Warum Fotos mehr als Illustration sind

Die beiden Politikwissenschafterinnen Petra Bernhardt und Karin Liebhart haben sich angesehen, wie Bilder Wahlkampf machen. Ihr Fazit: immer noch ist vielen Menschen nicht bewusst, wie Fotos Botschaften transportieren. Hier wäre einerseits mehr Vermittlung an Schulen wünschenswert, aber auch ein kritischerer Umgang von Medien mit von der Politik zur Verfügung gestellten Bildern.

KOMPETENZ: Bilder spielen in Wahlkämpfen seit vielen Jahrzehnten eine wichtige Rolle. Vor allem auf Plakaten versuchen Parteien, ihren Spitzenkandidaten oder ihre Spitzenkandidatin ins beste Licht zu rücken. Mit der Digitalisierung und den Handykameras gibt es neben den offiziellen Fotos aber auch eine Flut von Bildern, die UserInnen gemacht haben. Wie arbeiten da die PR-Teams von Parteien damit oder dagegen?

Petra Bernhardt: Eine Möglichkeit ist, die Schauplätze und Settings, die selbst kontrollierbar sind, so zu gestalten, dass Bildmaterial, das nicht wirklich gewünscht ist oder das potenziell missgedeutet, also nicht im Sinn der Kampagne gedeutet werden könnte, minimiert wird. Das heißt, die Settinggestaltung durch Vorabplanung so anlegen, dass bestimmte Blicke, bestimmte Perspektiven auf die Kandidatin, den Kandidaten möglich werden und andere nicht, Gelegenheiten bestimmen, wo ein gemeinsames Foto oder ein Bad in der Menge oder ein Zusammentreffen, eine dialogische Situation aufgenommen werden kann.

Karin Liebhart: So ein Setting für den Bildtyp des Fankontakts – der Kandidat, die Kandidatin mit seinen, ihren Fans – lässt sich beispielsweise sehr gut herstellen.

Petra Bernhardt: Eine zweite Möglichkeit, die wir momentan sehr stark sehen, zum Beispiel bei den Neos, ist, dass, NutzerInnenbildsprache adaptiert wird für die eigenen Bedürfnisse. Sie kommunizieren stark in memetischer Form, sie imitieren NutzerInnenverhalten, das stellt darauf ab, besondere Authentizität zu erreichen, den Eindruck zu erwecken, wir kommunizieren, so wie ihr es tut, wir verstehen eure Codes, wir verstehen eure Sprache, wir können uns also sehr gut in unsere Zielgruppe hineinversetzen.  

Petra Bernhard ist Politikwissenschafterin. Sie forscht und lehrt an der Universität Wien und beschäftigt sich mit visueller politischer Kommunikation in digitalen Öffentlichkeiten.
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

KOMPETENZ: PolitikerInnen werden eben gerade auf Social Media-Kanälen auch gerne ganz privat gezeigt. Wie inszeniert sind diese Fotos, die wie Schnappschüsse wirken?

Karin Liebhart: Die sind inszeniert, aber inszenieren ist in der politischen Kommunikationsforschung kein Begriff, der wertend ist. Da geht es einfach um das Herstellen von Möglichkeiten, wie ich den Kandidaten, die Kandidatin präsentiere.

„Bilder sind immer mehr als Illustrationen. Und jedes Bild, das ich zum Beispiel als Foto sehe, verweist auch auf ein mentales Bild.“

Karin Liebhart

KOMPETENZ: In Social Media bekommen Fotos mehr Aufmerksamkeit als Texte, Instagram arbeitet überhaupt nur mit Bildern. Aber auch mit Fotos kann man durch das Setting Inhalte oder Positionierungen vermitteln. Wie funktioniert das?

Karin Liebhart: Bilder sind immer mehr als Illustrationen. Und jedes Bild, das ich zum Beispiel als Foto sehe, verweist auch auf ein mentales Bild.

KOMPETENZ: Das reale Bild erzeugt im Kopf also Assoziationen.

Karin Liebhart ist ebenfalls Politikwissenschafterin und ist sowohl an der Uni Wien als auch an der Universität Trnava tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind visuelle und politische Kommunikation, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus.
Fotos: Nurith Wagner-Strauss

Petra Bernhardt: Genau, das nennt sich assoziative Logik.

KOMPETENZ: Können Sie an Hand eines Beispiels erklären, was ein Bild zeigt und was dann beim Ansehen im Kopf entstehen soll?

Petra Bernhardt: Nehmen wir den Präsidentschaftswahlkampf von Alexander Van der Bellen. Wir haben gesehen, dass beide Spitzenkandidaten – Van der Bellen und Norbert Hofer – intensiv versucht haben, Aspekte ihres semi-privaten Bereichs beziehungsweise ihre Interessen in den Wahlkampf miteinzubringen. Van der Bellen hat den durchaus riskanten Weg gewählt, dass er sich weiterhin als Intellektueller inszeniert. Man hat ihn beim Lesen gesehen, er hat Sudokus gelöst. Das wurde aktiv in den Wahlkampf eingebunden, um über das Bildmaterial bestimmte Assoziationen aufzurufen. Das gleiche war die Geschichte mit dem intensiven Einbringen des Kaunertals, des Wanderns, des Bewegens in der Natur. Das ist natürlich für einen ehemaligen Grün-Politiker essenziell, eine naturnahe Beschäftigung, etwas was nicht besonders ressourcenintensiv ist.

„Immer wenn ich etwas über mich erzählen muss, ist es schwierig, wenn ich es herzeigen kann, tue ich mir leichter.“ 

Petra Bernhardt

FPÖ-Kandidat Norbert Hofer hat das radikal anders gemacht. Den sahen wir beim Schrauben an der Puch Maxi, der ist mit dem Rasenmäher gefahren, also diese hands on-Geschichte: Ich mache mir die Finger schmutzig. Und beide haben versucht, über das Bildmaterial Assoziationen über ihre Person, über ihre Persönlichkeit, über ihre Interessen nahe zu legen. Das geht über Bilder deutlich besser, als wenn ich es beschreiben würde, weil einerseits ist es nicht so aufgesetzt. Immer wenn ich etwas über mich erzählen muss, ist es schwierig, wenn ich es herzeigen kann, tue ich mir leichter.  

KOMPETENZ: Im Präsidentschaftswahlkampf trafen in der Stichwahl zwei Männer aufeinander. Gibt es aber Unterschiede, wie Fotosettings für Politikerinnen und wie für Politiker arrangiert werden?

Karin Liebhart: Bei Frauen ist immer die Bezugnahme auf das Äußerliche mitzubedenken, den Körper, das Erscheinungsbild. Das wird zwar auch bei männlichen Politiker immer wichtiger, aber bei Politikerinnen ist es immer ein Thema, und zwar egal, wie alt oder wie jung sie sind oder für welches Amt sie kandidieren. Und auch das Private wird mehr thematisiert. Auch das wird bei Männern stärker, aber von Frauen wird noch immer viel mehr erwartet, dass sie sich in privaten Settings zeigen.

KOMPETENZ: Welche Rollenbilder müssen Frauen auch erfüllen, die von Männern nicht erwartet werden?

Karin Liebhart: Die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zum Beispiel, diese Frage wird Politikerinnen viel öfter gestellt als Politikern. Und es wird eben ständig kommentiert, wie jemand aussieht. Diese Diskussion um Pamela Rendi-Wagner zum Beispiel, isst sie vegetarisch oder will sie, dass andere kein Schnitzel essen oder solche Dinge und sie ist ja eh so dünn und so weiter, das würde bei Politikern so nicht diskutiert werden.

Petra Bernhardt: Die Abweichung zeigt sich aber auch bei Positivbeispielen. Wir sehen es bei Jacinda Ardern sehr stark, die enorm gefeiert wird, wenn sie ihr Kind mitnimmt. Allerdings muss man sagen, dass gerade in diesem konventionalisierten Bildrepertoire der Politik, diese typischen Szenen, die wir von Politik zu sehen bekommen, wie zum Beispiel der Politiker, die Politikerin spricht vor einer größeren Gruppe oder vor dem Parlament oder tritt auf bei Gedenkritualen, dass es da kaum mehr Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen PolitikerInnen gibt. Da ist das Repertoire ähnlich, da fällt nur auf, dass es so wenige Frauen sind, zum Beispiel bei einem G 7-Treffen.

KOMPETENZ: Sie beschreiben in Ihrem Buch auch, wie das Team US-Politikerin Elizabeth Warren heuer im Vorwahlkampf für die Präsidentschaftswahlen in den USA selfie lines organisiert hat: dabei konnten sich UnterstützerInnen anstellen, um ein Selfie mit Warren zu machen, wobei ihnen zuvor das Handy von einem Mitglied des Wahlkampfteams abgenommen und dann mit diesem eine Aufnahme des Handybesitzers und der Politikerin gemacht wurde. So werden im Rahmen eines Wahlkampfes tausende vermeintliche Schnappschüsse, die professionell eingefangen werden, ins Netz gestellt. Wie authentisch ist das vermeintlich Authentische noch?

Petra Bernhardt: ich glaube für die, die es nutzen, stellt sich die Frage gar nicht. Die haben einen visuellen Beleg für das Zusammentreffen mit der Kandidatin. Zwei größere US-amerikanische Medien haben auch Interviews geführt mit TeilnehmerInnen solcher Veranstaltungen und haben sie gefragt, was sie motiviert, dieses Bildmaterial zu teilen und da kam immer wieder das Argument, dass sie sich Zeit nimmt und dass man einen kurzen Wortwechsel machen konnte. Und dann gibt es dieses Bild und das macht man der eigenen Community zugänglich um eben das als Beweis zu zeigen, diese Politikerin nimmt sich Zeit. Das zeigt vor allem den enormen Authentizitätsglauben an solche Bilder. Und sie sind ja auch real, auch wenn sie nicht zufällig entstanden sind.

KOMPETENZ: Die Macht der Bilderinszenierung in Wahlkämpfen: wie sehr spielt sie auch in Österreich eine Rolle?

Karin Liebhart: Die Frage ist, welche Macht haben die Bilder und haben sie überhaupt die Macht, die man ihnen immer zuschreibt. Dass immer mehr Bilder im Umlauf sind, steigert die Bedeutung visueller Kommunikation. Gleichzeitig bewegt die Quantität alleine noch nichts. Die Macht der Bilder wird aber umso größer, je weniger man fähig ist, Bilder zu lesen und einzuordnen. Wir können mit Texten umgehen, aber die „Bilderalphabetisierung“ findet kaum statt. Und dieser Authentizitätseffekt, dass man meint, das ist wirklich die Realität, was man sieht, das wirkt umso stärker, je weniger man darüber weiß, wie Bilder funktionieren.

KOMPETENZ: Die Macht wird also größer durch die fehlende Reflexion beim Anschauen?

Petra Bernhardt: Ja. Da gibt es bei uns einen völlig unterschiedlichen Zugang zu Text und Bild. Während es für uns selbstverständlich ist, zwischen verschiedenen Textsorten zu differenzieren – wir können einen Kommentar ohne Probleme von einem Bericht unterscheiden – ist das bei Bildern nicht im gleichen Maß gegeben.

Es ist viel zu wenig bewusst, wie Fotos geplant werden.   

KOMPETENZ: Wäre es dann nicht gut, an Schulen auch Bildinterpretation stärker als derzeit zu vermitteln?

Karin Liebhart: Es gibt Schulprojekte in diese Richtung. Aber es wäre wirklich wichtig, das Schauen so flächendeckend wie das Lesen zu vermitteln und mit Bildern umgehen zu lernen. Mit Bildern ist man ja nicht nur im politischen Kontext konfrontiert, sondern im ganz normalen Alltag. Wichtig ist aber auch die Rolle der Medien: Immer noch werden Bilder einfach übernommen und dienen der Illustration, ohne zu bedenken, dass die Bilder eine Botschaft schicken.

„Immer noch werden in den Medien Bilder einfach übernommen und dienen der Illustration, ohne zu bedenken, dass die Bilder eine Botschaft schicken.“

Karin Liebhart

Petra Bernhardt: Die „Bergauf“-Tour von ÖVP-Chef und Kanzler Sebastian Kurz ist da ein gutes Beispiel, aber es gibt zig andere auch noch. In jüngster Zeit gab es da etwa die Bilder vom Kurz-Besuch im Kleinwalsertal, aber auch jene vom Gipfel zu Coronahilfen in Brüssel.

KOMPETENZ: Die Fotocoverage bestand da in heimischen Medien großteils aus Fotos, die vom Kanzleramt zur Verfügung gestellt wurden.

Petra Bernhardt: Ja, da ist Österreich wirklich ein Ausreißer. Es passiert schon selten auch in anderen Ländern, aber in Österreich spielt die Finanzierung von Medien da schon auch eine Rolle.

KOMPETENZ: Wird da aber eben seitens der Medien nicht meist mit den Kosten argumentiert – Medien können es sich nicht leisten, überall einen Fotografen hinzuschicken und sind dann froh, wenn sie Fotos zur Verfügung gestellt bekommen.

„In Österreich passiert das ständig. Es vergeht kaum eine Woche, wo nicht ein Foto von einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin eines Politikers den Weg in eine mediale Anschlusskommunikation findet.“

Petra Bernhardt

Petra Bernhardt: Natürlich. Medien sind dann froh Bilder in guter Druckqualität zu bekommen. Es gibt dieses eine ikonische Gipfelfoto von einem G 7-Treffen in Kanada, das zeigt eine konfrontative Szene von Merkel und Donald Trump und rundherum die Zuhörenden. Das sind Einzelfälle, wo ein Bild, das von einem Mitarbeiter gemacht wurde, international durch alle Medien geht.

In Österreich passiert das ständig. Es vergeht kaum eine Woche, wo nicht ein Foto von einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin eines Politikers den Weg in eine mediale Anschlusskommunikation findet. Die Gründe sind eben: es kostet nichts und diese Fotos werden auch über Nachrichtenagenturen verbreitet. Es hat die Qualität, die das Bildmaterial sofort einsetzbar macht. Und die Überlegung, dass das ja ausgewähltes, kuratiertes, aus einer bestimmten Perspektive aufgenommenes Material ist, fließt zu wenig in die redaktionelle Entscheidung ein.

Karin Liebhart: Es ist ja auch nicht so einfach. Man könnte sagen, ich nehme das Foto, wenn es schon kein anderes gibt, und versehe es mit einer ganz kritischen Bildunterschrift. Das Problem ist aber, dass man gegen Bilder nicht mit Text argumentieren kann, sondern nur mit einem anderen Bild. Die Überlegungen müssten daher in die Richtung gehen: Wenn wir auch auf der Bildebene Qualität und einen gewissen kritischen und reflektierten Anspruch wollen, dann muss man da Geld investieren. Dann kann man nicht auf offizielles Parteifotomaterial zurückzugreifen.

Buchtipp

Petra Bernhardt/Karin Liebhart
Wie Bilder Wahlkampf machen
Wien 2020, mandelbaum verlag
160 Seiten
ISBN 978385476-850-0

19 Euro

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