In Skandinavien haben sich Frauen früher als anderswo Rechte erkämpft. Die norwegische Feministin Marta Breem zeigt in ihrem Buch auf, was jede/r Einzelne zur Gleichstellung der Geschlechter beitragen kann.
Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist doch ohnehin schon erreicht – so eine landläufige Meinung. Warum gehen Frauen denn dann immer und immer wieder auf die Barrikaden? Muss das sein mit der gendergerechten Sprache? Ist #metoo nicht ein bisschen überzogen? Und Männer können doch auch hier zu Lande in Babykarenz gehen. Nur tun sie es auch?
Der Shutdown im Zug der Coronakrise hat gezeigt: Ja, viele Frauen sind heute erwerbstätig. Aber die Rollenbilder sind teils noch immer die alten. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich viele Frauen, die im Home-Office arbeiteten, damit konfrontiert sahen, gleichzeitig auch die Kinder zu betreuen oder ihnen bei ihren Schulaufgaben zu helfen, zu kochen, den Haushalt zu machen, während Männer sich bei der Arbeit von zu Hause aus vor allem auf eines konzentrierten: ihre Arbeit. So jedenfalls der Tenor vieler Berichte von Betroffenen.
Aber auch die Debatte um den „Luder“-Sager des stellvertretenden Tiroler Landeshauptmannes Josef Geisler (ÖVP) warf Schlaglichter darauf, wie schwer es ist, sich als Frau hier richtig zu reagieren. Gemeint ist damit nicht die Reaktion der so angesprochenen NGO-Vertreterin, sondern der Grünen Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe (Grüne). Wie sich hier positionieren, noch dazu als Politikerin einer Partei, die sich sonst sehr vehement für Frauenrechte einsetzt?
„Als FeministIn wünscht man sich, dass sich jeder Mensch unabhängig vom Geschlecht frei entfalten kann.“
Marta Breen
Gute Tipps liefert hier die norwegische Feministin Marta Breen in ihrem eben auch auf Deutsch erschienenen Buch „HOW TO BE A FEMINIST: Die Power skandinavischer Frauen und was wir von ihnen lernen können“ (Übersetzung: Nora Pröfrock). Es fängt damit an, dazu stehen, wofür man oder frau sich einsetzt: sich also als FeministIn zu bezeichnen. Immer wieder komme die Frage auf, ob man sich mit einem anderen Begriff nicht leichter tun würde, schreibt Breen und verweist auch auf die Sisiphusarbeit, „das F-Wort“ vom Verdacht des Männerhasses reinzuwaschen. Doch ihr Befund ist klar: Humanismus treffe es genauso wenig wie Gleichstellung, denn Feminismus beinhalte mehr – „nämlich die Anerkennung systematischer geschlechtsspezifischer Unterschiede in Hinblick auf Macht, Kapital und Möglichkeiten“. „Als FeministIn wünscht man sich, dass sich jeder Mensch unabhängig vom Geschlecht frei entfalten kann.“
„Seid radikal“ ruft Breen weiter ihren LeserInnen zu: Es waren die großen Frauenbewegungen zunächst Ende des 19. Jahrhunderts, dann in den 1960er und 1970er Jahren, welche Frauen mehr Rechte und mehr Partizipation brachten. Aber sie sagt auch: „Verdient euer eigenes Geld“ und zeigt dabei auf, wie wichtig die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen ist.
„Kennt eure Feinde“. Hier führt sie zum Beispiel vor Augen, dass in der öffentlichen Debatte über neue rechtspopulistische Strömungen dem Frauenhass oft eine untergeordnete Rolle zu kommen. „Doch es ist wichtig, zu sehen, wie eng das alles miteinander zusammenhängt: In ihrer Sinnsuche orientieren sich die Faschisten an alten Gemeinschaftsformen. Sie idealisieren die Rollenmuster der Vergangenheit, alte Hierarchien, die traditionelle Kernfamilie und den Traum von ethnisch reinen Nationen. Der Faschismus ist also in jeder Hinsicht retro – und damit das diametrale Gegenteil des Feminismus.“
„Zeigt Schwesternsolidarität“: In diesem Kapital räumt Breen mit einem weit verbreiteten Missverständnis auf. Darunter sei nicht zu verstehen, dass Frauen weibliche Netzwerke zu ihrem persönlichen Vorteil nutzen. „Echte Schwesternschaft zielt jedoch nicht darauf ab, sich gegenseitig zu applaudieren oder Frauen mit vollkommen anderen Wertvorstellungen zu unterstützen. Vielmehr sollten einzelne wichtige Kämpfe gemeinsam ausgefochten werden, dazu tun wir uns zusammen.“ Ich halte das für einen der zentralen Sätze in Breens Ausführungen.
Ein weiterer lautet: „Macht euch ruhig mal unbeliebt.“ Vielen Frauen fallen immer wieder Dinge auf, die sie stören, die sie als befremdlich empfinden. Vielleicht sprechen sie später mit Freundinnen darüber, aber in der Situation selbst schweigen sie. „Wenn also auf der Literaturliste für eure nächste Prüfung nur männliche Autoren stehen: Macht den Mund auf! Schreibt eine E-Mail, einen Tweet, greift zum Telefon“, appelliert Breen an die LeserInnen. „Wird an eurem Arbeitsplatz erwartet, dass Frauen hohe Schuhe und enge Röcke tragen, während Männer in flachen Schuhen und bequemen Hosen herumlaufen können, macht den Mund auf!“ Oder: „Wenn sämtliche Statuen in eurer Stadt Männer darstellen, sagt etwas!“
Immer wieder zeigt Breen zwischen ganz konkreten Handlungsanleitungen zudem auf, warum in skandinavischen Ländern vieles selbstverständlich ist, was in anderen Teilen der Welt heute noch erkämpft werden muss. So habe in skandinavischen Schulen beispielsweise die aktive Gleichstellungspolitik bereits in den 1960er Jahren begonnen, als die geschlechtsspezifisch ausgerichteten Fächer Handarbeit und Werken zum Kunstunterricht zusammengelegt wurden und das Fach Hausarbeit, das zuvor nur für Mädchen vorgesehen war, durch das gemeinsame Fach Hauswirtschaftslehre ersetzt wurde.
In den 1970er Jahren etablierte sich Gleichstellung als eigenes politisches Feld – Frauen sollten eine echte Chance bekommen, arbeiten zu gehen, auch wenn sie Kinder hatten. So wurden Kindergärten gebaut, es wurde besser über Verhütung informiert, Alleinerziehende wurden finanziell unterstützt und das Recht auf Abtreibung eingeführt. In den 1980er Jahren wiederum wurde auf die neue Männerrolle geschaut. Dabei entstand die Idee der Elternzeit für Väter – eine bezahlte Freistellung für Väter, die beim Kind zu Hause bleiben, wenn die Mutter in den Beruf zurückkehrt. In Norwegen liege die Elternzeit für Väter heute bei 15 Wochen und werde von neun von zehn Vätern genutzt. Breen sieht darin eine der erfolgreichsten Gleichstellungsmaßnahmen in neuerer Zeit.
„HOW TO BE A FEMINIST“ zeigt luftig und durchaus unterhaltsam formuliert auf, dass in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter in manchen Ländern schon viel, aber immer noch nicht alles erreicht ist. Man/frau ertappt sich in einigen Kapiteln bei dem Gedanken, stimmt, da hat sie recht, da müsste ich mich auch mehr einbringen. Vor allem aber führt die Autorin vor, dass jede und jeder in seinem Alltag Handlungsspielräume hat, um Bewusstsein zu schaffen und die ungleiche Machtverteilung zwischen den Geschlechtern aufzuheben. Diese ist das Ziel. Und der Feminismus der Weg dorthin.
Marta Breen
HOW TO BE A FEMINIST: Die Power skandinavischer Frauen und was wir von ihnen lernen können
Elisabeth Sandmann Verlag
Oslo 2020
160 Seiten, 15,50 Euro
ISBN 978-3-945543-79-5