Gesundheitsförderung soll ein lustvolles Angebot sein

Foto: Michael Mazohl

Lui Bachmeier, Landesstellenausschussvorsitzender der ArbeitnehmerInnen in der ÖGK-Landesstelle Wien, erklärt, warum der Bund einen finanziellen Ausgleich für die Covid-19 bedingten Belastungen an die Gesundheitskassen leisten muss und warum die Selbstverwaltung keinesfalls geschwächt werden darf. Die gesunkenen Krankenstände sieht er als Alarmzeichen: die Menschen haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.

KOMPETENZ: Welche Probleme bereitet die Covid-19 Pandemie dem österreichischen Gesundheitssystem?

BACHMEIER: Mit der Corona-Pandemie ist die Krankenversicherung 2020 ins Minus gefahren. Der Abgang wird rund 200 Millionen Euro betragen, für 2021 haben wir dieselbe Größenordnung berechnet.

KOMPETENZ: Warum reißt die Pandemie so ein großes Loch in die Kassen?

BACHMEIER: Die Pandemie verursacht steigende Kosten und gleichzeitig sinkende Einnahmen. Wir haben einerseits erhöhte Aufwendungen durch die Coronapandemie und weiter die laufenden Kosten für Arztbesuche, Medikamentenverschreibungen und steigende Spitalskosten. Auf der anderen Seite gehen die Erträge der Gesundheitskassen zurück, weil die Beiträge der Beschäftigten sinken und da in Zeiten höherer Arbeitslosigkeit weniger Sozialabgaben einbezahlt werden. Dieses Minus wird noch größer werden, denn die Regierung hat die Stundung der Beiträge für die Firmen angeordnet von denen wir viele abschreiben werden müssen.

KOMPETENZ: Ist diese Stundung sinnvoll?

Bachmeier: Ja, denn viele Firmen, die derzeit hart ums Überleben kämpfen, müssten sofort Konkurs anmelden, wenn wir die Beiträge fällig stellen würden. Da diese Maßnahme von der Regierung gesetzt wurde muss sie auch die finanzielle Verantwortung für die Auswirkungen übernehmen. Das Minus der Kassen ist nicht selbstverschuldet und darf kein Feigenblatt für eine Änderung des Systems werden.

Ohne finanzielle Rettungsmaßnahmen werden wir unser gutes Gesundheitssystem nicht erhalten können.

Lui Bachmeier

KOMPETENZ: Kann die Krankenversicherung diese Kosten nicht auffangen?

BACHMEIER: Nein, diese Zusatzbelastung können wir aus dem laufenden Geschäft heraus nicht stemmen. Das System der sozialen Krankenversicherung kommt seit Jahrzehnten ohne einen Zuschuss von Bundesmitteln aus. Aber die durch Covid-19 verursachten Kosten müssen der Krankenversicherung eins zu eins vom Bund ersetzt werden – die Pandemie ist auch über uns hereingebrochen.

Ohne finanzielle Rettungsmaßnahmen werden wir unser gutes Gesundheitssystem nicht erhalten können.

KOMPETENZ: Hat die vor einem Jahr erfolgte Fusion keine Synergien gebracht?

BACHMEIER: Die Fusion hat nicht so stattgefunden, wie uns die Regierung das öffentlich erzählt hat. Das Ziel im Hintergrund war immer eine Verstaatlichung des Systems – und eine Entmachtung der Selbstverwaltung. Das Ziel war, ein System zu schaffen, das den jeweiligen Machthabern weisungsgebunden wäre. Das System der Selbstverwaltung kann heute noch freier agieren und ist – trotzdem es in den vergangenen Jahren vor allem nach ÖVP Interessen umgebaut wurde –allein den Versicherten, also den Beitragszahlern, verpflichtet.

Die Selbstverwaltung führt die Gesundheitskassen solidarisch und agiert nahe am Versicherten. Das soll auch so bleiben.

KOMPETENZ: Das Ziel der Fusion war ein Risikoausgleich – jeder Versicherte sollte die gleiche Leistung bekommen?!

BACHMEIER: Dies war das vorgeschobene Ziel. In der Realität hat man die Systeme der Gebietskrankenkassen, die gut funktioniert haben, ohne Not miteinander fusioniert und so die Struktur der Selbstverwaltung geschwächt. Die Gebietskrankenkassen wurden zu Landesgeschäftsstellen degradiert. Die Selbstverwaltung wurde weit zurückgedrängt. Die jetzigen Landesstellenvorsitzenden haben bei weitem nicht mehr jene Mitsprachemöglichkeiten wie die früheren Obleute und Vorstände, wenn es darum geht, festzulegen, was die Versicherten brauchen.

Jene Bereiche, in denen der Risikoausgleich nicht funktioniert hat, funktionieren auch jetzt nicht. Die unterschiedlichen Träger haben auch unterschiedliche Risikogruppen. Die ÖGK hat z.B. die Arbeitlosen – eine Gruppe wo wir weniger Beiträge haben aber mindestens dieselben Ausgaben wie bei Beschäftigten – da geht sich die Rechnung nicht aus. Da braucht es einen Ausgleich jener Träger die bessere Risken in ihrem Portfolio haben (z.B. keine Arbeitslosen).

Die Selbstverwaltung führt die Gesundheitskassen solidarisch und agiert nahe am Versicherten. Das soll auch so bleiben.

Lui Bachmeier

KOMPETENZ: Was hat die Fusion den Versicherten aus Ihrer Sicht gebracht?

BACHMEIER: Wir haben vor allem hohe Fusionskosten angehäuft, die weit über den veranschlagten 300-500 Millionen Euro liegen. Diese Reform geht an den Kunden, den Versicherten, völlig vorbei. Auch diese Kosten sollten der Regierung in Rechnung gestellt werden.

KOMPETENZ: Wann wird es einen finanziellen Ausgleich für die Krankenversicherung geben?

BACHMEIER: Wir verhandeln darüber seit dem Sommer. Verhandlungsleiter Andreas Huss hat signalisiert, dass es Zuschüsse geben wird um die durch Covid-19 verursachten Mehrausgaben zu decken. Noch gibt es dazu aber keine definitiven Beschlüsse.

Der Bund muss hier definitiv Verantwortung und die anfallenden Kosten übernehmen. Die soziale Krankenversicherung hat nichts falsch gemacht, in einer Ausnahmesituation wie einer Pandemie gelten eigene Gesetze. Gleich zu Jahresbeginn müssen nun Nägel mit Köpfen gemacht werden. Bei den Zuschüssen müssen auch die Folgekosten wie Aufwendungen für Impfungen mitbedacht werden.

KOMPETENZ: Auf welchen Ebenen belastet die Pandemie die Versicherten am stärksten?

BACHMEIER: Covid-19 ist eine außerordentliche Belastung für die gesamte Bevölkerung und wirkt wie ein Brennglas, das bestehende Probleme sichtbarer macht. Vor allem psychische Belastungen nehmen zu.

Die Krankenversicherung hat darauf bereits reagiert, die Psychotherapie auf Krankenschein wurde ausgeweitet: um 300.000 Stunden für über 20.000 Personen. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung – weite Sprünge kann die Krankenversicherung ohne Finanzausgleich aber künftig keine machen.

Wir haben auch in der Organisation reagiert. Es gibt Direktstellen, die einen Therapieplatz zuweisen. Für die ersten 30 Therapiestunden braucht es keine gesonderte Genehmigung mehr. Die Gesundheitskassen wollen damit den bestehenden Ängsten und der wachsenden Vereinsamung entgegenwirken.

Foto: Michael Mazohl

KOMPETENZ: Sind viele ArbeitnehmerInnen von Vereinsamung betroffen?

BACHMEIER: Ja natürlich! Der Kontakt mit den KollegInnen in den Betrieben fällt weg, viele mit denen wir arbeiten sind uns längst Freunde geworden und geben im Alltag Stütze und Hilfe.

KOMPETENZ: Die Krankenstände sind im ersten Halbjahr 2020 auffällig gesunken – sie liegen um fast zwei Drittel unter dem Niveau des Vorjahres. Wie erklären Sie sich das?

BACHMEIER: Wir wissen aus Studien, dass 2018 die Hälfte aller ArbeitnehmerInnen mindestens einen Tag lang krank arbeiten gegangen ist. Wir wissen, dass im ersten Halbjahr vor allem die Zahl der Erkrankungen des Bewegungsapparates und auch psychische Erkrankungen massiv gestiegen sind. Die Leute sitzen daheim und versuchen über die Runden zu kommen. Die Menschen haben Angst ihren Arbeitsplatz zu verlieren und gehen daher nicht in den Krankenstand.

KOMPETENZ: Hat sich in der Krise die Zahl der Nicht-Krankenversicherten erhöht?

BACHMEIER: In der Krise steigt die Zahl der Obdachlosen, viele zieht es auch in die Städte, weil dort die Hilfsangebote dichter sind. Damit werden sie sichtbarer. Auch deswegen wäre es wichtig einen ECHTEN Risikoausgleich zwischen allen Versichertengruppen zu schaffen.

KOMPETENZ: Kommt die Prävention in der Krise zu kurz?

BACHMEIER: Auf jeden Fall. Viele vergessen in der Krise, dass es neben Covid-19 auch noch andere Krankheiten gibt und schieben Vorsorgeuntersuchungen auf. Schleichende Krankheiten, wie zum Beispiel Diabetes, werden sich dadurch noch stärker manifestieren.

Ich will dieses tolle Angebot für die Kranken ausbauen, es ist auch eine große Entlastung für die Spitäler.

Lui Bachmeier

KOMPETENZ: Wie wollen Sie die Menschen wieder stärker zu den Ärzten bringen?

BACHMEIER: Ich möchte das System der Primärversorgungszentren forcieren, in Wien gibt es derzeit drei, 36 Zentren sind geplant. Am Standort arbeiten viele verschiedene Gesundheitsberufe unter einem Dach, auch Psychotherapeuten und Sozialarbeiter sind dort untergebracht. Nachsorge, Wundmanagement oder kleine Blutuntersuchungen werden für die PatientInnen so einfacher erreichbar. Die Öffnungszeiten sind kundenfreundlich, man kann sich darauf verlassen, dass immer ein Arzt oder eine Ärztin anwesend ist.

Ich will dieses tolle Angebot für die Kranken ausbauen, es ist auch eine große Entlastung für die Spitäler.

KOMPETENZ: Warum ist Prävention so wichtig.

BACHMEIER: Gesundheitsförderung muss schon im Kindesalter ansetzen. Wir bieten viele Programme an, die schon in jungen Jahren zu gesundem Essen und mehr Bewegung motivieren sollen – etwa im Kindergarten oder in der Volksschule. Prävention muss vor Beginn von Erkrankungen greifen. Vor allem das Thema Übergewicht muss langfristig bekämpft werden. Für Kinder (und auch uns Erwachsenen) muss es attraktiv werden, sich zu bewegen.

KOMPETENZ: Hat die Krankenversicherung die Mittel und die Kompetenzen um hier führend tätig zu sein?

BACHMEIER: Leider nein, ich fordere aber seit langem den Gesundheitskassen die Möglichkeit samt entsprechender Mittel für eine umfassende Gesundheitsförderung zu ermöglichen.

Wir haben in Wien heuer die erste Diabetesambulanz eröffnet, die nach den Bedürfnissen der PatientInnen gestaltet wurde. Wir müssen mehr Anreize für Bewegung setzen. Auch in der betrieblichen Gesundheitsförderung liegt großes Potenzial. Wir sehen bei den Gesundenuntersuchungen und den Impfraten, dass die Inanspruchnahme höher ist, wenn diese Vorsorgeleistungen direkt über die Betriebe laufen. Hier geht es auch um Interessensgemeinschaften und Freundschaften. Mit guten Fördersystemen und lustvollen Angeboten, die breit aufgestellt sind, kann man hier viel erreichen.

Zur Person:

Lui Bachmeier ist Landesstellenausschussvorsitzender der ArbeitnehmerInnen in der ÖGK-Landesstelle Wien. Ursprünglich hat er die Ausbildung zum Koch gemacht, danach absolvierte er die Sozialakademie und ist Regionalsekretär der GPA-Wien. Privat geht der 54-jährige Vater von drei Kindern gerne in die Natur, alles was Spaß macht vom Radfahren bis Skitouren ist da dabei.

Scroll to top