Wenn es in Richtung Kontrolle geht

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Digitale Technologien werden heute nicht nur im Produktionsbereich, sondern auch im Dienstleistungssektor eingesetzt. Die KOMPETENZ sprach mit dem Sozioökonomen Philip Schörpf, der derzeit bei FORBA an einer Studie zur Entwicklung digitaler Arbeit mitwirkt, deren erste Ergebnisse nun vorliegen.

KOMPETENZ: Sie haben sich in einer qualitativen Studie die Entwicklungstrends von digitaler Arbeit im Dienstleistungssektor angesehen. Wie werden digitale Technologien hier heute eingesetzt?

Philip Schörpf: Vorausschicken muss ich, dass diese explorative Studie ein erster Schritt einer Erhebung ist. Wir werden hier noch detaillierter weiterforschen. Wir haben nun mit BetriebsrätInnen und TechnologieexpertInnen gesprochen. Was sich aus diesen Gesprächen herauskristallisierte: Welche Technologien eingesetzt werden, ist sehr unterschiedlich. Aber es gibt Trends.

Relativ weit verbreitet und tief verankert sind zum ersten Enterprise-Social-Media-Anwendungen zur internen Kommunikation. Dabei kommen beispielsweise Anwendungen wie Workplace by Facebook, Microsoft Teams oder WhatsApp zum Einsatz. Mit ihnen werden Arbeitsprozesse organisiert und Arbeitsabläufe dokumentiert. In weiterer Folge können sie aber auch verwendet werden, um zu kontrollieren. Bei der Anwendung solcher Tools haben wir sowohl Top-down-Ansätze gesehen, wo also vom Management etwas verordnet wird, als auch Bottom-up-Modelle, bei denen zunächst MitarbeiterInnen beginnen, sich über arbeitsrelevante Dinge auszutauschen.

KOMPETENZ: Welche weiteren Anwendungen digitaler Technologien kamen Ihnen unter?

Philip Schörpf: Was wir außerdem gesehen haben ist, dass Arbeitsabläufe verstärkt digital strukturiert werden. In internen Wikis, also Datenbanken, wird dokumentiert, wie gewisse Arbeitsabläufe auszusehen haben, wie eine Aufgabe auszuführen ist. Das Wissen, wie dieser Arbeitsablauf funktioniert, wird festgehalten. Das ist zuerst einmal eine Beschreibung der Tätigkeit, die dann auch mit Zeitschienen und personeller Zuweisung verknüpft werden kann. Was da oft eine Folge ist, ist, dass es zu einer Trennung der Planung einer Tätigkeit und der Ausführung der Tätigkeit kommt. Die Planung wird ins Wiki eingeschrieben und die Durchführung wird von den Mitarbeitern gemacht.

„Früher im Consulting Unternehmen war man beim Kunden, jetzt muss man das nicht mehr für jede Tätigkeit, weil man Fernzugriff auf das IT-System vom Kunden hat.“

Philipp Schörpf, Sozioökonom

Bei einem weiteren Technologiekomplex geht es um ortsunabhängige Arbeit, vor allem durch mobile Endgeräte wie Laptops, Smartphones, Tablets. Telearbeit gibt es zwar schon seit den 1980-er Jahren, aber die ortsunabhängige Arbeit gewinnt kontinuierlich an Akzeptanz. Neu ist nun vor allem, dass auch der Fernzugriff auf IT-Systeme möglich ist. Ich kann nicht nur E-Mails checken, sondern ich kann mich auch in das IT-Netz des eigenen Unternehmens, aber unter Umständen auch in die IT-Systeme von der ganzen Wertschöpfungskette – also vom Kunden, von Lieferanten – einloggen. Das ortsunabhängige Arbeiten kann also auch bedeuten, dass man wieder mehr im Büro ist. Früher im Consulting Unternehmen war man beim Kunden, jetzt muss man das nicht mehr für jede Tätigkeit, weil man Fernzugriff auf das IT-System vom Kunden hat.

Bei den nächsten beiden Technologiebereichen wird es ein bisschen vager. Das erste ist die zunehmende Integration von ERP-Systemen (Enterprise Ressource Planning Systems), diese dienen zur Abwicklung von Geschäftsprozessen und können ganz viele Bereiche des Unternehmens umfassen. Was hier jetzt das besondere ist, ist, dass die einzelnen Bereiche zunehmend vernetzt werden, auch über Unternehmensgrenzen hinweg. Daten werden dabei nicht nur für einen Bereich, sondern für die ganze Wertschöpfungskette verarbeitet. Ein Technologieberater meinte, das ist vielleicht DER Entwicklungsschritt. Das hat potenziell weitreichende Folgen, wie systemische Rationalisierungen entlang der Wertschöpfungskette. Hier passiert viel, das müssen wir aber noch näher beforschen.

Wo es sehr vage wird, sind die komplexen Automatisierungen und künstliche Intelligenz. Da wurde uns viel erzählt, dass es in Pilotprojekten getestet wird, dass investiert wird. Die Potenziale werden auch als sehr groß eingeschätzt, die Effekte jetzt sind aber noch sehr überschaubar. Ein Beispiel ist etwa ein Chat Bot in einem Telekommunikationsunternehmen, der in der Kundenkommunikation eingesetzt werden soll, aber noch im Training ist.

KOMPETENZ: Wie verändern sich durch den Einsatz digitaler Technologien die Arbeitsabläufe?

Philip Schörpf: Man kann ein bisschen von der Kompetenzebene draufschauen, was notwendig ist, was nicht mehr notwendig ist, um Tätigkeiten zu erfüllen. Die Planung und die Ausführung von Tätigkeiten wird getrennt, das bedeutet auch, dass für die Ausführung mancher Tätigkeiten weniger Wissen, weniger Können notwendig ist, um sie zu erledigen. Ich muss mir keine Lösung überlegen, die Lösung ist mir vorgegeben. Es gibt aber auch andere Bereiche, wo es ein Mehr an Handlungsspielraum bringt, weil Tätigkeiten wegfallen, neue dazukommen und Aufgabenbereiche zusammengefasst werden.

KOMPETENZ: Was hat das wiederum für Auswirkungen auf den Arbeitsalltag von Beschäftigten?

Philip Schörpf: Das ist sehr unterschiedlich, von welcher Anwendung man spricht und um welchen Bereich es geht. In dieser Studie geht es eher um hochqualifizierte Dienstleistungsbereiche. Eine wichtige Auswirkung sind aber sicher die Potenziale in Richtung Kontrolle und Steuerung des Arbeitsprozesses. Das liegt einerseits daran, dass Dinge sehr viel lückenloser dokumentiert werden können. Alles ist gespeichert und einsehbar für die, die das Projekt leiten. Wenn wir Arbeitsschritte sehr viel genauer vorgeben und wenn es nur mehr eine richtige Möglichkeit gibt, die Arbeit zu erledigen, ist die Kontrolle viel leichter. 

„Immer online, immer erreichbar zu sein, ist natürlich ein Problem und wird auch als Problem wahrgenommen. In einem gewissen Rahmen noch einmal eine E-Mail zu überprüfen, nochmals etwas zu lesen, nehmen die MitarbeiterInnen aber durchaus als positiv wahr.“

Philipp Schörpf, Sozioökonom

KOMPETENZ: Wie sieht es mit den Auswirkungen auf die Arbeitszeit aus?

Philipp Schörpf: Ein Fazit in den Interviews lautete: Leute handhaben es recht unterschiedlich. Immer online, immer erreichbar zu sein, ist natürlich ein Problem und wird auch als Problem wahrgenommen. In einem gewissen Rahmen noch einmal eine E-Mail zu überprüfen, nochmals etwas zu lesen, nehmen die MitarbeiterInnen aber durchaus als positiv wahr. Aber das ist natürlich ein Balanceakt. Wann ist es hilfreich für die Beschäftigten, weil es den Arbeitsalltag erleichtert, weil es etwas freischaufelt, was sonst nicht möglich wäre und wann wird einfach von einem Unternehmen Mehrarbeit verlangt wird, die sich nicht mehr ausgeht in dem Acht-Stunden-Arbeitstag.

KOMPETENZ: Nimmt der Arbeitsdruck durch digitale Technologien zu oder erleichtern diese sogar Prozesse?

Philip Schörpf: Ausgehend von den Interviews und von der Fokusgruppe nehme ich an, dass beides stattfindet. Es gibt unbestritten Bereiche, wo Tätigkeiten und Abläufe erleichtert werden. Was dann aber schnell passiert, ist, dass neue Aufgabenbereiche hinzukommen. Dadurch wird es ein Mehr an erleichterten Tätigkeiten, aber es wird eben mehr. Man muss zwischen unterschiedlichen Tätigkeiten jonglieren.

KOMPETENZ: Worin sehen Sie insgesamt aus Sicht von ArbeitnehmerInnen die negativen Entwicklungen vom Einsatz der Digitalisierung und worin die positiven?

Philip Schörpf: Das negative Szenario ist ein Arbeitsplatz, an dem eine breite Dequalifizierung stattfindet, wo Arbeitsabläufe standardisiert sind und es hohe Levels von Kontrolle, Überwachung und Steuerung des Arbeitsablaufes gibt. Dann kann man noch würzen mit ständig erreichbar sein, dadurch ausufernde Arbeitszeiten, mit hohem Druck und hoher Arbeitsintensität. Positive Szenarien sind, wenn Technologien mitgestaltet werden und Handlungsspielräume eröffnen. Langweilige Tätigkeiten werden vereinfacht oder automatisiert und dadurch wird Spielraum frei, um kreativ zu sein.

Zur Person

Philip Schörpf, geboren 1983, studierte Sozioökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien. Zwischen 2010 und 2014 in der Jugendarbeit tätig, Ausbildung zum Jugendarbeiter 2011/2012. Von 2014 bis 2016 am Institut für Soziologie der Universität Wien beschäftigt und seit März 2016 bei FORBA tätig. Derzeit forscht er zu Digitalisierung im Dienstleistungssektor und zu Plattformarbeit im urbanen Raum. Weitere Forschungsschwerpunkte sind Arbeitssoziologie, virtuelle Arbeit, Plattformarbeit, Outsourcing, Kreativwirtschaft.

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