela Alic, Betriebsrätin bei Lidl, meint, viele MitarbeiterInnen verstehen noch nicht, dass das neue Arbeitszeitgesetz auch sie betreffen können wird. „Derzeit geht es ihnen gut, der Betrieb achtet auf Familienfreundlichkeit.“ Wie es in Zukunft sein werde, könne aber niemand sagen. Schließlich ändern sich mit dem Gesetz die gesamten Rahmenbedingungen. Betriebe stünden immer im Wettbewerb – wer könne es sich am Ende leisten, die gesetzliche Regelung nicht auszuschöpfen?

Heisser Herbst
Zynisch mutet da auch der Zwischenruf von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck im ORF-Radio an: „Ich gebe ganz klar den Auftrag an die Unternehmen, das nicht auszunutzen.“ Wirtschaft und Industrie haben bei der Regierung bestellt und bekommen, was sie wollten. Zu glauben, dass sie nun von den neu geschaffenen Möglichkeiten, MitarbeiterInnen länger und günstiger zur Arbeit heranzuziehen, nicht Gebrauch machen, ist naiv. ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian kündigte daher an: Der Kampf der Gewerkschaften gegen das neue Arbeitszeitgesetz werde trotz bereits erfolgter Beschlussfassung weitergehen. Die steigende Zahl der Mitgliedschaften in den Gewerkschaften ist ein klares Zeichen, dass viele ArbeitnehmerInnen nicht so mit sich umspringen lassen wollen. Die große Demo Anfang Juli war wohl erst der Anfang. Es wird ein heißer Herbst.

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