„Bei ErntearbeiterInnen ist in der Lohnabrechnung selten alles korrekt“

Foto: Nurith Wagner-Strauss

Durch die Corona-Krise rückten die oft unglaublichen Arbeitsbedingungen der ErntearbeiterInnen in den Fokus der Öffentlichkeit. Die Sezonieri-Kampagne bietet für sie arbeitsrechtliche Beratung und Unterstützung an. Cordula Fötsch, Aktivistin und Koordinatorin, erzählt von den Problemen der Arbeit in der Landwirtschaft und wie man ihnen kollektiv begegnen kann.

KOMPETENZ: Durch die mediale Diskussion der skandalösen Behandlung der SpargelstecherInnen haben zuletzt viele von uns zum Ersten mal gehört, dass es vor allem MigrantInnen sind, die auf österreichischen Feldern arbeiten. In welchem Umfang werden die ArbeiterInnen bei der Ernte eingesetzt?

Cordula Fötsch: Es gibt im Obst- und Gemüsebau eigentlich keinen Bereich, der handarbeitsintensiv ist, wo es keine ErntearbeiterInnen gibt. Dafür kommen jedes Jahr etwa 15.000 Menschen aus Rumänien, Ungarn oder auch aus Nicht-EU-Ländern wie Kosovo, Bosnien oder der Ukraine zum Arbeiten nach Österreich. Sie kommen für zweiwöchige Ernteeinsätze, bleiben länger oder arbeiten gar durchgehend von März bis November hier. Das Erste ist immer der Spargel, dann kommen die Erdbeeren, dann die Gurken, Paprika, Paradeiser, Salat und Gurken und Richtung Herbst geht das Obst los: Äpfel, Birnen, Wein.

KOMPETENZ: Insbesondere die Unterbringungen der Arbeitskräfte wurde bisher thematisiert. Wie sieht es mit den Arbeitbedingungen aus und wieviel verdienen die ArbeiterInnen bei ihrer Arbeit?

„Es gab immer wieder Fälle, wo Leute ihre Arbeitsmittel, wie die Gummiringerl zum Radieschen zusammenbinden, selber bezahlen müssen.“

Cordula Fötsch

Cordula Fötsch: Ich kann dir sagen, wie viel sie verdienen SOLLTEN! Insgesamt gibt es 55 Kollektivverträge für die Landarbeit in Österreich. Die Mindestlöhne bewegen sich zwischen 6,22 und 7,41 Euro netto, die ziehen wir auch für die Infomaterialien heran.

In der Realität gibt es aber die volle Bandbreite: Von den völlig unterbezahlten, mit 3-4 Euro pro Stunde, bis zu jenen, die annähernd den Kollektivertrag bekommen, wo nur Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht anteilig ausbezahlt oder Überstunden nicht entsprechend bezahlt werden. Und es gibt sicher auch ArbeitergeberInnen, die völlig korrekt bezahlen.

Es ist selten, wenn wir mit Leuten auf den Feldern sprechen, dass wirklich alles korrekt ist.

Es gab immer wieder Fälle, wo Leute ihre Arbeitsmittel, wie die Gummiringerl zum Radieschen zusammenbinden, selber bezahlen müssen. Oft wird zu viel für Kost und Logis abgezogen.

Immer wieder bekommen die ArbeiterInnen keine Verträge, müssen Unterlagen blanko unterschreiben, weil sie sonst nichts ausbezahlt bekommen oder vom Arbeitgeber werden falsche Stundenlisten geführt.

KOMPETENZ: Wie übersetzt sich unser Einkaufspreis im Supermarkt in die Bezahlung der ErntearbeiterInnen?

Fotos: Nurith Wagner-Strauss

Cordula Fötsch: Ein plakatives Beispiel: Im Akkordlohn gibt es zwischen 45 und 68 Cent pro gefüllter Kiste Radieschen, das sind umgerechnet drei Cent pro Bund, also weniger als vier Prozent für die ErntearbeiterInnen. Im Geschäft kostet ein Radieschenbund 80 Cent, der Bauer bekommt vom Handel 30 Cent. Die Gewinnspanne des Handels liegt also bei etwa 50 Prozent des Verkaufspreises! Würde es uns im Supermarkt kratzen, wenn die ErntearbeiterInnen doppelt soviel verdienen würden?

KOMPETENZ: Dahinter steckt aber ein umfangreicheres Problem, worin siehst du es?

Cordula Fötsch: Es gibt viele Komponenten: Die Bauern und Bäurinnen sagen, es ist die Macht der Supermarktketten, die den Preis diktieren, sowie die Weltmarktpreise. Eine andere Komponente ist die gemeinsame Agrarpolitik auf EU-Ebene. Es wird nicht nach Arbeitsaufwand sondern nach Fläche gefördert. Die Einhaltung von Arbeitsrecht ist dabei keine Förderbedingung.

Und wenn man sich ansieht, was in solchen Betrieben alles weggeworfen wird… Würde man das alles essen, dann müsste man nicht soviel ernten. Da sind Kippmulden voller Paradeiser, die lediglich zu klein oder zu groß gewachsen sind. Eine Erntearbeiterin hat erzählt, ihr Betrieb hatte einen Vertrag für grüne Paprika. Wenn der Paprika einen gelben Streifen hat, dann muss er ihn wegwerfen.

Da bildet sich auch der gesamte Wahnsinn des Lebensmittelsystems ab.

KOMPETENZ: Und zuletzt die Situation der ArbeiterInnen.

„Das sind Leute, die bei uns nicht wählen dürfen, die nicht vernetzt sind, wenig Wissen über ihre Rechte haben, die keine Stimme und oft keine Kapazitäten haben neben einer 70-bis-80-Stunden-Woche noch irgend etwas zu tun, um sich ihre Rechte zu sichern.“

Cordula Fötsch

Cordula Fötsch: Klar, es hat natürlich auch damit zu tun welche Menschen die Arbeit machen. Das sind Leute, die bei uns nicht wählen dürfen, die nicht vernetzt sind, wenig Wissen über ihre Rechte haben, die keine Stimme und oft keine Kapazitäten haben neben einer 70-bis-80-Stunden-Woche noch irgend etwas zu tun, um sich ihre Rechte zu sichern. Sie sind sehr abhängig, noch mehr die Drittstaatenangehörigen, weil ihre Aufenthaltsgenehmigung an die Arbeitserlaubnis für den Betrieb gekoppelt ist. Die Leute wollen oft nichts tun, wodurch sie ihren Job verlieren könnten – sie stehen massiv unter Druck.

KOMPETENZ: Durch die Corona-Pandemie sind die Arbeitsbedingungen der ErntearbeiterInnen in die Medien gekommen. Wie sieht es in den Betrieben mit dem Gesundheitsschutz der arbeitenden Menschen aus?

Cordula Fötsch: Bei den Betrieben, von denen wir was mitbekommen haben, wurden die Sicherheitsmaßnahmen nicht oder nicht gut eingehalten. Gerade im Innenbereich, wo es ums Waschen und Verpacken geht, wurde zum Beispiel der Sicherheitsabstand nicht eingehalten, es gab keine Masken, keine Handschuhe. Die Unterbringungen sind sicher auch ein Problem, aber allein schon beim Transport zum Feld sitzt man Schulter an Schulter.

Sicher gibt es aber auch Betriebe, wo das alles auch sehr gut gemacht wird. Das muss man auch sagen.

KOMPETENZ: Wie kann die Sezonieri-Kampagne die ErntearbeiterInnen konkret unterstützen?

Cordula Fötsch: Wir gehen auf die Felder und informieren die ArbeiterInnen in ihren Erstsprachen. Wenn sich wer bei uns meldet, erklären wir den Menschen, was ihre Möglichkeiten sind und unterstützen sie dabei, wenn sie gegen ihren Arbeitgeber vorgehen wollen. Manchmal reicht schon ein Brief von der Gewerkschaft an den Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin.

Wenn nicht, dann geht es letzten Endes auch darum die Leute vor Gericht zu vertreten. Wir versuchen auch immer zu unterstützen, wenn Leute sich untereinander solidarisieren.

KOMPETENZ: Zum Abschluss fragt man sich natürlich, was kann ich selbst tun um die Lage der ErntearbeiterInnen zu verbessern?

Cordula Fötsch: Für eine Konsumentscheidung im Supermarkt gibt es keine Grundlage. Auf keinem Produkt steht drauf „Der Kollektivvertrag wurde eingehalten“ – da macht auch bio und regional keinen Unterschied. Aber es macht Sinn im Supermarkt nachzufragen.

Man kann sich natürlich auch alternative Vertriebswege, wie Food-Coops, suchen. Doch auch dort ist es wichtig mit den ProduzentInnen über die Arbeitsbedingungen ins Gespräch zu kommen. Und natürlich kann man bei der Sezioneri-Kampagne auch aktiv mithelfen. Wir suchen immer Aktivist_innen in ganz Österreich – ganz besonders freuen wir uns über Menschen, die Rumänisch, Ungarisch, BKS, Albanisch und Ukrainisch sprechen. Meldet euch bei uns!

Für faire Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft
Die Sezonieri-Kampagne bietet arbeitsrechtliche Beratung und Unterstützung für ErntehelferInnen an.

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