Ungarn und Polen drohen Haushalts- und Wirtschaftspaket per Veto zu blockieren.
Im Juli haben sich die europäischen Staats- und Regierungschefs nach zähen Verhandlungen auf einen Haushaltsrahmen für die EU (Mehrjähriger Finanzrahmen) sowie einen Recovery Plan (Next Generation EU) geeinigt. Das insgesamt 1,8 Billionen schwere Wirtschafts- und Haushaltspaket stellt die Reaktion der EU auf die verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Corona-Krise dar.
Im Zuge dieser Verhandlungen wurde auch die Koppelung rechtsstaatlicher Kriterien an die Auszahlung von EU-Mitteln an die Mitgliedstaaten vereinbart. Das Europäische Parlament und der EU-Ministerrat haben sich Anfang November auf ein solches Verfahren geeinigt. Ungarn und Polen drohen nun mit einem Veto das gesamte Wirtschafts- und Haushaltspaket der EU zu blockieren. Die Gewerkschaften zeigen sich empört darüber.
EU-Haushalts- und Wirtschaftspaket sieht vage Auflagen zur Rechtsstaatlichkeit vor
Ungarn und Polen haben sich stets gegen die Koppelung rechtsstaatlicher Kriterien an die Auszahlung von EU-Mitteln ausgesprochen. Die Staats- und Regierungschefs verständigten sich beim EU-Gipfel im Juli deshalb auf eine sehr vage Formulierung in diesem Zusammenhang. Darin ist vorgesehen, dass es bei der Inanspruchnahme von Mitteln aus dem EU-Budget bzw. dem Recovery Plan grundsätzlich zu Auflagen im Sinne der Rechtsstaatlichkeit kommen soll. Die konkrete Ausgestaltung dieser Kriterien wurde jedoch nicht weiter ausgeführt. Ungarn und Polen haben diese vage Formulierung bisher als Verhandlungserfolg verkauft.
EU-Parlament und Rat erzielen Einigung bei Rechtsstaatlichkeitsmechanismus
Der EU-Ministerrat und das Europäische Parlament haben sich nun Anfang November auf ein Verfahren zur Kürzung von EU-Mitteln bei bestimmten Verstößen gegen die Rechtstaatlichkeit geeinigt. Durch den neuen Mechanismus wäre es erstmals möglich, die Missachtung von grundlegenden EU-Werten finanziell zu bestrafen. Die Rechtsstaatlichkeit wird dabei im Kontext aller in den EU-Verträgen verankerten Werte der Union gesehen. Das umfasst beispielsweise die Unabhängigkeit der Justiz, Machtanhäufungen von Regierungen aber auch Freiheit und Vielfalt der Medienlandschaft.
Ungarn und Polen wollen Einigung zum künftigen EU-Budget per Veto blockieren
Der EU-Gipfel, bei dem sich Mitte Dezember alle Staats- und Regierungschefs treffen werden, soll das 1,8 Billionen schwere Wirtschafts- und Haushaltspaket endgültig beschließen. Damit wäre sichergestellt, dass die dringend benötigten Finanzmittel aus dem Recovery Plan zu Beginn des Jahres 2021 bereits an die Mitgliedstatten fließen können. Aufgrund der vom EU-Parlament und dem EU-Ministerrat vereinbarten Rechtsstaatlichkeitsklausel drohen Ungarn und Polen jedoch dieses Budget nun mit ihrem Vetorecht zu blockieren.
Gewerkschaften äußern sich besorgt über Blockadehaltung ihrer Regierungen
Vier mittelosteuropäische Gewerkschaftsdachverbände aus Ungarn, Polen und Tschechien zeigen sich in einem Brief besorgt über diese Vorgehensweise. Die Vorsitzenden kritisieren unisono, dass ihre Regierungen den Rechtsstaatlichkeitsmechanismus dafür nutzen, um das künftige EU-Budget als auch den Recovery Plan zu blockieren.
„Über die Rechtsstaatlichkeit darf es keine politische Debatte geben, sie muss ein Fundament sein, auf dem unsere Demokratien, gewerkschaftliche Rechte sowie die Rechte der Beschäftigten beruhen“, erklärt Karoly György, internationaler Sekretär des ungarischen Gewerkschaftsbundes MASZS.
Ohne ein klares Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit können weder Gesellschaften noch Volkswirtschaften erfolgreich sein. Der soziale Frieden sowie ein funktionierender sozialpartnerschaftlicher Dialog in den einzelnen Mitgliedstaaten aber auch auf europäischer Ebene kann nur durch ein Bekenntnis zu diesen demokratischen Grundwerten gewährleistet werden. Faire Löhne sowie eine höhere wirtschaftliche und soziale Konvergenz innerhalb der EU können nur durch rechtliche Stabilität und Transparenz gewährleistet werden.
Gewerkschaften fordern Regierungen auf, Rechtsstaatlichkeitsmechanismus zuzustimmen
Die mittelosteuropäischen Gewerkschaften zeigen sich zutiefst darüber besorgt, dass ihre demokratisch gewählten Regierungen gegen diese fundamentalen Prinzipien einer Demokratie eintreten. Sie fordern ihre Regierungen eindringlich dazu auf, dem Mehrjährigen Finanzrahmen der EU sowie dem Recovery Plan mit den vorgeschlagenen rechtsstaatlichen Kriterien unverzüglich zuzustimmen.
Auch auf europäischer Ebene machen die Gewerkschaften Druck. Die EU-Mittel müssen möglichst rasch fließen, damit sie bei den Beschäftigten in der EU ankommen. Das Veto von Ungarn und Polen könnte diesen Prozess verzögern und zu empfindlichen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen führen.