Wirtschaft soll mehr Lehrlinge ausbilden

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Gewerkschaften und Arbeiterkammer sehen darin einen nachhaltigeren Weg, dem Problem des Fachkräftemangels zu begegnen, als den Arbeitsmarkt immer weiter für Menschen aus Drittstaaten zu öffnen.

So manche Mangelberufsliste – diese werden regional erstellt – wirft viele Fragen auf: Wie etwa erklärt es sich etwa, dass in Tirol und Vorarlberg auch Friseure und Friseurinnen auf dieser Liste stehen? Oft ist der Mangel an geeigneten Arbeitskräften weniger der Tatsache geschuldet, dass es zu wenige in diesem Beruf ausgebildete Menschen gibt, sondern mehr dem Umstand, dass sowohl Bezahlung als auch Arbeitsbedingungen zu wünschen übrig lassen.

Paradebeispiel dafür ist die Gastronomie: Den Arbeitskräftemangel dort bezeichnet ÖGB-Arbeitsmarktexperte Alexander Prischl als „hausgemacht“. Eine Verbesserung der Rahmenbedingungen wie höhere Bezahlung aber auch die Ausbildungsqualität könnten dort sicher einiges bewegen, ist Prischl überzeugt. Ähnliches gilt für den Tourismus. „Arbeitskräftemangel im Tourismus – der sich am lautesten über den Fachkräftemangel beschwerdenden Branche – hat seine Ursache in den schlechten Arbeits- und Entlohnungsbedingungen in dieser Branche“, betont Gernot Mitter, Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der Arbeiterkammer Wien.

Anwerbung aus Drittstaaten

Tourismus und Gastronomie rufen daher nach der Möglichkeit, Beschäftigte nicht nur innerhalb der EU, sondern auch in Drittstaaten anwerben zu dürfen. Dem entspricht die Politik, indem sie das über das System der Mangelberufsliste ermöglicht. Für die betreffenden Betriebe heißt das, weder an Bezahlung noch an den Arbeitsbedingungen etwas zu ändern. Probleme, die sich etwa durch sprachliche Defizite ergeben, werden dabei in Kauf genommen.

„Fachkräfte aus dem Ausland sind ganz einfach billiger für Unternehmen.“

Alexander Prischl, ÖGB

Denn: „Fachkräfte aus dem Ausland sind ganz einfach billiger für Unternehmen“, so Prischl. „Während heimische Fachkräfte oft über dem Kollektivvertrag bezahlt werden, kommen KollegInnen aus dem Ausland auch zum Mindestlohn. Hinzu kommt, dass schwarze Schafe unter den Unternehmen ausländische KollegInnen über zusätzliche Ansprüche oft im Unklaren lassen und diese nicht bezahlen.“

Ausbildungsoffensive für Lehrlinge beginnnen

Es gäbe hier aber nachhaltigere Möglichkeiten, dem Arbeitskräftemangel zu begegnen, sind Prischl und Mitter überzeugt. In Branchen, in denen es grundsätzlich genügend Arbeitskräfte gebe, die Arbeitsbedingungen aber schlecht seien, gelte es dort anzusetzen. Und in Bereichen, in denen es tatsächlich einen Fachkräftemangel gebe, muss es mehr Ausbildungsplätze geben. Prischl und Mitter plädieren für eine Ausbildungsoffensive heimischer Betriebe, sprich: Lehrlingsausbildung wieder groß zu schreiben.

2018 gab es österreichweit 107.915 Lehrlinge – 99.613 von ihnen wurden in Betrieben ausgebildet, 8.302 befanden sich in einer überbetrieblichen Ausbildung. 15 Jahre zuvor, 2003, absolvierten noch 119.040 junge Männer und Frauen eine Lehre. Für 2019 werde zwar eine leicht höhere Zahl an Lehrlingen erwartet als für das Jahr zuvor, sagt Christian Hofmann, er leitet den Bereich Jugend in der GPA-djp. Insgesamt brauche es hier aber seitens der Wirtschaft wieder ein stärkeres Engagement, Lehrlinge auszubilden.

Stattdessen fahre die Wirtschaft seit Jahren Kampagnen, um zu erklären, warum es für sie immer schwieriger werde, Lehrlinge auszubilden, kritisiert Prischl. Zunächst seien die zu strengen Schutzvorschriften angeprangert worden – das mündete etwa in Schlagzeilen wie „Dachdeckerlehrling darf nicht aufs Dach“. Die Politik habe daraufhin die Vorschriften gelockert. Dann habe sich die Wirtschaft darüber beschwert, dass Lehrlinge sozusagen pragmatisiert seien, man sie also nicht wieder los werde, wenn sie nicht entsprechen. Auch darauf wurde reagiert – Lehrverträge sind inzwischen leichter lösbar. Der Kritik an den hohen Ausbildungskosten wurde ebenfalls begegnet – „durch hunderte Millionen Euro Förderung“. Nun sei die Rede von den „schlechten Jugendlichen“. „Man wird den Eindruck nicht los, dass die Wirtschaft über viele Jahre hinweg ihre Weigerung zur Ausbildung junger Menschen mit immer neuen Ausreden kaschieren will.“

Auch Betriebe profitieren von der Ausbildung von Lehrlingen

Ja, die Ausbildung von Lehrlingen binde Ressourcen, sagt Hofmann – personelle wie finanzielle. Dafür profitiere aber der Betrieb auch von ArbeitnehmerInnen, die für die eigenen Bedürfnisse des Betriebs ausgebildet werden. Hier setzt auch Mitter an: „Die im Unternehmen Ausgebildeten kennen die spezifischen Anforderungen an das berufliche Können des Unternehmens, seine Abläufe und seine Organisationskultur.“ Vor allem aber könnte über die Lehrlingsausbildung unabhängig von konjunkturellen Entwicklungen der FacharbeiterInnenbedarf des Unternehmens gedeckt werden.

„Die im Unternehmen Ausgebildeten kennen die spezifischen Anforderungen an das berufliche Können des Unternehmens, seine Abläufe und seine Organisationskultur.“

Gernot Mitter, AK

Es gebe Bereiche, die nach wie vor sehr aktiv sein, wenn es um die Ausbildung von Fachkräften gehe, sagt Hofmann. Das seien das klassische Handwerk und Gewerbe, aber auch der Handel. Supermarktketten wie Spar, Rewe oder Hofer werben offensiv um Lehrlinge. Für Jugendliche seien diese Ausbildungsplätze aber oft nicht die erste Berufswahl: da sie in ihren Wunschberufen jedoch keine Lehrstelle finden, nehmen sie dann eben einen Lehrplatz im Handel, erzählt Hofmann aus der Praxis.

Immer weniger Lehrlinge bei Banken

Immer weniger Lehrstellen gebe es zum Beispiel im Dienstleistungsbereich – etwa bei Banken. Hier spiele aber oft auch die Internationalisierung eine Rolle: werde ein Unternehmen von einem anderen aufgekauft, bestehe in der Konzernzentrale in einem Land, in dem das System der dualen Ausbildung nicht bekannt sei, kein Bewusstsein für die Vorteile, selbst ArbeitnehmerInnen auszubilden. Als Beispiel nennt der Leiter der Jugendabteilung der GPA-djp die Übernahme der Bank Austria durch Unicredit vor einigen Jahren. Dort nahm die Anzahl der Lehrstellen rapide ab, man konnte wenig damit anfangen, MitarbeiterInnen zu beschäftigen, die gleichzeitig auch noch in die Schule gehen. Zum anderen bilde die stetig wachsende IT-Branche nur sehr wenige Lehrstellen an – derzeit seien es etwa 1.000. Betriebe müssten hier ihre Wertigkeiten ändern, fordert Hofmann.

„Ausbilden, ausbilden, ausbilden“, fordert auch ÖGB-Experte Prischl. Es müsse Initiativen geben, Betriebe bei ihrer Ausbildungsaktivität zu unterstützen. Das müsse sich nicht unbedingt in Geld ausdrücken. „Viele Kleinbetriebe zum Beispiel wissen gar nicht, wie man einen Ausbildungsplan erstellt oder Jugendliche in den betrieblichen Ablauf integriert. Hier könnten Unterstützungsmodelle hilfreich sein.“ Wichtig wären auch – analog zum Schul- und Universitätsbereich – externe, unabhängige und laufende Qualitätssicherungssysteme. Man müsse die Lehre aber auch bei Eltern attraktiver machen: „Wenn man Kindern und Eltern, wer eine Lehre beginnt, zählt sowieso zu den schwierigen Jugendlichen“, dann sei das nicht hilfreich.

Aufhorchen ließ dieser Tage auch der Soziologe Jörg Flecker mit einem Gastkommentar im „Standard“. Er meint, mit der Erweiterung der Mangelberufsliste und der Anwerbung von Arbeitskräften außerhalb der EU werden Probleme am Arbeitsmarkt zugedeckt. Er plädiert dafür, aus dem Fachkräftemangel eine Tugend zu machen. Nachhaltiger lösen könnte man die angespannte Personalsituation in Betrieben seiner Ansicht nach, wenn man die Arbeitsbedingungen, aber auch die Ausbildungsbedingungen verbessert.

„Österreich ist eines der reichsten Länder Welt. Es muss möglich sein, hier Menschen für Tätigkeiten auszubilden, die wir hier brauchen.“


David Mum, GPA-djp

Insgesamt unterstreicht daher David Mum, Mitglied der Bundesgeschäftsführung der GPA-djp: „Österreich ist eines der reichsten Länder Welt. Es muss möglich sein, hier Menschen für Tätigkeiten auszubilden, die wir hier brauchen. Es muss auch möglich sein, Menschen so zu bezahlen dass sie diese Tätigkeiten auch ausüben. Es ist keine Lösung, immer wenn Stellen nicht besetzt werden können, darauf zu vertrauen, dass man günstige, gut ausgebildete Menschen aus dem Ausland anwirbt. Wenn man aus einem Europa der 500 Millionen nicht genug Menschen findet, dann müssen die Arbeitsbedingungen verbessert werden und nicht einfach versucht werden die Lücken mit Menschen aus Drittländern abzudecken und dabei die Gehaltsgrenzen für die Rot-Weiß-Rot-Karte weiter abzusenken.“ Letzteres war schon unter Türkis-Blau in Angriff genommen, dann aber nicht umgesetzt worden. Nun nimmt die ÖVP hier einen neuen Anlauf.

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